Mode & Design

Chefkuratorin im Interview: „Spiegel lügen nicht“

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Auf Talentsuche: Marva Griffin Wilshire, die Grande Dame der Mailänder Nachwuchsschau, mit Designerin Ana Relvao.

Für viele junge Designer ist Marva Griffin Wilshire, 74, so etwas wie eine zweite Mutter: Ein Gespräch mit der Chefkuratorin des Salone Satellite in Mailand, der größten Möbel-Talentschau der Welt.

Frau Griffin, fangen wir mit der schwierigsten Frage an, mit der Sie sich täglich auseinandersetzen müssen: Was ist gutes Design?

Das ist ganz einfach. Design ist für mich, was nützlich ist. Was das Leben verbessert. So gesehen, ist Design die älteste Branche der Welt.

Welche Rolle hat Design in Ihrer Kindheit in Venezuela gespielt?

Den Begriff gab es damals noch nicht. Als Kind wuchs ich in einem kleinen Haus in einer Stadt namens El Callao auf, ein schönes Haus, eine große Familie, acht Brüder und Schwestern. Ich liebte Blumen, kümmerte mich um die Dekoration des Hauses. Meine Schwestern waren in der Küche, ich war im Haus unterwegs und im Garten. Arrangierte die Möbel, schüttelte Kissen auf, schnitt die Rosen.

Wann kamen Sie nach Italien und warum?

Als Jugendliche war ich das erste Mal hier, in den sechziger Jahren. Viele Lateinamerikaner zieht es in den Ferien her. Für uns ist Europa „el viejo continente“, der „alte Kontinent“. Ich konnte zwar etwas Italienisch, aber um besser zu werden, schrieb ich mich an der Uni in Perugia ein. Später zog ich nach Mailand – und blieb.

Was hat Mailand, was anderen Städten fehlt?

Ich habe mich damals bewusst gegen Paris und für Mailand entschieden, und ich liebe die Stadt seit dem ersten Tag. Mailand ist für mich „die versteckte Stadt“ – noch nach 50 Jahren finde ich hier jeden Tag neue Ecken. In Rom oder Florenz offenbart sich die Stadt, in Mailand muss man sie finden, in kleinen Gassen und Hinterhöfen. Man hat so viel zu tun den ganzen Tag. Mailand hat die besten Museen und die beste Oper der Welt. Jede Woche besuche ich die Scala, ich liebe die Oper.

Sie fingen damals als Übersetzerin bei C&B Italia an, damals die prestigeträchtigste Polstermöbelfirma Italiens.

Ja, das C stand für Cesare Cassina, das B für Piero Ambrogio Busnelli. Ich meldete mich auf eine Zeitungsannonce im „Corriere“, die suchten eine Assistentin. Ich machte alles. Papierkram, Reisen, Übersetzungen – die Leute kamen ja aus aller Welt, um den Erfolg dieser Firma, einer der ersten, die Möbel industriell fertigte, zu verstehen. Aber weder Cassina noch Busnelli konnten Englisch. Da kamen Philip Johnson, Gio Ponti, Herman Miller, Leute vom deutschen Polstermöbelhersteller Hukla. Jeden Tag waren wir in der Fabrik …

… wenn Sie nicht gerade unterwegs waren.

Kennen Sie das Buch „In 80 Tagen um die Welt“? Wir haben es in 21 geschafft. Von Mailand über Rom nach Athen, Karachi, Melbourne, Hongkong, Tokio, Los Angeles. Busnelli und Cassina waren sehr glücklich, mich zu haben, weil ich so viele Sprachen sprach. Ich war sehr froh, dort zu sein. Wir hatten keine getrennten Büros, hockten immer aufeinander. Busnelli war ein unglaublicher Mann, sehr neugierig und risikofreudig. Er verglich sich oft mit Hemingway. Als er später die Anteile von Cassina kaufte, nannte er die Firma in B&B Italia um. Er scherzte immer, „B&B“ stünde für „Banks & Busnelli“, weil die ihm das Geld gegeben hatten.

War das der Zeitpunkt, an dem Sie wussten: Jetzt gehe ich?