Leben & Gene

Im Gespräch: Das Gespür für Kälte

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Die Forsythienblüte markiert den Beginn des Erstfrühlings. Das Wetter kann trotzdem noch für Überraschungen sorgen.

Langsam wird es Zeit, dass der Frühling endlich kommt. Die Molekularbiologin Caroline Dean erforscht, woran Pflanzen das merken.

Frau Dean, der Winter will scheinbar kein Ende nehmen. Das Wetter mutet Ihren Forschungsobjekten einiges zu. Sehnen die sich nicht ebenfalls nach Frühling?

Es ist unglaublich. Man kann förmlich sehen, wie die Pflanzen sich zurückhalten. Dabei sind sie längst bereit, bald aufzublühen.

Gerade wurden Sie in Paris mit einem der L’Oréal-Unesco-Preise für Frauen in der Wissenschaft ausgezeichnet und waren in ein umfangreiches Programm eingebunden. Hatten Sie trotzdem noch Augen für das Knospen im Freien?

Ich achte eigentlich immer und überall darauf, wann Pflanzen blühen. Vor allem, ob ich irgendwo Arabidopsis finden kann, um etwas Anschauungsmaterial zu haben, wenn ich Vorträge halte. Kennen Sie diese Pflanze?

Ja, die Ackerschmalwand. Ein eher unscheinbares Kraut, im Labor beliebt, weil sich daran die Genetik gut erforschen lässt. Aber die meisten Menschen interessieren sich mehr für Tulpen, Narzissen oder die Obstbaumblüte. Geht es Ihnen nicht ähnlich?

Tatsächlich hat mich das ursprünglich für diese Forschungsrichtung begeistert, als ich bemerkte, welchen Einfluss der Wechsel der Jahreszeiten hat. Dass zum Beispiel alle Kirschbäume einer Region innerhalb von wenigen Tagen blühen. Diese Synchronität fand ich schon immer faszinierend. Ich wuchs im Norden von England auf, wo die Jahreszeiten klar abgegrenzt sind, ganz anders als zum Beispiel in Kalifornien. Dort sind die Unterschiede weniger ausgeprägt, und doch sind die Pflanzen ebenso davon beeinflusst.

Als Sie Anfang der 1980er Jahre als Postdoktorandin nach Kalifornien kamen, nahm die moderne Molekularbiologie gerade erst ihren Anfang.

Damals wusste niemand, wie Pflanzen das alles auf der molekularen Ebene regulieren. Aus dieser Zeit stammt eine lustige, aber wahre Anekdote. Ich bekam Heimweh und ging in eine Gärtnerei, um ein paar Tulpenzwiebeln zu kaufen. Der Verkäufer riet mir, sie vor dem Eintopfen sechs Wochen in den Kühlschrank zu legen. Für mich war das ein Aha-Erlebnis, sie warten also nicht nur auf Wärme, sondern brauchen vorher eine Kälteperiode, für die in England der Winter sorgt. Im Fachjargon nennen wir das Vernalisation.

Der eine Satz zog Sie in den Bann?

Darauf beruhen meine Projekte der vergangenen dreißig Jahre, wenn man so will. Als ich ein paar Jahre später nach England zurückkehrte und meine erste eigene Laborgruppe aufbauen konnte, wollte ich Vernalisation und Blütezeit ergründen. Also herausfinden, wie Pflanzen auf den Winter reagieren. Von der Biochemie dahinter hatten wir noch keine Ahnung, den Antworten näherten wir uns auf genetischem Wege. Indem wir mutierte Gewächse und deren Gene sowie Proteine erforschten, kamen wir ihren Mechanismen auf die Spur.

Und die kennt man inzwischen?

Einige Gene sind bekannt, vor allem der „Flowering Locus C“. Dieser führte uns zu einem Protein, das in Arabidopsis wie eine Blühbremse funktioniert, und das gilt für die meisten Brassicaceae, zu denen unter anderem Kohl und Broccoli zählen. Solange das Gen aktiv ist, sammelt sich dieses Protein an, und die Pflanze bildet zwar Blätter, aber keine Blüten. Selbst wenn die Tage wärmer und länger werden, bleibt sie im vegetativen Stadium. Über den Winter hinweg sorgen epigenetische Veränderungen jedoch dafür, dass die Bremse in allen Zellen wieder gelockert wird. Kälte legt allmählich den Genschalter um, die Pflanze kann auf die Wärme reagieren und fängt an zu blühen.

Ist das eine Art Gedächtnis?

Ja, und wenn Sie ein Stück abschneiden und daraus eine neue Pflanze ziehen, wird sich auch diese an die Kälteerfahrung erinnern. Diese Regulierung von Genaktivitäten nutzt übrigens der menschliche Körper ebenfalls.