Inland

Gipfel der Freundlichkeit

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Wer solche Genossen hat, braucht keine Feinde: Olaf Scholz und Sigmar Gabriel

Ausgerechnet SPD-Bundespolitiker kritisieren Hamburg als G-20-Standort – und damit auch ihren Genossen Olaf Scholz. Doch „friendly fire“ hat bei den Sozialdemokraten Tradition.

Auf die Genossen ist Verlass. Steht ein führender SPD-Politiker vor einer großen Herausforderung, so findet sich schnell ein anderer, der ihm von hinten in die sprichwörtlichen Kniekehlen tritt. Jüngere Beispiele gibt es zur Genüge, etwa als sich vor fünf Jahren der damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig gegen die Kanzlerkandidatur seines früheren Chefs Peer Steinbrück aussprach, kurz bevor dieser von einem SPD-Parteitag mit mehr als 93 Prozent in genau diese Funktion gewählt wurde. Oder als Steinbrück vor wenigen Wochen seinem Nachfolger auf dem Kandidatenkarussell, Martin Schulz, einen Honecker-Vergleich mit auf den Weg gab, nachdem dieser mit hundert Prozent gewählt worden war.

Nun hat Schulz den G-20-Gipfel in Hamburg zum Anlass genommen, um zu zeigen, dass auch er kein Freund von Traurigkeit beim Hau-den-Genossen-Spiel ist. Dieses Mal war der Erste Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz, das Opfer. Schulz und sein Genosse Sigmar Gabriel, der Außenminister, schnappten sich ein paar Bögen Papier mit dem Logo des SPD-Vorstands darauf und schrieben ihre Gedanken zur internationalen Gerechtigkeit nieder. Auf der dritten Seite forderten sie, dass G-20-Gipfel „nicht mehr mit Tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und vielen tausend Sicherheitskräften in Städten der jeweiligen G-20-Präsidentschaft“ abgehalten werden sollten. Das war in der Tat sehr international gedacht, wie sich schnell herausstellen sollte. Denn New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio bot angesichts der Krawalle in Hamburg am Samstag an, alle künftigen G-20-Treffen in seinem Städtchen abzuhalten. Und als Scholz, der vorher mit selbstbewussten Worten den Eindruck erweckt hatte, die Lage sicherheitstechnisch im Griff zu haben, am Sonntag vor Hamburger Trümmerlandschaften stand, trat Gabriel, der Internationalist, über die „Bild am Sonntag“ nach. Deutschlands Bild in der internationalen Öffentlichkeit werde durch die Ereignisse in Hamburg „schwer in Mitleidenschaft gezogen“, schrieb der Außenminister. Wer solche Parteifreunde hat, könnte eine Menge Zeit bei der Suche nach Feinden sparen.

Die Vorzüge einer Großstadt

Warum aber war der G-20-Gipfel überhaupt in Hamburg ausgerichtet worden? Seit im Jahr 2008 die Treffen der G-20-Mitglieder von der Ebene der Finanzminister auf die der Staats- und Regierungschefs gehoben wurde, ist eines der Mitglieder mit der Präsidentschaft betraut. Am 1. Dezember vorigen Jahres übernahm Deutschland diese Funktion von China. Berlin hat zwar einige Erfahrung mit der Austragung von G-7-Gipffeln, aber das große Format ist allein durch die schiere Menge der Teilnehmer eine ungleich größere Herausforderung und neu für Deutschland. Angeblich hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schon ein Jahr bevor sie G-20-Präsidentin wurde bei Scholz angeklopft mit der Idee, ihre Geburtsstadt Hamburg solle den Gipfel austragen. Scholz war einverstanden.

Im Februar 2016 verkündete Merkel in Hamburg ihre Entscheidung und begründete sie unter anderem mit der „Weltoffenheit“ Hamburgs. Im Juni vorigen Jahres begründete Regierungssprecher Steffen Seibert die Ortswahl mit „logistischen, auch sicherheitstechnischen“ Gründen. Auf der Internetseite der Bundesregierung zur G-20-Präsidentschaft stand am Sonntag noch die Formulierung: „Hamburg ist eine sehr gute Wahl für die Ausrichtung des G-20-Gipfels.“ Der entsprechende Eintrag stammte allerdings vom 10. Juni.

Die bisherigen G-20-Gipfel fanden in großen Städten statt, oft, aber nicht immer, in den Hauptstädten des Gastgeberlandes. Das erste Treffen richtete die amerikanische Regierung in Washington aus, das nächste die britische Regierung in London. Frankreich und Kanada beispielsweise wählten nicht ihre Hauptstädte als Austragungsorte, sondern Cannes und Toronto. Da mit allen Delegationen und Journalisten leicht um die 10.000 Teilnehmer zusammenkommen, ist eine andere Örtlichkeit als eine große Stadt mit geeigneter Infrastruktur für Treffen dieser Art kaum geeignet. Nur Italien hatte beim G-8-Gipfel in Genua im Jahr 2001 Schiffe als Quartiere eingesetzt, weil die Betten knapp zu werden drohten.

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Hamburg: Steinmeier „schockiert und fassungslos“ über Gewalt

Wo Olaf Scholz schon die Kritik seiner eigenen Leute aushalten muss, kann er sich wenigstens großer Unterstützung durch die CDU erfreuen. Die Parteivorsitzende Merkel sagte nach dem Ende des Treffens am Samstag: „Wir konnten hier sehr gut tagen, wir konnten hier sehr gut arbeiten.“ Bundesinnenminister Thomas de Maizière, ebenfalls von der CDU, verteidigte die Ortswahl mit Hinweis auf die großen Delegationen, die Platz brauchten: „Ein solches G-20-Treffen kann nur in einer großen Stadt stattfinden.“ Jede Kritik am Tagungsort verkenne Ursache und Wirkung. Auch der CDU-Mann und Finanzminister Wolfgang Schäuble argumentierte so.

Fast hätte Scholz am Sonntag doch noch die Hilfe eines höchst prominenten Sozialdemokraten bekommen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte die Idee eines Daueraustragungsortes New York „zu einfach“. Man dürfe sich nicht von „einigen Gewaltbereiten“ vorschreiben lassen, wo man solche Gipfel austrage. Allerdings ist Steinmeier für die Zeit seiner Präsidentschaft nur gefühlter Sozialdemokrat. Seine Parteimitgliedschaft ruht.

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Scholz hofft auf harte Strafen für G20-Gewalttäter