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Fahrbericht Yamaha Tracer 900: Darum in die Ferne schweifen

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GT-Variante der Tracer 900, mit Goldgabel und Koffern

Die neue Tracer 900 von Yamaha ist ein Sporttourer in bestem Sinne. Künftig gibt es zwei Versionen. Was die GT von der Basis-Maschine abhebt, ergibt eine stattliche Liste.

Aus einem anständigen Motor lässt sich mehr machen als nur ein Motorrad. Zwei, drei, vier Modelle sind drin, und das muss noch nicht alles sein. Als Yamaha 2013 nach einigen Jahren des schöpferischen Stillstands plötzlich einen Prachtbullen von Dreizylinder in den Ring führte, der von neuem Elan in Iwata kündete und reihum für Entzücken sorgte, war klar: Damit haben die Japaner einiges vor.

Das Triebwerk debütierte fulminant in der MT-09, einem martialisch gezeichneten Naked Bike. Verschiedene Versionen folgten, 2015 erschien die Tracer 900 auf der Bildfläche, gewissermaßen die Kombi-Variante der Nullneun. Zivileres Aussehen, komfortableres Arrangement, breiter gefächertes Anwendungsspektrum: Die Tracer 900 war, mit ebenjenem Motor, die vielseitigere MT-09. Ein echter Tourensportler, ein laut Yamaha mehr als 30 000 Mal verkaufter Erfolgstyp, der sich allerdings in Deutschland unter Wert schlug.

Nach drei Jahren auf dem Markt steht schon ein Generationenwechsel an. Eine erstaunlich kurze Spanne. Yamaha reagiert damit auf Verbesserungswünsche der Kunden in den Punkten Komfort und Reise. Die renovierte Tracer 900 kommt in diesen Tagen für 10 600 Euro (plus Nebenkosten) in den Handel, begleitet erstmals von einer üppiger ausgestatteten GT-Variante für 12 200 Euro. Besonders die GT soll Lust auf lange Strecken wecken und den „Premium“-Konkurrenten europäischer Herkunft die Hörner zeigen.

Beiden gemein ist der unveränderte 847-Kubik-Reihendreizylinder, der bei 10 000 Umdrehungen seine Höchstleistung von 115 Bullenstärken (85 kW) liefert, eine temperamentvoller als die andere, in ihrer Gesamtheit allerdings fein am Zügel zu führen. Die wuchtige, drehfreudige Art, mit der dieser Motor zu Werke geht, ist stets aufs Neue ein Erlebnis. Anfänglich ruppige Gasannahme und Lastwechselzicken sind inzwischen geglättet, das Drehmoment von bis zu 88 Nm bei 8500/min lässt sich in sämtlichen drei Fahrmodi unbeschwert nutzen.

Dem Dreizylinder ist es egal, mit welchen Drehzahlen er arbeiten soll, er gibt sich mit 1000 Umdrehungen zufrieden oder schraubt sich ins Fünfstellige. Traktionskontrolle (dreistufig) und ABS wachen über das Geschehen, die Antihopping-Kupplung verhindert, dass der Hinterreifen bei ungestümem Herunterschalten die Bodenhaftung verliert. Das sind Notwendigkeiten angesichts der Dynamik dieses Motorrads.

Im Nahkampf des Berufsverkehrs vorteilhaft

Auf weitere Assistenzsysteme – elektronisches Fahrwerk, Schräglagen-ABS, Kurvenlicht, Funkschlüssel etwa – verzichtete die Entwicklungsmannschaft, beließ es aus Gründen der Kosten und der Preisgestaltung beim in dieser Klasse mittlerweile üblichen Standardprogramm. Dafür bewahrte sie die geschmeidige Handlichkeit der nur etwa 215 Kilo (mit gefülltem 18-Liter-Tank) wiegenden Tracer, polierte das Design auf, sorgte für eine wertige Gesamtanmutung. Im Sinne des Alltagsnutzens wurde durch einen schmaleren Lenker und weniger weit abstehende Handprotektoren die Fahrzeugbreite um zehn Zentimeter verringert. Das ist im Nahkampf des Berufsverkehrs vorteilhaft.

Im Mittelpunkt der Modellpflege jedoch stand erwähnte Tourentauglichkeit. Verlängerte Schwinge und geänderte Abstimmung des Federbeins dienen der Verbesserung von Traktion und Stabilität, am verlängerten Heckrahmen lassen sich Seitenkoffer elegant in vorhandene Aufnahmen einklinken. Dicker gepolsterte, in der Kontur veränderte Sitze, vergrößerter Windschild mit manueller Höhenverstellung dienen dem Komfortgewinn für Fahrer und Beifahrer auf längeren Etappen. Der Fahrersitz rastet wahlweise auf 85 oder 86,5 Zentimeter Höhe ein. Wer hinten Platz nimmt, findet nun ein vorteilhafteres Arrangement von Fußrasten und Haltegriffen vor.

Wir haben bei der ersten Probefahrt allerdings vorn Platz genommen, auf der Standard-Tracer wie auch auf der GT, welche die eigentliche Neuheit darstellt. Was sie von der Basis-Maschine abhebt, ergibt eine stattliche Liste: 22-Liter-Hartschalenkoffer, farblich aufs Fahrzeug abgestimmt, Federelemente mit erweiterten Einstellmöglichkeiten sowie ein Quickshifter zum raschen Hochschalten ohne Kupplungsbetätigung (zum Herunterschalten muss allerdings weiterhin am Hebel gezogen werden). Nicht zu vergessen die besten Freunde des Tourenfahrers, nämlich Tempomat und Griffheizung.

Letztere hatten wir bei der Probefahrt im Dauereinsatz. Denn mitten im andalusischen Frühling meldete der Bordcomputer winterliche Werte für die Außentemperatur. Dass er das im Fall der GT auf einem schicken TFT-Buntbildschirm tat, machte die Sache kaum besser. Die Basis-Version muss mit einer klobigen LCD-Anzeige auskommen, die mehr nach Trecker als nach Tracer aussieht. Hier wie dort fiel im Regen auf, dass der Verstellbereich der Scheibe nur ein paar Zentimeter umfasst, mithin gern etwas größer ausfallen dürfte, was auch für die erlaubte Zuladung von 179 Kilo gilt.

Aber dieser Motor! Bald schon werden wir ihm in einem weiteren Fahrzeug begegnen. Die Markteinführung der aufsehenerregenden Niken ist für den Spätsommer vorgesehen. Diese Yamaha mit zwei Rädern vorn und einem hinten war vorigen Herbst auf dem Mailänder Salon vor staunendem Publikum enthüllt worden. Wie das außerirdisch wirkende Ding funktioniert, wird sich zeigen. Keinesfalls wird es am Dreizylinderbullen scheitern.