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Kolumne Geschmackssache: Schon vor der Geburt konnte sie kochen

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Ein brodelndes Temperament und ein herzlicher Redefluss: Doch Léa Linster ist mehr als die lustige Fernsehköchin aus Luxemburg.

Wer es sich leicht machen will, sieht in Léa Linster die lustige Fernsehköchin aus Luxemburg. Wer ihr jedoch gerecht werden will, besucht ihr Restaurant in Frisange – und wird dafür kulinarisch belohnt.

„Vater“, sprach die Tochter frei heraus, „mach mich zur Chefin in der Küche, und ich erkoche dir in fünf Jahren einen Stern.“ Der Herr Papa wird laut gelacht haben, als die Tochter so zu ihm sprach, denn sie war damals erst acht. Das Lachen aber wäre ihm wohl zugunsten eines seligen Vaterstolzlächelns vergangen, hätte er noch miterleben dürfen, dass es genauso kam: 1982 starb Monsieur Linster, Herr über ein Konglomerat aus Restaurant, Wechselstube, Tabakladen, Tankstelle und Kegelbahnkeller in der luxemburgischen Kleinstadt Frisange. Tochter Léa übernahm Herd und Ruder, konzentrierte sich fortan aufs Kochen und wurde 1987 vom Michelin mit einem Stern geadelt – von wegen große Kinderklappe, nichts dahinter!

Der Stern leuchtet noch immer über dem Restaurant, das längst den Namen der Patronin trägt. Schließlich ist Léa Linster nicht nur die berühmteste Köchin Luxemburgs, sondern auch in Deutschland dank zahlloser Fernsehküchenschlachten und Prominentenkochshows bekannt wie ein bunter Hund mit Schürze. Das garantiert ihr eine treue Fangemeinde, die sich an Ort und Stelle davon überzeugen kann, wie wenig sich ihre Heldin vor der Kamera verstellt.

Auch im wirklichen Leben ist Léa Linster eine Frau von umschlingender Herzlichkeit, deren Redefluss jeden ungefragt mitreißt in die Garküche ihres brodelnden Temperaments. „Ich wollte schon als Kind berühmt werden, am liebsten als Schauspielerin. Das hat nicht geklappt, dafür sind jetzt das Restaurant und das Fernsehen meine Bühne. Trotzdem bin ich immer ich geblieben, ein Mädchen, das macht, was es will. Und etwas anderes als kochen wollte ich nie machen, denn ich konnte ja schon kochen, bevor ich geboren wurde. Deswegen habe ich auch mein Jurastudium, das mich so sehr interessiert hat wie die Melkmaschine meines Nachbarn, nach zwei Jahren von heute auf morgen geschmissen.“

Sie ist die Pippi Langstrumpf der Kochtöpfe

Solche Sätze schießen so herzhaft aus Léa Linster heraus, als sei sie eine Champagnerflasche auf einem Formel-1-Podium. Aus anderem Munde hätten sie leicht einen Beigeschmack von Hybris und Narzissmus. Bei dieser Pippi Langstrumpf der Kochtöpfe aber klingen sie so selbstverständlich und natürlich, dass sie gar nicht erst in den Verdacht der Arroganz gerät – selbst dann nicht, wenn sie beteuert, zwar keine übernatürlichen Kräfte zu besitzen, dafür aber überreich mit Talent gesegnet und die einzige Frau zu sein, die jemals den Bocuse d’Or gewonnen hat, die inoffizielle Weltmeisterschaft der Köche.

Das ist zwar schon 28 Jahre her, doch das Gewinnergericht von damals steht immer noch auf ihrer Karte: ein Lammrücken, der, in einen Mantel aus fein wie Engelshaar geschnittenen Kartoffelspänen eingeschlagen, im Ofen knusprig gegart und mit wechselnden Garnituren serviert wird, in unserem Fall mit Shiitake-Pilzen, Erbsen-Püree, Saubohnen und Rosmarin-Jus. Es ist ein Teller, der sich mit derselben Selbstverständlichkeit zum Klassiker krönt wie einst Napoleon zum Kaiser und der alle Vergänglichkeit mit derselben Souveränität an sich abperlen lässt wie ein Vers von Racine.

Linster lässt auch andere Einflüsse zu

Kaum ein Koch in Deutschland würde es wagen, ein fast dreißig Jahre altes Gericht zu servieren. Das ist ein Privileg der Haute Cuisine, deren Traditionalismus auch Léa Linster verpflichtet ist, ohne aber aus ihrem Restaurant eine Art Académie française der Kochkunst zu machen. Sie gönnt sich Eskapaden ins befreundete Ausland, lässt das Menü mit einem Gazpacho beginnen, injiziert der sommerleichten, andalusischen Gemüsesuppe allerdings eine kräftige Portion léalinstersches Temperament, intensiviert ihr Aroma mit Chili und Tabasco und macht sich wieder einmal die Welt so, wie sie ihr gefällt.

Die obligatorische Stopfleber von der Ente wiederum trägt eine exotische Krone aus Mango-Gelée und ein dazu passendes Diadem aus Mango-Chutney und Zimt-Chip, wobei wohldosierte Perlen aus Senfkörnern der Foie Gras eine dezente Schärfe verleihen. Das mag nicht die Neuerfindung des kulinarischen Rades sein, aber es ist ein technisch makelloser, perfekt proportionierter Teller ohne jeden Hautgoût der Musealität.

Mit Liebe gekocht

Bei Léa Linster ist die Pracht und Herrlichkeit der Haute Cuisine so lebendig wie sie selbst. Nichts wirkt hier wie ein verstaubtes Ritual, selbst die Befreiung des Wolfsbarsches nicht, der von einer Kellnerin mit weißen Handschuhen am Tisch aus seinem Salzsarkophag geschnitten und tranchiert wird, um dann mit dem Thymian in seinem Bauch das gesamte Lokal zu parfümieren. Selbst kanonischste Klassiker schmecken nach der Zeitlosigkeit der großen französischen Kochkunst: Die Tarte fine aus Blätterteig, Steinpilzen, Zwiebel-Confit und Balsamico-Tupfern beschwört sie im Gewand des reinsten kulinarischen Hochbarocks, während der confierte Lachs mit Lachskaviar, Zitrusfrucht-Mousseline und Kresse-Coulis dank seiner feinen Töne die Brücke zum Rokoko schlägt.

Das Kalbsfilet lässt sich, ganz so, wie es in den mosaischen Gesetzestafeln der Haute Cuisine steht, von weißem Spargel und Morcheln huldigen, selbst im Frühherbst, weil man sich bei Léa Linster um Petitessen wie Saisonalität nicht schert. Und dass zum Abschluss des Menüs der Superklassiker Creme Brûlée mit einer Madeleine ganz nach dem Gusto von Marcel Proust serviert wird, versteht sich fast von selbst. Auf dem Boden des Schälchens kommt dann der Schriftzug „Avec amour“ zum Vorschein – als Motto und Schlusswort des Abends.

Auch für Léa Linster ist bald Schluss. Sie wird die Leitung der Küche Anfang nächsten Jahres in die Hände ihres Sohnes Louis geben. Er studierte zwei Jahre lang Betriebswirtschaft, wechselte dann vom Hörsaal an den Herd, lernte sein Handwerk in der Familie, kopierte damit den Lebenslauf der Mutter verblüffend genau und steht schon allein deswegen nicht im Verdacht, das Erbe der Linsters auf dem Altar des Zeitgeistes zu opfern. Die Liebe im und zum Hause Linster wird hoffentlich nicht nur fürs Erste weiter glühen.