Gesellschaft

Fixierung von Patienten: „Was soll man da um Gottes willen machen?“

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Unmenschlich – oder notwendiges Übel? Immer wieder müssen Pfleger ihre Patienten fixieren, um sich selbst zu schützen.

Dürfen Ärzte Patienten in Psychiatrien fixieren? Darüber verhandelt derzeit das Bundesverfassungsgericht. Andreas Heinz, Psychiatrie-Direktor in Berlin, spricht im Interview über ein notwendiges Übel, Patienten, die Pfleger mit Glasscherben angreifen – und Gesetze, die er katastrophal findet.

Herr Heinz, am Verfassungsgericht in Karlsruhe wird bis Mittwoch darüber verhandelt, ob Richter künftig über eine Fixierung von Patienten in Psychiatrien entscheiden müssen. Ist das eine weltfremde Vorstellung?

Ich fände es gut, wenn ein Richter das regelmäßig überprüft. Aber vor der ersten akuten Fixierung geht das nicht. Was soll man da um Gottes willen machen? Wir hatten bei uns an der Charité in Berlin kürzlich einen Patienten, der hat versucht, mit einer Spiegelscherbe einem meiner Pfleger die Leber rauszuschneiden. In seiner Psychose dachte der Patient, dass der Pfleger ein Alien wäre, den er nur so daran hindern könnte, ihn zu töten. Was machen Sie denn mit so einer Person? Sie können den nicht festhalten, bis der Richter kommt.

In Großbritannien wird ohne Zwangsfixierungen gearbeitet.

Ja, weil dort sehr schnell sehr stark mediziert wird – auch gegen den Willen der Patienten. Das ist in vielen deutschen Bundesländern seit einigen Jahren nicht mehr erlaubt, wenn der Kranke nur andere gefährdet – und nicht sich selbst. Das geht auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zurück. Alle Länder haben das anders ausgelegt, aber in Berlin dürfen wir bei Fremdgefährdung nur isolieren und sedieren – aber keine Medikamente zum Beispiel gegen die Psychose verabreichen. Das halte ich für ganz falsch, denn damit ist die Fixierung ein Fremdschutz, der nichts an der Situation ändert. Wenn Drogen im Spiel sind, kann das helfen, dann beruhigen sich die Leute. Aber es gibt Patienten, die bleiben in ihrer Manie sehr lange sehr aggressiv. Wir hatten das erste Mal seit zehn Jahren jetzt wieder einen Patienten mit Manie und Drogeneinfluss, der war eine ganze Woche lang hochgradig fremdaggressiv und musste immer wieder fixiert werden.

Wieso?

Wenn wir ihn losgemacht haben, hat er versucht, dem Pflegepersonal mit dem Feuerlöscher den Schädel einzuschlagen, es mit Kot zu beschmeißen, oder das Waschbecken aus der Wand zu reißen. Das kommt ganz selten vor. Aber diese Menschen durchleben in ihrer Psychose den schlimmsten Horrorfilm und haben das Gefühl, dass um sie herum alles inszeniert und lebensbedrohlich ist: Wie in einem Zombiefilm, in dem der letzte Ausweg ist, alle zu töten. Ich finde es unmenschlich, dass jemandem in der Situation nicht geholfen werden darf, wenn er „nur“ andere Menschen gefährdet. Oft schämen sich die Patienten später ja auch furchtbar dafür.

In den Niederlanden werden Patienten in Einzelzimmern isoliert. Ist das nicht besser, als sie anzubinden?

Das machen wir auch. Das Problem ist, wenn jemand seinen Kopf gegen die Wand schlägt oder die Menschen angreift, die mit ihm in diesem Raum sind. Im Augenblick ist es so, dass bei einer Isolierungsmaßnahme ein persönlicher Zuspruch gewährleistet sein muss. Das ist extrem wichtig, es muss auch immer jemand dabei sitzen, wenn ein Patient am Bett fixiert ist. Er soll sich ja beruhigen, da kann man ihn nicht alleine lassen. Viele Patienten bedrohen bei uns insbesondere die Frauen, die dabei sitzen müssen, mit allen möglichen Grausamkeiten, bis hin zur Vergewaltigung. Das ist für die Schwestern oft kaum auszuhalten.