Familie

Als künstliche Befruchtung noch „Teufelswerk“ war

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Louise Brown unmittelbar nach ihrer Geburt am 25. Juli 1978. Foto: iStock

Vor genau 40 Jahren kam Louise Brown in England als erstes „Retortenbaby“ dank In-vitro-Fertilisation zur Welt. Damals war es eine Sensation – heute ist das Verfahren millionenfach Routine.

Vor genau 40 Jahren kam Louise Brown in England als erstes „Retortenbaby“ dank In-vitro-Fertilisation zur Welt. Damals war es eine Sensation – heute ist das Verfahren millionenfach Routine.

Auf den ersten Blick sieht das kugelförmige Gefäß in der Vitrine aus wie ein Bonbonglas. In Wahrheit ist es ein Exsikkator, in dem das wohl berühmteste Embryo der Welt vor mehr als 40 Jahren nach seiner Zeugung aufbewahrt worden war. Louise Joy Brown, das erste „Retortenbaby“ der Welt.

Das bereits lange erwachsene Kind heißt mittlerweile Mrs. Mullinder, ist selbst Mutter von zwei auf natürlichem Weg gezeugten Söhnen und steht lächelnd neben dem Ausstellungsstück. „Meine Eltern wollten einfach nur ein Baby haben. Und sie vertrauten ihren Ärzten“, erklärt sie den Anfang einer medizinischen Revolution.

Mindestens 6,5 Millionen Kinder kamen seither dank In-vitro-Fertilisation zur Welt. Die Behandlung von Unfruchtbarkeit gehört heute zu den Routinedisziplinen der Medizin. Am 25. Juli 1978 aber war Louise’ Geburt nicht nur eine weltweite Sensation, sondern für die Eltern und das Klinikpersonal ein nervenaufreibendes Experiment.

„Drei Wochen verbrachte meine Mutter für die Befruchtung in der Klinik. Ich kam schließlich per geplantem Kaiserschnitt zur Welt und wurde ihr sofort für Untersuchungen weggenommen. Meine Mutter war völlig aufgelöst, als sie mich endlich in den Arm nehmen durfte. Auch, weil meine Hände ganz schwarz waren.“

Die Ärzte hatten dem Neugeborenen Fingerabdrücke abgenommen. Bis heute wisse sie nicht, was der Zweck desselben war, gesteht Mullinder.

Was, wenn sie krank zur Welt gekommen wäre? 

Die nun 40-Jährige ist den medialen Rummel zu jedem Jahrestag gewohnt. Voller Elan spaziert sie durch die Sonderausstellung des Londoner Science Museum, die unter dem Titel „IVF – 6 Million Babies Later“ kurz und knapp dieses Kapitel der Reproduktionsmedizin erklärt. Nicht nur für Mullinders Eltern, die neun Jahre vergeblich auf eine Schwangerschaft gehofft hatten, war die Methode die letzte Chance. Auch ihre Ärzte in Oldham bei Manchester hatten jahrelang erfolglos experimentiert.

Patrick Steptoe und Robert Edwards hatten fast keine Forschungsgelder mehr, als Lesley Brown Ende 1977 schwanger wurde. Aber die erfolgreich erzielte Schwangerschaft war nur die erste große Hürde. Was, wenn das außerhalb des Mutterleibs gezeugte Kind krank zur Welt käme? Es hätte das Aus für die Forschungsarbeit der beiden Mediziner bedeutet.

„Fünf Sekunden nach ihrer Geburt stieß das Baby den lautesten Schrei aus, den man je von einem Neugeborenen gehört hatte. Patrick rief sofort: ,Genau das will ich hören, gut entwickelte Lungen!‘“, erinnerte sich Edwards einmal, der 2010 für seine Verdienste den Medizin-Nobelpreis bekommen sollte.

Nur Monate zuvor hatte er Lesley Brown in einem Brief mitgeteilt, „dass unsere Bluttests ergeben, dass Sie sich in der Frühphase einer Schwangerschaft befinden“, wie die Schreibmaschinenschrift in einem Ausstellungskasten verrät. Ihr Mann sei bei der Nachricht ausgeflippt. „John drehte völlig durch. Wir küssten und umarmten uns“, erzählte die Mutter später, die noch eine zweite Tochter dank IVF bekommen sollte. Sie habe vom ersten Moment an nie Zweifel am Erfolg gehabt. „Sobald sie mir das befruchtete Ei eingesetzt hatten, habe ich mich schwanger gefühlt.“ John Brown verstarb 2006, seine Frau 2012.

„Ich wusste früh, dass ich besonders bin“

Weil neben den Tausenden Glückwünschen aus aller Welt auch bösartige Kommentare über ihr „Teufelswerk“ kamen, gingen die Browns mit Baby Louise auf eine Art PR-Tour durch Radio- und Fernsehshows und machten ihre Geschichte und ihr Kind weltbekannt. Ein mutiger Schritt, um anderen Paaren die Angst und der Öffentlichkeit mögliche Vorurteile zu nehmen.

Als Louise vier Jahre alt war und zur Schule kommen sollte, zeigten ihr die Eltern erstmals Filmausschnitte ihrer Geburt. „Ich wusste deshalb früh, dass ich irgendwie besonders bin. Aber ob ich mich besonders fühle? Nein, ich bin ja nur geboren worden“, sagt sie lachend. Sie liebe es, andere IVF-Kinder zu treffen und das glückselige Lachen von deren Eltern zu erleben.

„IVF sollte jedem Paar offenstehen, das sich ein Kind wünscht und es auf natürlichem Weg nicht bekommen kann. Es geht ja nicht nur um das Paar. Es geht um eine künftige Familie. Es geht um die Zukunft.“

Die Quelle:

https://www.welt.de/wissenschaft/article179900342/Louise-Brown-das-erste-Retortenbaby-der-Welt-wird-40.html