Familie

Ein Kind wird uns geboren

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Was, wenn der Wunsch nach einem Baby verwehrt bleibt? Auf Kinder verzichten? Oder das Schicksal überlisten? Melanie entscheidet sich für eine Leihmutterschaft in der Ukraine.

Es war Anfang September, ein Tag mit fast 30 Grad und strahlendem Sonnenschein. Doch Melanie hatte für das traumhafte Spätsommerwetter in der Ukraine keinen Blick. Vor ihr lag der wohl wichtigste Moment ihres Lebens. Gemeinsam mit ihrem Ehemann war sie in die entlegene Stadt mit dem unaussprechlichen Namen Kropywnyzkyj gereist, knapp 1700 Kilometer entfernt von zu Hause. Hier ist ihr Baby auf die Welt gekommen, ein leibliches Kind, ausgetragen von einer Leihmutter. In einem schmucklosen kleinen Raum mit vielen Kinderbettchen lag das eigene Baby. Die Krankenschwester zog eines der Rollbetten hervor: „Hier ist ihr Sohn!“

Vor etwas über einem Jahr, kurz vor Weihnachten, war noch nicht klar, ob Melanie jemals Mutter werden würde. Vier Fehlgeburten hatte die Zweiundvierzigjährige hinter sich. Immer wieder Bauchschmerzen, heftige Blutungen, Medikamente, traumatisierende Arztbesuche, Operationen. Und immer wieder Hoffnung, Angst und Trauer. Über allem die Frage: Warum wird ausgerechnet mir der Wunsch nach einem eigenen Kind nicht erfüllt? Eine Frage ohne Antwort, dazu die Wut auf den eigenen Körper, Zweifel und viele Diskussionen – über schicksalhafte Fügung und moralische Werte.

Melanies Vater konnte nicht verstehen, dass sich seine Tochter und sein Schwiegersohn für eine Leihmutterschaft entschieden. Er fand, man solle die Herausforderungen akzeptieren, die das Schicksal für jeden bereithält. „Mein Dad empfand das als Schummeln“, sagt Melanie. „Doch mein Weltbild ist ein anderes. Ich wollte das nicht akzeptieren. Ich habe gesagt: Ich lasse mir das nicht gefallen, es gibt noch Möglichkeiten, und die reize ich erst mal aus, bevor ich aufgebe.“

Nach dem Ärztemarathon und vielen erfolglosen Versuchen mit künstlicher Befruchtung informierten sich die künftigen Eltern zunächst über die Möglichkeit einer Adoption. Doch eine Inlandsadoption kommt aufgrund ihres Alters nicht mehr in Frage, auch im Ausland stehen die Chancen schlecht, einen Säugling zu bekommen, und wenn, dann wohl nur ein beeinträchtigtes oder gar traumatisiertes Kind. „Ich finde es toll, wenn das jemand macht, aber das muss man sich zutrauen.“

Melanie sind die eigenen Gene nicht so wichtig. Aber ihr Mann wünschte sich ein leibliches Kind. So blieb nur die Möglichkeit einer Leihmutterschaft. In Deutschland ist sie verboten. In der Ukraine dagegen gibt es zum Beispiel Biotexcom, eine Klinik für Reproduktionsmedizin. Eine Leihmutterschaft ist in dem Land dann erlaubt, wenn es für die Frauen aus medizinischen Gründen nicht möglich ist, selbst ein Kind auszutragen. Im Herbst 2016 landete das Paar in der ukrainischen Hauptstadt Kiew – in Melanies Handtasche ein dicker Batzen Bargeld, die erste Rate, die im Fall einer Vertragsunterzeichnung sofort fällig ist. Am Flughafen wurden die beiden zu einem kostenlosen Informationsgespräch abgeholt.

Für eine Leihmutterschaft gibt es verschiedene Varianten: Je nach Vertragsmodell liegen die Kosten bei 30.000, 40.000 oder 50.000 Euro. Das hängt davon ab, ob man auch die medizinischen Folgekosten zahlen möchte, wie die Unterkunft aussieht, ob man rund um die Uhr betreut werden und Einfluss auf die Wahl der Leihmutter haben möchte.

Die beiden entschieden sich, so sagen sie scherzhaft, für das „Arme-Leute-Modell“ für 30.000 Euro. Die Bezahlung ist gestaffelt: jeweils knapp 6000 Euro bei der Vertragsunterzeichnung, der Punktion, nach den ersten drei Monaten der Schwangerschaft, zur Geburt des Kindes und bei der Abholung. 6000 Euro bei Abholung: Das klingt ein wenig wie ein Kind auf Bestellschein, das man wie ein Postpaket pünktlich als Weihnachtsgeschenk zugestellt bekommt. Absurd, auch für die werdenden Eltern. „Man kann das manchmal nur mit schwarzem Humor ertragen“, sagt Melanie. „Manchmal haben wir darüber Witze gemacht. Zwischendurch ist zum Beispiel unser Auto kaputtgegangen. Da haben wir gesagt: Das geht jetzt nicht, wir müssen ja noch das Kind bezahlen.“

Den Körper einer anderen nutzen?

Vor allem die Frage nach der Moral trieb Melanie um. Insbesondere der Gedanke, ob es in Ordnung ist, den Körper einer anderen Frau zu benutzen, um sich selbst einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen. „Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil unserer Leihmutter in den ersten Monaten immer schlecht war und sie sich ständig übergeben musste. Ich hatte das Gefühl, dass wir uns unethisch verhalten. Das hat mir zwischendurch viel mehr Sorgen gemacht als der Gedanke, dass mit dem Baby etwas schiefgehen könnte.“ Und dann war da natürlich noch der seltsame Umstand, dass sie vom wirtschaftlichen Gefälle zwischen Deutschland und der Ukraine profitieren würden. „Natürlich ist uns klar, dass diese Frauen das nur machen, um Geld zu verdienen, weil sie es bitter nötig haben. Das war schwierig für mich. Aber mein Mann hat gesagt: Warum traust du den Frauen nicht zu, eigene Entscheidungen zu treffen?“

Aussuchen darf man sich die Leihmutter bei der 30.000-Euro-Variante nicht. Die Klinik wählt die Frauen nach medizinischen Gesichtspunkten aus. „Ich weiß noch, dass ich die erste Frau auf dem Foto furchtbar grimmig und stämmig fand. Aber mein Mann sagte: Sei doch froh, sie ist wie ein Panzer, du willst doch, dass unserem Kind nichts passiert!“

Dann wieder eine Hiobsbotschaft: Der erste Versuch klappte auch mit der Leihmutter nicht. Wieder die Sorge, wieder Zweifel, es gab nur noch einen einzigen Versuch mit den eigenen Eizellen. Wenn es wieder nicht funktionierte, blieb nur noch eine Eizellenspende. Doch das zweite Mal verlief reibungslos. Kurz nach dem Jahreswechsel der erlösende Anruf: Die Leihmutter ist schwanger.

In Deutschland ging das Leben weiter. Melanie und ihr Mann haben beide viel zu tun. Zwischen der Nachricht über die Schwangerschaft der Leihmutter und der Geburt des Babys lag für die beiden noch ein Urlaub in Thailand. Was für eine sonderbare Situation: Melanie erwartete ein Kind, ohne schwanger zu sein. „Ich habe mich nicht getraut, das laut zu sagen, aber manchmal dachte ich: Wie toll, Svetlana ist schwanger, und ich kann alles machen, feiern gehen, einen Sekt trinken, ohne dass mir übel ist. Und ich war gleichzeitig so dankbar, dass ich mich auf meinen Sohn freuen konnte.“

„Herzlichen Glückwunsch, Ihr Kind ist geboren.“

Am liebsten wären die werdenden Eltern bei der Geburt dabei gewesen, aber das erlaubt die Klinik nicht. Das Kind bekamen sie erst zu Gesicht, als die Leihmutter aus der Klinik entlassen worden war. „Das war schwierig für mich. Ich dachte, das Baby muss doch so schnell wie möglich auf meine Brust, für das Bonding, den direkten Kontakt, um ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln.“

Am 5. September bekamen die beiden die frohe Botschaft, per Mail: „Herzlichen Glückwunsch, Ihr Kind ist geboren.“ Im Anhang drei Fotos des Babys. „Wenn ich ehrlich bin, fand ich ihn am Anfang ein bisschen hässlich, und er hatte auch noch so eine lächerliche Mütze auf. Das hat sich schon sehr seltsam angefühlt. Aber im Laufe des Tages hat sich das komplett geändert. Das Muttergefühl hat sich eingestellt, und ich war spontan verliebt. Mir war jetzt klar: Das ist mein Baby!“

Es vergingen aber noch sieben lange Tage, bis die Eltern den gemeinsamen Sohn endlich in die Arme schließen durften. An einem Montag stiegen sie ins Flugzeug. In der Ukraine machten sie sich sofort auf den Weg in die Klinik. Bevor sie ihr Kind zu Gesicht bekamen, mussten sie aber noch die letzte Rate bezahlen. In dem Krankenhaus war die Hölle los, es gab nicht mal einen Platz, wo man sich setzen konnte, während man wartet. In den Fluren viele Frauen, künftige Mütter, Eizellenspenderinnen oder Leihmütter.

Nachdem Melanie und ihr Mann ihr Wunschkind bezahlt hatten, ging es wieder nach Kropywnyzkyj, wo ihr Sohn geboren worden war. Noch einmal mussten sie übernachten und warten. Wieder ein Treffen mit der Leihmutter, die das Kind selbst auch noch nicht sehen durfte. Svetlana erzählte, dass sie schon mal als Leihmutter tätig war. Die Zwillinge für ein italienisches Paar habe sie aber nie zu sehen bekommen. Das mache ihr zu schaffen. Jedes Jahr im November, am Geburtstag der Kleinen, muss sie an die mittlerweile vier Jahre alten Kinder denken. Melanie zeigte ihr ein Foto des Neugeborenen und gab ihr Geschenke. Auch Svetlana hatte dem Paar etwas mitgebracht: ein ukrainisches Blüschen für Melanie, ein Wodka-Set für ihren Mann.

Nach einem ganzen Tag Warterei in der Klinik der große Moment. In einem schmucklosen kleinen Raum mit vielen Kinderbettchen lag ihr Baby. Die Krankenschwester zog eines der Rollbetten hervor, und für Melanie begann ein neues Leben. „Das war unser erster Moment. Als ich ihn auf den Arm genommen habe, musste ich sofort anfangen zu weinen, weil das einfach so unglaublich war.“

Die Schwester drückte ihnen Survival-Päckchen in die Hände mit Fläschchen, Windeln und Feuchttüchern. Von jetzt auf gleich waren die beiden nun Eltern. Sie setzten ihren Sohn in einen Tragesitz, packten ihre Sachen und fuhren zurück in die Hauptstadt Kiew. „Da sitzt du in dem Zug, dein Kind schreit wie am Spieß – und du hast keine Ahnung, was du machen sollst“, sagt Melanie. „Ich habe zwar einen Säuglingspflegekurs belegt, aber keinen Geburtsvorbereitungskurs – den kann man nicht machen, wenn man nicht schwanger ist. Und jede andere Mutter hat eine Hebamme an ihrer Seite.“

Sohn gilt als deutscher Staatsbürger

Als die Unsicherheit überwunden war, wurden die beiden die glücklichsten Eltern. Aber eben in der Ukraine. Wochenlang mussten sie dort noch auf Dokumente warten. Rein rechtlich betrachtet die deutsche Botschaft die Situation so, als hätte Melanies Mann sie betrogen und eine andere Frau geschwängert. Für die Beamten war es unerheblich, ob das Melanies Eizellen oder die einer anderen Frau waren. Ihr Mann ist der Vater des Kindes und kann mit seinem Kind nach Deutschland ausreisen, der Sohn bekommt daher auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die Leihmutter verzichtet auf ihre Sorgerechtsvollmacht. So kann Melanie das Kind später adoptieren, denn sie ist nach deutschem Gesetz nicht mit dem Kind verwandt.

Für die junge Mutter war das alles unerheblich. Vergessen sind alle rechtlichen Hürden und all der Aufwand. Ihr größter Traum ist in Erfüllung gegangen. Und obwohl sie ihr Kind nicht selbst ausgetragen und geboren hat, findet sie nicht, dass die Beziehung zu ihrem Sohn anders ist. „Ich glaube nicht, dass man ein Kind noch mehr lieb haben kann als ich! Und ich merke, dass all die Gefühle und Reflexe, von denen mir andere Mütter erzählt haben, auch bei mir funktionieren. Ich habe einen ebenso leichten Schlaf, wache sofort auf, wenn der Kleine sich rührt, das ist einfach ein Urinstinkt, egal ob man das Kind im Bauch hatte oder nicht.“

Vor der Geburt weiß man so wenig:
Daher waren für Melanie die Ultraschallbilder ihres Ungeborenen im Bauch der Leihmutter so wichtig.

Und die moralischen Zweifel? „Ich habe niemanden getroffen, der gesagt hat: Du bist doch verrückt, das ist doch pervers. Aber wahrscheinlich würde mir das auch niemand ins Gesicht sagen.“

Verheimlicht hat Melanie ihre Pläne nicht, aber sie ist auch nicht damit hausieren gegangen. Bekannte waren natürlich überrascht, dass da jemand plötzlich Mutter ist ohne vorherige Schwangerschaft. Die Kritik an der Leihmutterschaft kann sie verstehen. „Ich habe das Gefühl, dass Kinderkriegen für viele Menschen immer noch etwas Heiliges ist, in das man nicht reinpfuschen darf. Heilig meine ich gar nicht im religiösen Sinne, es geht eher um etwas Ursprüngliches, Existentielles, die Urbeziehung zwischen Mutter und Kind.“

Weil sie diese Beziehung nicht missen wollte, ist sie Svetlana unendlich dankbar dafür, dass sie ihr geholfen hat. Mit der Leihmutter stehen die jungen Eltern immer noch in Kontakt, schicken sich Fotos per Messenger zu. Svetlana würde gerne ein weiteres Kind für Melanie und ihren Mann austragen. Und die junge Familie wünscht sich wirklich noch ein zweites Kind. Demnächst werden sich die drei auf den Weg in die Ukraine machen.

 

Die Quelle: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/leihmutterschaft-in-der-ukraine-15340864.html