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Brexit-Veto: Ein erster Sieg im Rückzugsgefecht

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„Heute Nacht hat das Parlament die Kontrolle über den Rückzugsprozess übernommen“: Corbyn im britischen Unterhaus

Nach Mays Niederlage im Parlament keimt nun bei vielen die Hoffnung auf, dass die Regierung gezwungen sein könnte, in Brüssel einen „weicheren“ Brexit zu verhandeln. Ein Rennen gegen die Zeit.

Früher waren Tory-Rebellen ältere Herren in Zweireihern, die mit grimmigen Rückgriff auf die demokratischen Traditionen des Königreichs über den Völkerkerker der Europäischen Union schimpften. „Eurosceptics“ hießen sie. Heute tragen die Rebellen bunte Kleider, wie Anna Soubry oder Nicky Morgan, und wünschen sich ein Königreich, das möglichst nah mit der EU verbunden bleibt, ja am besten gar nicht austritt. „Remoaners“ werden sie von der Gegenseite genannt, weil sie im Referendum für den Verbleib in der EU („remain“) gestimmt haben und seither über ihre Niederlage stöhnen („moan“). Diese haben am Mittwochabend ihren ersten Sieg über die Premierministerin errungen. „Rache der Rebellen“, titelte die „Times“ am nächsten Morgen.

Es gehört zu den Komplexitäten der Konservativen Partei, dass die Rebellen sich nicht als solche sehen, und schon gar nicht als Remoaners. Ein ums andere mal betonen sie, dass sie das Brexit-Votum der Briten vom 23. Juni 2016 respektieren und nicht im geringsten daran denken, es zu untergraben. Es ginge nicht darum, den Brexit zu verhindern, erklärte Dominic Grieve, der Anführer der Rebellen, nach seinem Abstimmungserfolg, sondern darum, den Austritt aus der EU „in einer ordentlichen Weise“ zu vollziehen, ihn also „kohärent und stabil“ zu gestalten. Grieve präsentiert sich und seine zehn konservativen Verbündeten als Gewissenspolitiker, die einen schweren Gang antreten mussten und in der Nachfolge eines großen britischen Staatsmannes stehen: „Wie Churchill gesagt hat: ’Er ist ein guter Parteimann, er stellt die Partei vor sich, und das Land vor die Partei’.“

Aufruhr liegt nicht in seinem Naturell

Grieve ist zum zentralen Gegenspieler Mays geworden und damit in eine Rolle geschlüpft, die ihm nicht auf den Leib geschnitten ist. Als früherer Generalstaatsanwalt liegt Aufruhr nicht in seinem Naturell. Aus seiner Kritik am Brexit hatte er nie einen Hehl gemacht, aber die längste Zeit war er die Loyalität in Person geblieben. Grieve stimmte sogar – entgegen seiner Überzeugung – dafür, den Austrittsprozess gemäß Artikel 50 in Gang zu setzen. Doch im „EU (Rückzugs-)Gesetz“, das seit Wochen im Unterhaus beraten wird, entdeckte er den Stock, der sich elegant zwischen die Speichen des großen Rades stecken lässt, das so unaufhaltsam Richtung Austritt rollt.

Der Konflikt, der am Mittwoch in der Abstimmungsniederlage für die Premierministerin endete, war für Außenstehende kaum zu begreifen. Die Regierung hatte mehrfach, zuletzt schriftlich zugesichert, das Parlament über das finale Ergebnis der Brexit-Verhandlungen per Resolution entscheiden zu lassen. Die Rebellen verlangten aber, den Abstimmungsakt in Form eines Gesetzes vorzunehmen – und dies auch im „EU (Rückzugs-)Gesetz“ festzuschreiben. Was nach einem trockenen Verfahrensstreit klingt, war in Wahrheit ein Kampf um die Macht: Parlament gegen Regierung, und vor allem: Austrittsgegner gegen Austrittsfreunde.