Medizin & Ernährung

Ärzte fordern Umdenken: Mehr Body im Alter

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Hochproteinnahrung: Rindfleisch.

Diäten sind Gift, Salat und Gemüse überbewertet und vegan geht gar nicht. Molke dagegen: das Nonplusultra. Und spazieren gehen? Reicht nicht! Die deutsche Altersmedizin kämpft beherzt für mehr Muskelarbeit der Senioren.

Ein Fitness-Studio auf die Innere, Hantelbänke auf die Krankenstation und den Ü75 Personal Training Coordinator gleich dazu – das mag beim ersten Hören wie das zynische Geschäftsmodell einer Fitnesskette klingen, die den kranken Alten noch den letzten Groschen aus der Tasche ziehen soll. Das ist es aber keineswegs. Im Gegenteil, der Vorschlag stammt von einem nüchternen, hochrenommierten Altersmediziner, der auf einem der zentralen Medizinertreffen im Land, dem am Wochenende startenden Internistenkongress der DGIM in Mannheim, für eine „Professionalisierung“ der Seniorenarbeit im Fitnessbereich plädiert. Mehr Bodybuilding und Bodyforming statt Gemüsediäten.

Jürgen Bauer von der Universität Heidelberg findet klar Worte, wenn es darum geht, alte Zöpfe abzuschlagen. Speziell wenn es um die Ernährung geht: „Diäten schaden definitiv den Senioren, das Auf und Ab auch vieler alter Leute ist keine Option.“ Damit geht er nicht nur gegen den Werbemarkt der Diätanbieter, der die geburtenstarken, alternden Babyboomer immer stärker ins Visier nimmt. Bauer will auch erreichen, dass die Ernährungsempfehlungen, die für Ältere und Hochbetagte über 70 grundsätzlich abweichen, endlich in die Köpfe kommen. Will heißen: Vitaminmangel und Ballaststoffarmut sind seltener ein Problem als der fortschreitende Muskelabbau, der den gesamten Körper und den Stoffwechsel in Mitleidenschaft zieht. „Den Abbau bremsen ist entscheidend. Der kritische Spieler im Alter ist der Muskel“, sagt Bauer. Energie und Proteine sind deshalb wichtiger als Salat, Ballaststoffe und Gemüse. „Gefährlich wird es, wenn die Reserven im Körper immer weiter schwinden.“ Deshalb verleiht Bauer seiner Botschaft gerne Nachdruck: Proteine, Proteine, Proteine. „Nötig ist, die Proteinzufuhr im Alter um ein Viertel zu erhöhen.“

Wie dieses Ziel quantitativ erreicht wird, ist individuell sehr unterschiedlich. Im Großen und Ganzen heißt es nach Bauers Maßgabe: „In jeder Mahlzeit mindestens eine Proteinkomponente, das ist grob die Vorgabe. Und das bei drei Mahlzeiten am Tag, wovon eine zumindest eine warme Mahlzeit sein sollte.“ Hochwertiges Eiweiß, sprich: Proteine, liefern vor allem Milchprodukte, allen voran Molke. Bei Fisch könne man nie etwas falsch machen, und auch Fleisch ist ein wichtiger Bestandteil der Bauer’schen Ernährungsphilosophie. Pflanzenproteine, also Sojaprodukte, seien grundsätzlich wertvoll, allerdings sättigten viele Pflanzenprodukte eher als etwa Milchprodukte. Und die Kalorienaufnahme (Energie!) ist auch entscheidend. „Mit vegetarisch habe ich gar kein Problem, nur vegan kann auf Dauer kritisch werden“, so Bauer.

Um Ernährung allein darf sich die Altersfitness-Philosophie nicht drehen. Wer Gebrechlichkeit vorbeugen oder auch als alter Mensch aktiv bekämpfen will, kommt an viel Bewegung nicht vorbei. Sport ist „die zweite große Säule“, sagt Bauer. Und hier gibt es – abweichend von landläufigen Vorstellungen, auch dies – eine entscheidende Vorgabe – Spazieren gehen ist kein Sport. Der Wunsch des Heidelberger Altersmediziners ist es, die anspruchsvolleren Aktivitäten, sprich: Laufen, Tanzen, Radfahren, für Senioren und Hochbetagte attraktiver zu machen.

„Den Sport für Ältere zu professionalisieren ist dringend nötig“, sagt Bauer, eine möglicherweise auch interessante Option für die schon sehr populär gewordenen Fitnessketten. Der Markt ist hier noch weitgehend unerschlossen. Für die Sportbetreuung wie für die Ernährung als Thema in der ärztlichen Praxis gibt es aber oft nicht nur begrenzte Angebote, sie sind auch in der Medizinerausbildung komplett unterrepräsentiert. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Cornel Sieber, beklagt diese Baustelle mit Nachdruck: „Wir müssen unsere jungen Ärzte in diese Richtung ausbilden. Das Interesse bei ihnen für eine weniger organzentrierte Medizin und einen eher ganzheitlichen Ansatz wächst glücklicherweise immer stärker.“