Inland

Als Radfahrer unterwegs: Die Angst fährt mit

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Am Frankfurter Opernplatz kommen sich Radler und Autofahrer besonders nahe.

Der Krieg auf Frankfurts Straßen ist vorbei? Gegenseitige Rücksicht prägt heute den Straßenverkehr? Das wäre zu schön. Eine Gegenrede.

Autofahrer haben ihre Lektion gelernt und begegnen Radfahrern heute mit Rücksicht – schön wär’s. Doch die Beobachtungen meines Kollegen Dieter Schwöbel, der sich auf dem Rad in Frankfurt sicher und respektiert fühlt, kann ich leider nicht bestätigen. Im Gegenteil: Frankfurt wächst weiter, und mit mehr Einwohnern kommen leider immer mehr Autos in die Stadt. Der Platz bleibt aber begrenzt. Es ist doch klar, dass das zu mehr Stress und mehr Konflikten führt. Ein „Krieg“ im wörtlichen Sinn ist das natürlich nicht, aber der Hass und die Aggressionen, die auf beiden Seiten im Spiel sind, die beschreibt die Redewendung vom „Krieg auf der Straße“ treffend.

Neulich wurde ich an einer Rechts-vor-Links-Kreuzung im Nordend fast von links von einem Müllwagen überrollt. Der Fahrer war sich keiner Schuld bewusst. Im Gegenteil: Er wollte mich erziehen. Ich sei gegen die Einbahnstraße geradelt, gab er an – als ob das ein Grund dafür wäre, mich zu zerquetschen. Dabei war die Straße für Radfahrer nicht nur in beide Richtungen freigegeben, es handelte sich sogar um eine sogenannte Fahrradstraße, auf der Radler nebeneinander fahren dürfen und Autos nur geduldet sind. Doch die wenigsten Autofahrer scheinen das entsprechende Schild überhaupt zu kennen.

Zwischen Autos durchschlängeln

Im Westend wäre ich kürzlich fast von einem entgegen kommenden Auto erfasst worden, weil sein Fahrer mit dem Handy hantierte. Erst im letzten Moment sah er mich und zog nach rechts. Ich musste vom Rad auf den Bürgersteig abspringen, meine Knie zitterten vor Angst. Der Mann fuhr weiter, als wäre nichts gewesen.

Im Sandweg in Bornheim wie in unzähligen anderen engen Straßen werden Radfahrer regelmäßig viel zu dicht überholt. Es ist dabei eigentlich ein Mindestabstand von 1,50 Meter vorgeschrieben. In der Praxis ist das aber eine Illusion. Wie es sich anfühlt, wenn direkt neben einem ein Transporter oder ein großer SUV vorbeizieht, müsste jeder nachvollziehen können, der schon einmal selbst im Sattel saß. Aber zu viele Autofahrer lässt das kalt.

Am Opernplatz kann man jeden Morgen beobachten, wie Autos aus der Bockenheimer Landstraße noch bei Dunkelgelb oder sogar Rot in die Kreuzung einfahren. Wenn dann Radfahrer und Fußgänger Grün bekommen, müssen sie sich zwischen den Autos hindurchschlängeln. Sieht so ein friedliches Miteinander aus?

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All diese Erlebnisse bleiben ungeahndet. Sie tauchen auch in keiner Verkehrsstatistik auf. Doch jedes einzelne ist eine Zumutung. In der Summe erzeugen sie ein Gefühl der Hilflosigkeit – und der Wut! Dabei kommt es gar nicht darauf an, ob Autofahrer gezielt Jagd auf Radfahrer machen oder sich „nur“ egoistisch benehmen, indem sie etwa freie Flächen in der Stadt einfach zuzuparken: Geh- und Radwege, Kreuzungen, verkehrsberuhigte Bereiche („Spielstraßen“), mitunter sogar Zebrastreifen. Abgeschleppt wird fast nie, kontrolliert viel zu selten. Und dass für ein Knöllchen meist bloß 10 oder 15 Euro fällig werden, ist angesichts der Parkhausgebühren in der Innenstadt lächerlich.

Die Wut trifft auch die Verkehrspolitiker, die es nicht hinbekommen, Frankfurt zu einer Fahrradstadt zu machen. Dazu wäre es ideal: kurze Distanzen, wenige Steigungen, angenehmes Klima. Und Gründe gibt es genug: Radfahren hilft gegen Feinstaub, Stickoxide und Klimawandel. Es macht keinen Lärm und verbraucht kaum Platz. Wo ein Auto parkt, könnten zehn Räder stehen. Doch der Wandel zum Radverkehr geschieht viel zu langsam. In Frankfurt hält man es schon für eine fortschrittliche Verkehrspolitik, wenn man auch noch die schmalste Einbahnstraße in beiden Richtungen für Radler freigibt. Mit dem Ergebnis, dass es täglich zu gefährlichen Begegnungen kommt.

630 schwer verletzte Radfahrer in Hessen

„Mischverkehr“ nennen es Stadtplaner, wenn Autos und Fahrräder sich dieselbe Fläche teilen. Aber zu glauben, dass dadurch auch ein Miteinander entstünde, ist ein gefährliches Missverständnis. Vielmehr fühle ich mich in solchen Situationen missbraucht als radelndes menschliches Verkehrsentschleunigungsmittel.

Das grundlegende Problem ist, dass sich Auto- und Radfahrer nicht auf Augenhöhe begegnen. Allzu oft gilt im Straßenverkehr noch das Recht des Stärkeren. Und das ist eindeutig der Autofahrer. Das zeigen auch die Konsequenzen eines Fehlverhaltens: Kommt es zu einem Unfall, hat er einen Blechschaden. Und ich sitze, wenn es schlecht läuft, für den Rest meines Lebens im Rollstuhl. Im Jahr 2017 wurden in Hessen 14 Radfahrer getötet und 630 schwer verletzt. Dass jemals ein Autofahrer bei einem Unfall mit einem Fahrrad starb, ist mir dagegen nicht bekannt.

Die Stadt Frankfurt hält es offenbar auch schon für eine ungemein fortschrittlich, ein paar gestrichelte Linien und Fahrrad-Piktogramme auf die Straßen zu malen, zum Beispiel auf die Mainzer Landstraße zwischen Güterplatz und Galluswarte. Ich habe zwar nichts dagegen, aber ein Radweg ist das noch lange nicht, auch wenn diese „Schutzstreifen“ oft damit verwechselt werden. Doch kann ein Schutzstreifen bei Bedarf auch von Autos befahren werden. Die dürfen dort zum Beispiel anhalten, was dann dazu führt, dass sich die Radfahrer wieder in den laufenden Autoverkehr einfädeln müssen. Und mit plötzlich aufgerissenen Autotüren ist bei parkenden und haltenden Autos sowieso immer zu rechnen. Für Radfahrer sind sie eine lebensbedrohende Gefahr.

Ich behaupte nicht, dass Autofahrer schlechtere Menschen wären und Radfahrer gute. Auch ich ärgere mich gelegentlich über Rüpel-Radler. Und wenn ich eingangs einige gefährliche Begegnungen mit Autos aufgezählt habe, dann nur, um die systemische Tragweite zu illustrieren: So lange Fahrräder und Autos sich dieselben Flächen teilen, so lange werden Radfahrer regelmäßig den Kürzeren ziehen. Und das gemütliche, friedliche Miteinander wird leider eine Illusion bleiben.