Gesellschaft

So wollen die Reformhäuser aus der Krise kommen

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Eine Mitarbeiterin bedient in einem Frankfurter Reformhaus eine Kundin (Archivbild).

Die letzten Jahre waren schwere für die Reformhäuser. Und das, obwohl sie doch eigentlich ideal positioniert waren für Kunden, denen an nachhaltigem Leben gelegen ist. Jetzt soll sich vieles ändern.

Das Reformhaus in der Innenstadt von Oberursel, mitten im Taunus, ist das Vorzeigeobjekt, wenn es der Reformhaus-Genossenschaft darum geht, deutlich zu machen, wie ihre Läden in Zukunft wieder Profil und Kunden gewinnen wollen. Es ist modern, hell und weitläufig eingerichtet, lädt den Kunden mit einem kleinen Bistro am Eingang zum Verweilen ein und bietet eine erweiterte Produktpalette an. Mit dem Image des öden Latschenkiefer-Ladens will dieses Geschäft nichts mehr zu tun haben.

Sein Inhaber Rainer Hermann setzt sich mit Marketing im Internet auseinander, reagiert auf die steigende Nachfrage nach Naturkosmetik und hat bereits seine erwachsenen Kinder für eine Übernahme des Ladens begeistern können. Ein Vorzeigeobjekt eben. Denn noch lange nicht alle Reformhäuser in Deutschland sehen so aus und werden so innovativ geführt. Etwa erst ein Drittel der rund 1200 Läden in der Bundesrepublik haben eine solche Modernisierung hinter sich – aber alle definitiv schwere Jahre.

Der moderne Bioliebhaber bei der Konkurrenz gelandet

In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Anzahl der Reformhäuser von etwa 2500 auf ebendiese 1200 reduziert. Erstaunlich: Lange Zeit waren die Reformhäuser die Vorreiter in Sachen Ökoprodukte, Vollwertkost, nachhaltige Produktion, ganzheitliche und gesunde Lebensführung. Das Reformhaus stand für genau diese Haltung im Leben, wie „Tempo“ für Taschentücher und „Pampers“ für Windeln. Doch als die Bio-Vollwert-Welle Ende des letzten Jahrtausends so richtig die Gesellschaft erfasste und eigentlich Kunde um Kunde in die Filialen der Reformhäuser hätte spülen müssen, tauchten die Reformhäuser unter. Die Welle schwappte über sie hinweg.

47398799 Ein Blick in eine Filiale vom Reformhaus Freya in Wiesbaden (Archivbild). Vor 125 Jahren entstanden die ersten Geschäfte – heute wirkt so manches Reformhaus altbacken.

Stattdessen rannten die Kunden in neu erstandene Biosupermarkt-Ketten, Hofläden und zu kleinen kreativen Einzelhändlern, um gesundheitsbewusst Bioprodukte einzukaufen. Die Reformhäuser hingegen galten als altbacken und fade. Körner und Knäckebrot liebende Menschen in Gesundheitslatschen mit kleinen Wehwehchen und Zucken im Rücken gingen dort vielleicht noch einkaufen, der moderne Bioliebhaber aber zu Alnatura, Basic oder Denn’s.

Die Revolution der Lebensreformer

Und obwohl eine eher fleischlose Ernährung zu den Grundsätzen des Reformhauses gehört, konnte auch die wachsende Zahl an Vegetariern und Veganern in den vergangenen Jahren den Reformhäusern nicht den entscheidenden Aufschwung bringen. Vielmehr machen sich in diesem Markt gerade neben den Supermärkten auch Drogerien und Internetshops mit fleischfreien Produkten und Nahrung ohne tierischen Ursprung breit. Der Pionier Reformhaus blieb auch hier eher hintendran.

Doch das soll sich nun ändern, den nächsten aufkommenden Trend will die Reformhaus-Genossenschaft nicht wieder verpassen. Sie setzt auf gesundheitliche Beratung, den sogenannten „zweiten Gesundheitsmarkt“ und Naturkosmetik und will mitmischen bei gesellschaftlichen Diskussionen – auch digital. Damit will man sich zugleich ein Stück besinnen auf die Ursprünge.

Ihren Namen haben die Reformhäuser von der Lebensreform-Bewegung Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Lebensreformer von damals setzten sich öffentlich für eine gesunde ganzheitliche Lebensweise, fleischlose Nahrung und Naturheilverfahren ein: Ideen, nach denen Reformhausbesitzer auch heute noch streben und die gerade hochaktuell sind. Deshalb ist Ulrich Jentzen, Geschäftsführer der Reformhaus-Fachakademie in Oberursel, davon überzeugt, dass das Reformhaus seinen Kunden und der Welt bis heute etwas mitzuteilen hat. Zu Themen wie etwa den Freihandelsabkommen und Nahrungsmittelzusätzen will man verstärkt Stellung nehmen, die Message der damaligen Reformer in moderne Zeiten übersetzen. 130 Jahre wird das Reformhaus in diesem Jahr. 1887 eröffnete Carl Braun in Berlin ein Einzelhandelsgeschäft mit dem Namen „Gesundheitszentrale“. Das Kauf- und Versandhaus für Reformwaren, in dem es ebenso naturheilkundliche Produkte gab, wird heute von den Reformhäusern als ihre Keimzelle bezeichnet.