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Italiens Außenminister wirft EU Versagen vor

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Der italienische Außenminister Angelino Alfano erklärte, die Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten „funktioniert überhaupt nicht“.

Angelino Alfano kritisiert die EU: Italien werde bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise im Stich gelassen. Unterdessen stellen immer mehr Hilfsorganisationen ihre Einsätze auf dem Mittelmeer ein – aus Furcht vor Libyens Küstenwache.

Italiens Außenminister Angelino Alfano hat den EU-Staaten Versagen im Umgang mit der Flüchtlingskrise auf dem Mittelmeer vorgeworfen. Auf die Frage, ob sich Italien von Europa im Stich gelassen fühle, entgegnete Alfano in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung vom Montag: „Ein ganz klares Ja!“ Die Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten „funktioniert überhaupt nicht“, kritisierte der Minister.

„Das bedeutet, dass die Flüchtlinge in Italien bleiben“, sagte Alfano. Sein Land könne aber „diese Last nicht alleine verkraften“. Alfano vermisst nach eigenen Worten eine gemeinsame europäische Migrationspolitik, die sich der ankommenden Bootsflüchtlinge annimmt.

Alfano rechnet nach eigenen Angaben bis Ende des Jahres mit mehr als 200.000 Menschen, die über die Mittelmeerroute nach Europa kommen. Dies sei ein Ausmaß, „das für uns sehr schwierig ist“, sagte er. „Weitere hunderttausende Menschen warten in Libyen auf die gefährliche Überfahrt, die häufig tödlich endet.“

Der italienische Minister forderte weitere Bemühungen zur Stabilisierung Libyens, von wo aus viele Bootsflüchtlinge Richtung Italien in See stechen: „Die Vereinten Nationen sollten sich intensiver dafür einsetzen, die Regierung in Tripolis zu unterstützen.“ Ziel sei es, „humanitäre Flüchtlingsunterkünfte“ in Libyen zu schaffen.

„Dazu müssen wir erreichen, dass das Land endlich politisch geeinigt und damit wieder stabil wird“, sagte Alfano. Auf die Frage, ob es am Ende auch eine UN-Blauhelmmission in Libyen geben könne, sagte er: „Wir sollten den neuen Sondergesandten der UNO jetzt Vorschläge erarbeiten lassen.“

Unübersichtliche Lage in Libyen

Italien beschloss vor kurzem eine verstärkte Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache, um die Mittelmeerroute besser kontrollieren zu können. Die Kooperation ist umstritten, da in Libyen seit dem Sturz des Langzeitherrschers Muammar al Gaddafi 2011 bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Drei Regierungen kämpfen in dem nordafrikanischen Land um die Macht. Schlepper und Menschenhändler nutzen die die unübersichtliche Lage für ihre Geschäfte und versprechen den Flüchtlingen, sie gegen viel Geld nach Europa zu bringen. Bei der Überfahrt sterben Tausende.

Im Hinblick auf diese Schlepperkriminalität mahnte EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos „absolute Kompromisslosigkeit“ an. „Schleuser zu bekämpfen und ihre Aktivitäten zu unterbinden, ist heute mehr denn je unsere Priorität“, sagte Avramopoulos den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Operation „Sophia“, die speziell dafür eingesetzt wurde, habe bereits zur Verhaftung von rund 110 mutmaßlichen Schleusern und Menschenhändlern beigetragen und mehr als 470 Boote aus dem Verkehr gezogen, lobte der EU-Kommissar.

Hilfsorganisationen stoppen Rettungseinsätze

Nach ärzte ohne Grenzen haben zwei weitere Hilfsorganisationen ihre Rettungseinsätze im Mittelmeer gestoppt. Ihre Besatzungen könnten nicht länger sicher arbeiten, weil sie von der libyschen Küstenwache bedroht würden, teilten die Organisationen Save the Children und Sea Eye am Sonntag mit. Dadurch würden Menschenleben gefährdet, sagte Rob MacGillivray von Save the Children. Bereits am Samstag hatte ärzte ohne Grenzen nach derartigen Vorwürfen seine Einsätze gestoppt.

Boote der libyschen Küstenwache hatten am Rande der libyschen Küstengewässer wiederholt auf Schiffe der Hilfsorganisationen geschossen. Die Küstenwache hatte die Schüsse damit erklärt, Kontrolle über die Rettungsaktionen behalten zu wollen. „Grundsätzlich sind wir nicht gegen die Anwesenheit der Hilfsorganisationen, aber wir erwarten von ihnen eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Staat Libyen“, sagte ein Sprecher der Küstenwache.

Hilfsorganisationen spielen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Rettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer. In diesem Jahr hatten sie mehr als ein Drittel aller Migranten aufgegriffen, 2014 waren es noch weniger als ein Prozent.

Italien versucht derzeit, die private Seenotrettung stärker zu regulieren. Die beteiligten NGOs sollen einen Verhaltenskodex unterzeichnen, der unter anderem vorsieht, dass bewaffnete Polizisten auf den Booten mitfahren können. Der Kodex ist bei den Hilfsorganisationen heftig umstritten. ärzte ohne Grenzen lehnte am Wochenende auch eine aktualisierte Version des Verhaltenskodex der italienischen Regierung für private Seenotretter ab.

Fünf von acht Organisationen haben den Kodex aber mittlerweile unterschrieben, am Freitag zuletzt SOS Mediterranee. Die Organisation arbeitet bei der Seenotrettung auf dem Schiff „Aquarius“ mit ärzte ohne Grenzen zusammen. Sie unterzeichnete den Kodex nach Aufnahme einiger ihrer Forderungen in einen Anhang.