Weltraum

Gefahr durch Weltraumschrott: Abstürzende Himmelspaläste

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Eine Sojus-Kapsel möchte nicht jeder im Garten haben. Doch im Altai-Gebirge muss man damit rechnen, dass ab und zu etwas Kosmonautisches runterkommt.

Ständig spähen Raumfahrtexperten mit großem Aufwand ins All hinaus, um Weltraumschrott zu überwachen. Ein solches Teil wird bald auf die Erde stürzen – es ist ein ziemlich großes.

Es ist nur ein unscheinbarer Punkt auf einer Weltkarte, den sich Holger Krag von der europäischen Weltraumorganisation Esa auf seinem Monitor anschaut. Jetzt, um 11:25 Uhr am Freitag, den 19. Februar, befindet sich der Punkt über dem Südatlantik, ziemlich genau in der Mitte zwischen Argentinien und Südafrika. Innerhalb der nächsten 90 Minuten wird er abermals die gesamte Erde umrunden. Er markiert die exakte Position von „Tiangong-1“, dem „Himmelspalast“. Die erste chinesische Raumstation begann ihren Dienst 2011 in einer etwa 380 Kilometer hohen Umlaufbahn. Im März 2016 brach der Kontakt ab. Seitdem fliegt Tiangong-1 mit 25.000 Kilometern pro Stunde unkontrollierbar um die Erde. Allerdings nicht für immer. Reste der Erdatmosphäre bremsen ihren Flug, wodurch sie absackt. Derzeit ist sie noch etwa 280 Kilometer hoch, doch bald wird der busgroße und 8,5 Tonnen schwere Palast auf die Erde krachen. Für Holger Krag ist das nichts Besonderes.

„Jedes Jahr treten etwa 50 Objekte in die Erdatmosphäre ein, die über eine halbe Tonne wiegen“, sagt der Leiter des „Space Debris Office“ der Esa, also der für den Weltraumschrott zuständigen Stelle der Europäer. Tiangongs bevorstehender Absturz mag kein herausragendes Ereignis sein. Dennoch verfolgen die Experten die Station mit Aufmerksamkeit und modernsten Methoden, um bei ihrem Eintritt in die Atmosphäre etwas über die Physik dahinter zu lernen. Die ist nämlich alles andere als simpel.

Irgendwo zwischen Florenz und Kapstadt

Das erkennt man schon daran, dass der Zeitpunkt des Wiedereintritts noch unklar ist. Der Monitor, auf dem Tiangong als Punkt über den Südatlantik schwebt, steht in einem kleinen Raum des Europäischen Raumflugkontrollzentrums Esoc in Darmstadt. Außer Krag sind noch zwei Mitarbeiterinnen seines dreizehnköpfigen Teams hier. Krag klickt den Punkt an, und es erscheint die Prognose: Irgendwann zwischen Mitte März und Mitte April wird Tiangong auf die Erde stürzen. Und zwar irgendwo südlich von Florenz und nördlich von Kapstadt. Genaueres weiß man derzeit nicht.

Für ihre Prognose berücksichtigen die Forscher die Erdanziehung, die an jeder Stelle der Erde ein bisschen anders ist, die Anziehungskraft des Mondes und der Planeten, den sanften Druck des Sonnenlichtes und den Widerstand der Atmosphäre. „Die genauen Verhältnisse in der Atmosphäre hängen von der Sonnenaktivität ab“, sagt Krag. Und die könne man kaum vorhersagen, was zu der großen Unsicherheit führe. Auch wenn die Forscher die Station auf ihrer letzten Erdumrundung mit einem Radar erwischen und ihre Geschwindigkeit bestimmen, werden sie den Absturzzeitpunkt lediglich auf etwas weniger als eine Stunde genau abschätzen können. „In diesem Zeitraum kann sie noch bis zu 30.000 Kilometer weit fliegen“, sagt Krag. Das bedeutet, dass die Absturzstelle irgendwo auf einem Streifen liegen wird, der sich um die halbe Erde zieht.

Sobald Tiangong auf die dichteren Schichten der Atmosphäre trifft, wird die Hitze die Aluminiumhülle schmelzen. Komponenten aus Edelstahl oder Titan könnten die Reibungshitze jedoch überstehen und zu Boden stürzen. „So über den Daumen gepeilt kommen bis zu 40 Prozent durch“, sagt Krag. Das Risiko, dass diese Teile einen Menschen verletzen, sei jedoch „sehr, sehr gering“. In der gesamten Geschichte der Raumfahrt sei das noch nicht vorgekommen.

Dennoch nimmt Krag das Thema ernst. Bei jeder geplanten Mission berechnen er und sein Team, wie viel Schrott am Ende auf die Erde fallen wird. Wenn sich dabei herausstellt, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Unfall die Grenze von 1 zu 10.000 überschreitet, müssen die Ingenieure einen kontrollierten Wiedereintritt planen. „Das haben wir mit dem europäischen Transportschiff ATV fünfmal gemacht“, erinnert sich Krag. Jedes Mal ist das ATV dabei in den Südpazifik gestürzt. Einen solchen Absturz haben die Experten gefilmt. Krag öffnet das Video. Deutlich ist das glühende, 20 Tonnen schwere Raumschiff zu sehen. „Bei 75 Kilometern Höhe haben wir eine Explosion vorhergesagt, weil da die Treibstoffleitungen freiliegen dürften“, sagt Krag. Tatsächlich wurde die Kapsel in dieser Höhe in viele glühende Bälle zerrissen.