Gesellschaft

Autismus in der Arbeitswelt: Wie guckt der Chef, wenn er sich ärgert?

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Besondere Fähigkeiten: Ein Mitarbeiter des Unternehmens Auticon während der Arbeit.

Menschen mit Autismus haben meist besondere Begabungen, trotzdem sind sie häufig arbeitslos. Aber es gibt Auswege. Jetzt soll ihnen sogar ein Roboter helfen. Mit Selbsttest.

Wenn Alyx überrascht ist, gehen ihm buchstäblich die Augen über. Sie ploppen aus seinem silbrigen Metallkopf heraus, als seien sie Teil eines missglückten Halloween-Scherzes. Wenn er sich fürchtet, zittert sein Kinn auf übertriebene Art. Und wenn Alyx seinem Gegenüber positives Feedback geben möchte, dreht er seinen Kopf zur Seite und senkt ein metallenes Augenlid zu einem verschwörerischen Zwinkern. Alyx ist ein humanoider Roboter. Er ist ungefähr so groß wie ein 12 Jahre altes Kind und kann sich auf Rollen durch den Raum bewegen. Sein comic-ähnlich aussehendes Gesicht dient aber nicht etwa Unterhaltungszwecken, sondern einem durchaus ernsten Vorhaben: Alyx soll Menschen mit Autismus dabei helfen, fit für die Arbeitswelt zu werden.

Autismus ist eine soziale Interaktionsstörung, die seit Filmen wie „Rainman“ oder Serien wie „The Big Bang Theory“ auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist. Charaktere wie Sheldon Cooper kommen als liebenswert-nerdige Hochbegabte daher. Autismus umfasst aber weit mehr: Mediziner sprechen von einer „Spektrumsstörung“, weil kein Autist dem anderen gleicht. Manche sind über-, manche unterdurchschnittlich intelligent, manche entwickeln Spezialinteressen, denen sie sich intensiv widmen, manche haben Schwierigkeiten mit starken äußeren Reizen. Viele Menschen aus dem autistischen Spektrum haben Probleme in der alltäglichen Kommunikation, etliche ungewöhnliche Begabungen.

Das führt oft zu dem Paradoxon, dass sich fachlich hochkompetente Menschen auf dem Arbeitsmarkt schwertun. Zwar haben manche Arbeitgeber die Chance erkannt, die in der Beschäftigung von Autisten liegen kann – sowohl für das Unternehmen als auch für den Autisten selbst. Trotzdem ist noch immer ein Großteil der Menschen mit Autismus nicht im regulären Arbeitsmarkt integriert.

Hajo Seng ist einer, der es geschafft hat. Der 55 Jahre alte Softwareentwickler ist als technischer Projektleiter in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg beschäftigt. Seine Biographie liest sich krumm: Ein abgebrochenes Studium- erst viele Jahre später gelang ihm noch ein Abschluss in Mathematik. Ein gescheiterter Promotionsversuch, häufige Arbeitsplatzwechsel. Die Inhalte waren es aber nicht, die Seng Schwierigkeiten bereiteten. „Den Arbeitsplatz als sozialen Ort zu verstehen, unausgesprochene Erwartungen erkennen, Subtexte zu dienstbezogenen Gesprächen wahrnehmen und so weiter – ich bin in solchen Dingen sehr schlecht“, sagt Seng.

Wenn das Lob als Kritik ankommt

„Autisten sind meist nicht deshalb arbeitslos oder unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt, weil sie die Aufgaben nicht gut erledigen könnten. Sie kommen aber im Arbeitsumfeld nur schlecht klar“, bestätigt der Psychologieprofessor Gnanathusharan Rajendran, der an der Heriot Watt Universität in Edinburgh lehrt und einer der Erfinder von Roboter Alyx ist. Zwischen einem und 1,2 Prozent der Weltbevölkerung sind von Autismus betroffen. In Deutschland haben nach Schätzungen des Soziologieprofessors Matthias Dalferth lediglich zwischen fünf und zwölf Prozent von ihnen einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Bei den Personen mit dem sogenannten hochfunktionalen Autismus oder „Aspergersyndrom“, einer Form, die oft mit Intelligenzspitzen einhergeht, gehen dagegen etwa 35 bis 45 Prozent einer Beschäftigung nach.