Leib & Seele

Frust und Fun für alle

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Ein Diplom gibt’s für Jodel nicht: Hauptnutzergruppe Studenten.

Upvotes statt Likes: Die „Jodel“-App ist eine Mischung aus Messenger und sozialem Netzwerk für junge Menschen. Sie funktioniert anonym und lokal – und ist vornehmlich bei Studenten sehr beliebt. Warum?

Energisch hämmert Studentin Luise ihren Missmut über die langweilige Vorlesung in ihr iPhone: #erschießmich, #waiting4friday. Sie postet ihre Frustration in der App „Jodel“- sofort können alle Nutzer im Umkreis von zehn Kilometern ihren anonymen Beitrag sehen und bewerten. Zum Ende der Vorlesung, es ging um Führungsstil und Teamspirit, hat Luise 55 Likes, hier Upvotes genannt, gesammelt – keine schlechte Ausbeute. Auch wenn es nicht an ihren besten Beitrag heranreicht, einen Witz über „Harry Potter“, der 500 Leuten gefiel. Die Top-Jodel in Deutschland bekommen sogar regelmäßig mehrere tausend Upvotes für Sprüche wie: „Gerade einen Brief mit der Aufschrift ‚Letzte Mahnung‘ bekommen. Wurde aber auch Zeit, dass die damit aufhören.“ Und: „Heute ist der Erfinder der Autokorrektur verstorben. Restaurant in Peace.“

„Jodel“? Was ist das nun wieder? Jodel ist eine Mischung aus einem Messenger und einem sozialen Netzwerk für junge Erwachsene. Hauptsächlich Studenten, aber auch zunehmend Berufseinsteiger und Schüler nutzen die App. Gepostet werden vor allem Witze und Alltagsanekdoten, aber auch Infos zum Semesterticket, Meldungen über Kontrolleure in der S-Bahn und philosophische Fragen, nach dem Sinn des Lebens und dergleichen.

Gegründet wurde Jodel vor fast drei Jahren von Alessio Avellan Borgmeyer, der damals selbst noch Student an der RWTH Aachen war. Heute erreicht die App mehr als 1,5 Millionen Nutzer. Fünf Millionen Jodel werden am Tag gepostet, das sind mehr als fünfzig Stück pro Sekunde. Und das nicht nur in Deutschland, mittlerweile hat sich Jodel auch in Österreich, Schweden, Norwegen, Dänemark, der Schweiz und kürzlich auch in einer Region in Saudi-Arabien etabliert.

Anonym – und deswegen interessant

Jodel ist anonym. Wichtig ist, was geschrieben wird- nicht, wer schreibt. Daher rührt auch der Name der App, der auf die Gesangstechnik in den Alpen verweist. Denn was in den Bergen fröhlich gejodelt wird, kommt im Tal akustisch zwar an, die Person jedoch bleibt verborgen – genau wie in der App. Diese Anonymität grenzt Jodel von Diensten wie Whatsapp, Twitter und Facebook ab, gerade sie macht die App für Jugendforscher und Soziologen besonders reizvoll. Schließlich bildet Jodel ziemlich detailgetreu ab, was junge Erwachsene wie Luise beschäftigt – und wie sie sich verhalten, wenn sie unter sich sind, ohne den Druck, sich profilieren zu müssen.

Interessant dabei ist, dass sich die soziale Interaktion nicht auf die App beschränkt, sondern dass die Jodler immer wieder aktiv in das lokale Geschehen eingreifen. „Jodel konstruiert Gemeinschaft“, erklärt York Kautt, Mediensoziologe an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Und dieser virale Gemeinschaftssinn wirkt sich auf die lokale Gemeinschaft aus. Tatsächlich: Seit der Erfindung der App haben junge Erwachsene durch Jodel Hilfsnetzwerke gegründet, sich Späße auf Kosten der Bürger ihrer Stadt erlaubt und für kleine Sozialdramen gesorgt. Einige Beispiele finden sich hier zusammengetragen aus Jodel-Posts, Zeitungsberichten und Gesprächen mit Beteiligten: