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Vor Mays Brexit-Rede: Gereizte Stimmung

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Donald Tusk und Theresa May am Donnerstag in London

Die irische Grenzfrage steht wieder im Zentrum der Austritts-Verhandlungen. Vor Theresa Mays Grundsatzrede zum Brexit überziehen sich Brüssel und London mit Drohungen.

Donald Tusk kam am Donnerstag nach London, um die Regierung um eine „bessere Idee“ zu bitten, wie eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland verhindert werden kann. So hatte sich der EU-Ratspräsident jedenfalls kurz vor seiner Abreise ausgedrückt. Nach seinem Lunch in Downing Street mit Premierministerin Theresa May war er dann nicht mehr zu sehen. Noch bevor Tusk London verließ, hatte der EU-Verhandlungsführer Michel Barnier in Brüssel nachgelegt: Britanniens Absicht, aus der Zollunion auszutreten, sagte er, hätte „Konsequenzen“.

Die Atmosphäre zwischen London und Brüssel nähert sich gerade einem neuen Frostpunkt, und es passte ins Bild, wie sich Tusk am Donnerstag gegen den Schneesturm in Whitehall stemmte. Vor sechs Tagen hatte Tusk die neue Linie der britischen Regierung – eine dreifach abgestufte Freihandelszone – als „pure Illusion“ zurückgewiesen. Dann bezeichnete May die Position der Europäischen Union in der Irlandfrage als „Bedrohung der britischen Verfassungsintegrität“.

Am Donnerstag hob Tusk kurz vor seiner Abreise hervor, dass der von London angestrebte „reibungslose Handel“ mit der EU nur als Mitglied im Binnenmarkt und in der Zollunion möglich sei. Derweil erinnerte Brexit-Minister David Davis noch einmal daran, dass die Briten die sogenannte Scheidungsrechnung nur begleichen würden, wenn am Ende „in allen Bereichen“ Lösungen gefunden worden sind.

Es ist vor allem die irische Grenzfrage, die nun wieder im Zentrum der Austrittsverhandlungen steht. Aus der Sicht der EU-Kommission, die laut Tusk von allen Mitgliedstaaten geteilt wird, gibt es nur eine Lösung, um eine „harte Grenze“ zu vermeiden, und das ist eine „common regulatory area“ – also die volle Übereinstimmung von Handelsstandards und Regeln im Norden und im Süden der irischen Insel.

Dies ist nach Lesart der EU wiederum nur durch den Verbleib Britanniens in der Zollunion (und wohl auch im Binnenmarkt) möglich. Eben dies hat die Regierung in London aber ausgeschlossen. Die Mitgliedschaft in einer Zollunion würde ihr verbieten, eigene Handelsverträge abzuschließen, und der Verbleib im Binnenmarkt würde sie hindern, die drei Kernziele des Brexit zu erreichen: „die Kontrolle zurückzugewinnen über unsere Gesetze, unsere Grenzen und unser Geld“, wie es May am Mittwoch noch einmal im Unterhaus zusammenfasst hatte.

Auch innenpolitisch steht May unter Druck

Dem Vorwurf von Außenminister Boris Johnson, die Grenzfrage werde „politisch genutzt“, um das Königreich zum Verbleib in den beiden Zusammenschlüssen zu zwingen, schloss sich am Donnerstag der frühere Tory-Vorsitzende Iain Duncan Smith an. Die EU sei dafür verantwortlich, dass sich die Lage so festgefahren habe, sagte er – allerdings leiste auch London einen Beitrag zu den „unnötigen Spannungen“. Er wünschte sich, die konservative Regierung hätte „viel mehr Details“ zur Lösung der Grenzfrage präsentiert, gehe aber davon aus, dass May in ihrer Grundsatzrede an diesem Freitag eine „klare Idee“ dazu formulieren werde. Diese hatte die Premierministerin mit ihrem Kabinett abgestimmt, kurz bevor sie Tusk am Donnerstag empfing.

Klappern gehört zum Handwerk von Verhandlungsführern, weshalb der Schlagabtausch mit Brüssel im Londoner Regierungsviertel bislang eher sportlich genommen wird. Größeres Kopfzerbrechen bereitet May gerade der innenpolitische Druck. Der ist beträchtlich gestiegen, seit sich Labour-Chef Jeremy Corbyn Anfang der Woche für den Verbleib in „einer Zollunion“ ausgesprochen und dabei die seltene Erfahrung gemacht hatte, dass ihm Teile der Wirtschaft applaudierten. May kann sich ihrer Mehrheit im Parlament in dieser Angelegenheit nicht mehr sicher sein, denn auch in ihrer eigenen Fraktion halten viele eine Zollunion mit der EU für die vernünftigste Lösung. Noch ist nicht klar, wann es zu einem Votum im Parlament kommen wird, aber in dieser Schlüsselfrage überstimmt zu werden, wäre für May weitaus bedrohlicher als die Niederlage, die sie im Dezember im Unterhaus erlitten hatte.

Die Aufgeregtheit, die sich in den Tagen vor Mays neuester „Schlüsselrede“ zum Brexit aufgebaut hat, machten sich gleich zwei ehemalige Premierminister zunutze und stiegen ihrerseits in den Ring. Am Mittwoch forderte John Major, der in den neunziger Jahren regiert hatte, seine Nachfolgerin auf, das Parlament über das Verhandlungsergebnis im Herbst ohne Fraktionszwang abstimmen zu lassen oder ein zweites Referendum in die Wege zu leiten.

Er sprach von der Notwendigkeit, die Spaltung, die der Brexit hinterlassen hat, zu „heilen“ – aber Major, der die Euroskeptiker in seiner Partei einmal als „Bastarde“ bezeichnet hatte, gilt nicht gerade als das Ideal eines Schlichters. Das gilt noch weniger für Tony Blair, der am Donnerstag nach Brüssel aufbrach, um dort für einen neuen Kurs zu werben. Er werde die EU auffordern, ihre Einwanderungspolitik zu reformieren, um den Briten eine Brücke zurück in die Europäische Union zu bauen, hieß es vor seiner Abreise. Denn der Brexit sei ein „Schicksalsfehler“.