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Delikatessen aus aller Welt: Der Norden kann mehr als Fischbrötchen

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André Münch in seinem Restaurant „Der Butt“

Fischbrötchen ist an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns nicht der kulinarischen Weisheit letzter Schluss. Wie er lautet, kann man in André Münchs Rostocker Restaurant „Der Butt“ erfahren.

Man sollte seine Kinder nicht zu früh zu hart herannehmen, sonst gehen sie früher oder später von der Fahne. Der kleine André zum Beispiel, Spross einer Castrop-Rauxeler Abrissunternehmerfamilie, musste, eben weil er so klein war, schon in jungen Jahren unter die Lastwagen kriechen, um mit der Schmierpresse die Hydraulik in Schuss zu halten. Jetzt ist der kleine André groß wie ein Hüne und stark wie ein Bär und sagt, dass es noch schlimmer gewesen sei, den Schutt in den Containern zu trennen, wenn die Dachdecker wieder einmal alles durcheinandergeschmissen hätten.

Also suchte sich André Münch eine feinmotorischere Beschäftigung. Er tauschte Schmier- gegen Olivenöl und Presse gegen Pinzette, wurde Koch, lernte in guten Häusern, holte sich beim Drei-Sterne-Meister Jean-Claude Bourgueil den letzten Schliff, bekam bald seine eigenen Sterne, packte schnell noch ein Wirtschaftsstudium obendrauf und fand schließlich im Osten Deutschlands seine Heimat und seine Liebe. Seit kurzem kocht er im „Butt“ an der Hohen Düne bei Rostock, hat dabei freien Blick auf die Ostsee und sich somit auch topographisch maximal von seiner Castrop-Rauxeler Familientradition entfernt.

Delikatessen aus aller Welt statt Ostseefisch

Mecklenburgisch-vorpommerischer Lokalpatriot ist André Münch jedoch nicht geworden, zumindest nicht kulinarisch. Sein Restaurant, das zu einem weitläufigen Komplex aus Luxushotel, Yachthafen und Urlaubsresidenzen im neo-neoklassizistischen Stil der globalisierten Ferienarchitektur gehört, residiert zwar direkt am Wasser im dritten Stock eines Pavillons mit großen Glasfronten, macht aber trotzdem weder den Fischen der Ostsee noch den Ackerfrüchten der Seenplatte dahinter die Honneurs. Stattdessen geben sich Delikatessen aus aller Welt bei den Gängen die Klinke in die Hand.

Beim ersten Küchengruß werden sie noch auf einem Glasteller serviert, unter dem Sand, Muscheln und Seesterne liegen, doch das war es dann auch schon mit der Heimatkunde. Denn darauf machen es sich ein Thunfisch-Tataki mit Sesam-Soja-Mayonnaise, ein Backfisch aus Kaisergranat von der dänischen Atlantikküste, ein Chip mit Büsumer Krabben und ein klassisches Hummerschaumsüppchen bequem.

Und gleich danach gibt es auf einem Vesperbrett eine feine, pralinenkleine Variation vom Strammen Max mit pochiertem Wachtelei und Schinkenschaum, ein grandioses Rindertatar mit Kaviar in einer echten Kaviardose und ein Gänselebertörtchen mit Feige und Apfelgelee – lauter kunstvolle Kostproben von André Münchs feinmotorischem Können, das man diesem Koloss mit Bart und Zopf auf den ersten Blick gar nicht zutraut.

Mit schönen Überraschungen geht es nahtlos weiter. „Ungarische Königin“ nennt er schelmisch seinen Carabinero, der wild vor der Küste Andalusiens gefangen, gebraten und in Tempura-Teig gebacken wird, um sich dann plötzlich inmitten von Tomaten, Paprika und schwarzem Knoblauch in der Puszta wiederzufinden. Denn Münch gießt eine Gulaschsauce an, die nach klassischer Art, nur mit Krustentieren statt Rindfleisch, angesetzt wird und trotzdem ganz und gar nach den wilden Reitern vom Balaton schmeckt – eine verblüffende Kombination, die nur Gewinner kennt, weil der Carabinero mit seiner neuen Heimat kein bisschen fremdelt und das Gulasch durch das feine, feste Fleisch der Königin aus dem Reich der Meerestiere aromatisch geadelt wird.

Danach wird beim „Curry-Butt“ ein ganzer Ozean aufgetischt: eine dicke, saftige Tranche vom Steinbutt, der im kalten Atlantik geangelt wurde, eine Jakobsmuschel, die Dill grün gefärbt hat, und Miesmuscheln in der Schale, die man mitessen kann, weil sie aus Frühlingsrollenteig mit Sepia-Tinte bestehen. Wie Meeresschaum wird das alles von einer aufgeschäumten Currysauce umspielt, wie angeschwemmte Algen liegen Fenchel und grüne Mango auf dem Teller, wie Treibgut mischen sich Tortelloni mit Curryfüllung dazwischen. Und schließlich finden sich als Flaschenpost aus dem Land der Bouillabaisse noch ein paar Tupfer Sauce Rouille in diesem wunderbaren ozeanischen Kulinarium.

Zarte Praline aus der Entenkeule

Der fabelhafte Feinmotoriker André Münch lässt es auf dem Teller aber auch gerne krachen. Der „Ententanz“ zum Beispiel ist das getreue Geschmacksabbild seiner barocken Figur, ein Gericht voller Wucht und Kraft und Lust am Überborden, das trotzdem immer seine Grenzen kennt. Die Entenbrust stammt selbstverständlich aus Challans, wird verschwenderisch in Trüffeljus getränkt, von seidigem Selleriepüree umschmeichelt und von einer Praline aus der Entenkeule begleitet, die so zart ist, als käme sie direkt aus der Patisserie. Und als hochwillkommener, keinesfalls überflüssiger Aromenzierrat gesellen sich noch frittierter und als Creme servierter Grünkohl und Rotkohl in den Variationen Schaum, Gel und Espuma dazu.

Danach ist man eigentlich reif für einen langen Strandspaziergang, doch André Münch hat noch nicht genug. Er tischt als „BBQ“ ein mächtiges Stück Rinderfilet aus Nebraska auf, das mit Rohmilchbutter und Rosmarin kräftig in der Pfanne aromatisiert wird, bestreicht es mit sirupartig eingekochter Barbecue-Sauce, reicht dazu Babymais, Perlzwiebeln, Avocados und grünes Tomaten-Chutney – und schafft es wieder, das Kolossale und Feingliedrige in der Balance zu halten, auch wenn bei diesem Gericht für die Zwischentöne der Raffinesse kein Platz ist.

Zum Abschluss überwältigt André Münch dann doch die Heimatliebe. „Hohe Düne“ heißt sein Dessert, wobei die Düne mit dem isländischen Quark Skyr nachgebaut wird. Darunter verbergen sich frische Himbeeren, darauf liegen Muscheln aus Zitronenkrokant und Schaumperlen aus weißer Schokolade, und die Ostsee brandet als Weinsauce im schönsten Türkis an die Düne, weil sie mit Curaçao eingefärbt wurde. Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, das Glas zum Toast und Dank auf alle jene zu erheben, die den kleinen André damals bestimmt nur mit den besten Absichten so hart herangenommen haben.