Essen & Trinken

Geschmackssache: Land und Meer auf dem Teller in perfekter Balance

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Jedes Details zählt: ein Zusammenspiel von Naturtönen auf schwarzem Stein

Stéphane Diffels hat in seinem Leben viele Volten vollführt. In seinem Restaurant „L’Air de Rien“in der tiefsten Wallonie ist damit Schluss – zum Glück für ihn und uns.

Im frühen 21. Jahrhundert räumt ein gar nicht mehr so junger Mann Regale in Lütticher Supermärkten ein. Nach bürgerlichen Kriterien kann man nicht anders, als ihn eine verkrachte Existenz zu nennen: abgebrochenes Studium der Kommunikationswissenschaften, sangloses Scheitern in Psychologie, ein lustloses Dasein als Barkeeper, schließlich ganz unten im Lageristenproletariat. Doch in unserem Tunichtgut lodert eine Leidenschaft: Er kocht für sein Leben gern und beschließt mit dreiunddreißig Jahren, Chef zu werden, statt Depp zu bleiben.

Ein paar Abendkurse an einer Hotelfachschule und drei Hospitanzen in Lokalen von durchwachsener Qualität sind ihm Erfahrung genug, um 2009 in einem winzigen Weiler südlich von Lüttich, in dem er inzwischen wohnt und sich nicht einmal Fuchs und Hase gute Nacht sagen, eine Ruine zu kaufen und sie in ein Restaurant zu verwandeln. Demnächst muss er es wieder schließen. Es platzt aus allen Nähten und wird durch ein weit größeres Haus im selben Ort ersetzt.

Stéphane Diffels ist zwar kein Millionär und war auch nie Tellerwäscher, aber seine Geschichte würde jedes Selfmademan-Märchenbuch schmücken. Wenn man sich indes dem Dörfchen Fontin hoch über dem Tal des Flusses Outrhe nähert, einem menschenleeren Häuserhaufen rund um eine grimmige, graue Kirche, hält man sie für eher unglaubwürdig als für unglaublich. Doch plötzlich steht man vor einem unscheinbaren Bruchsteinhaus, tritt durch eine niedrige Milchglastür in einen kaum wohnzimmergroßen Gastraum und wird vom Patron begrüßt, einem stillen, zurückhaltenden Mann von fünfundvierzig Jahren mit Glatze, Hipster-Bart, Existentialistenbrille und einem feinen Sinn für Selbstironie: „L’Air de Rien“ hat er sein Restaurant genannt nach einer Redewendung im Französischen, „als wäre nichts gewesen“, so kann man sie übersetzen.

Verblüffend aufregender Gang

Davon kann keine Rede sein, denn Stéphane Diffels Lokal und Küche sind viel mehr als nichts: eine Art „Nobelhardt&Schmutzig“ en miniature in der hintersten Wallonie, in dem eine radikal regionale Küche als Tapas-Menü auf den Tisch kommt, kaum mit Gewürzen, dafür viel mit Kräutern gearbeitet und zur Geschmacksintensivierung auf alte Methoden wie Fermentieren, Beizen oder Räuchern zurückgegriffen wird. Mit Ausnahme der Fische und Meeresfrüchte und einiger Öle kommen sämtliche Produkte aus einem Umkreis von fünfzig Kilometern rund um das Restaurant, sagt Diffels, der seinen Stil ganz ohne großstädtischen Hipster-Hype als „Cuisine de terroir contemporaine“ bezeichnet. Und es versteht sich von selbst, dass er auch Mitglied bei der „Generation W“ ist, einer furios erfolgreichen Vereinigung von Spitzenköchen aus der Wallonie, die gemeinsam mit ambitionierten lokalen Produzenten die kulinarische Vielfalt der Region stärken, fördern und verbessern wollen.