Gesellschaft

Chef des Bundeskanzleramtes: Träumt vom Einsatz im Notarztwagen

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Heiter, gelassen und betont optimistisch: Der Gießener Helge Braun (CDU) würde in einer Neuauflage der Großen Koalition zwischen SPD und CDU Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes unter Angela Merkel.

Der Gießener Mediziner Helge Braun soll im Falle des Zustandekommen einer Großen Koalition Chef des Bundeskanzleramtes unter Angela Merkel werden. Er ist ein Mann der leisen Töne.

Hessens neuer starker Mann in Berlin ist keiner, der gern auf die Pauke haut, schon gar nicht öffentlich. Für Helge Braun (CDU) ist Lautstärke kein Argument, er verdankt seine Karriere anderen Qualitäten: Überzeugungskraft, Loyalität und der Fähigkeit, unterschiedliche Positionen zusammenzuführen. Nun soll der 45Jahre alte Mediziner aus Gießen, falls sich in der SPD eine Mehrheit für die große Koalition findet, neuer Kanzleramtschef werden. Der Mann der leisen Töne, bisher Staatsminister im Kanzleramt, rückt damit von der zweiten in die erste Reihe, wird zu Angela Merkels (CDU) rechter Hand.

Braun nahm die in Aussicht gestellte Beförderung gestern in seiner typischen Art zurückhaltend, fast demütig zur Kenntnis. „Das ist ein großer Vertrauensbeweis, über den ich mich sehr freue“, teilte er mit. Er wolle die Herausforderung gern annehmen und dazu beitragen, dass eine mögliche große Koalition gut zusammenarbeiten und schnell wichtige Entscheidungen treffen könne.

Ein Mann der argumentieren, aber auch zuhören kann

Als ihn die Delegierten eines Parteitages im Mai vergangenen Jahres mit 93,5 Prozent zum Spitzenkandidaten der Hessen-Union für den Bundestagswahlkampf wählten, war dies nicht das beste Ergebnis. Es wurde von den beiden nachfolgenden Listenbewerbern, dem Finanzstaatssekretär Michael Meister und der Odenwälder Bundestagsabgeordneten Patricia Lips, noch um ein paar Prozentpunkte übertroffen. Das mag auch an der wenig kämpferischen, fast betulich vorgetragenen Bewerbungsrede Brauns gelegen haben. Ein großer Rhetoriker ist er wahrlich nicht.

Gemütlich wirkt Braun schon wegen seiner Leibesfülle. In Hintergrundgesprächen und politischen Diskussionen präsentiert er sich heiter, gelassen und betont optimistisch. Ein Mann der argumentieren, aber auch zuhören kann. Viele empfinden das als extrem wohltuend bei einem Spitzenpolitiker. Doch es gibt auch Kritiker. Die beschreiben Braun als „bodenständig“ oder gar als langweilig. Mancher in der Bundes-CDU zweifelt noch, ob die Kanzlerin mit ihrer Personalentscheidung tatsächlich ein gutes Händchen bewiesen hat.

Vielleicht wird Braun aufgrund seiner Zurückhaltung aber auch einfach nur unterschätzt. Die Kanzlerin möge ihn, weil er ihr in vielem ähnlich sei, heißt es in Wiesbaden: diszipliniert, zuverlässig und diskret. Der Arzt und die Physikerin verstünden sich blendend.

Seit 2015 Koordinator für Flüchtlingsfragen

Braun ist Katholik und zog 2002 zum ersten Mal in den Bundestag ein. 2005 scheiterte er bei der Direktwahl gegen seinen SPD-Konkurrenten und konnte auch über die Landesliste nicht in den Bundestag einziehen. Nach seiner Rückkehr nach Berlin im Jahr 2009 wurde er Staatssekretär im Ministerium für Bildung und Forschung und vier Jahre später Staatsminister im Kanzleramt. In dieser Position koordinierte er unter anderem die Bund-Länder-Beziehungen, war für das Programm Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung zuständig. 2015 machte ihn die Kanzlerin zum Koordinator für Flüchtlingsfragen.

Braun studierte in seiner Heimatstadt Medizin, ist Anästhesist und Notfallmediziner. 2007 promovierte er über den Einfluss intraoperativer Tachykardien (Herzrasen während einer Operation) auf die postoperative Prognose. Seinen Beruf als Arzt vermisse er immer dann, wenn er im Kanzleramt von besonders viel Bürokratie aufgehalten werde, schreibt Braun auf seiner Internetseite. „Dann träume ich schon davon, im Notarztwagen zu sitzen, mal wieder praktischer zu arbeiten.“

In solche Phantasien wird sich Braun wohl auch künftig flüchten müssen. Als Kanzleramtsminister übernimmt er eine der härtesten Aufgaben in der deutschen Politik. Er ist quasi für alle Themen zuständig, freie Wochenenden wird es nicht mehr geben. Viel Freizeit hat der designierte Aufsteiger allerdings schon jetzt nicht. Politik sei gleichermaßen Beruf und Hobby, sagt Braun. Zum Ausgleich arbeite er wann immer möglich mit seiner Frau Katja im Garten, gehe auf dem Wochenmarkt einkaufen oder treffe sich mit Freunden.