Essen & Trinken

Eng vorbei am Untergang des Abendlandes

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Aus den Trauben mal etwas anderes machen? Schönleber macht sich im Keller die Welt, wie sie ihm gefällt.

Das Rheingau galt lange als Bastion des Konservativismus. Doch die Festungsmauern bröckeln, weil Jungwinzer wie Max Schönleber vom Weingut Allendorf Kellerrevolutionen anzetteln.

Ein junger Winzer wird ins warme Nest gelegt und könnte sich dort einen schönen Lenz machen. Sein Refugium Sorgenfrei ist das größte familiengeführte Weingut in einem der ruhmreichsten deutschen Weinbaugebiete, das 75 Hektar bester Lagen vom Assmannshäuser Höllenberg über das Rüdesheimer Roseneck bis zum Winkeler Jesuitengarten bewirtschaftet, Mitglied im Verband Deutscher Prädikatsweingüter ist, eine halbe Million Flaschen im Jahr produziert, seine Gewächse bis nach China und Japan exportiert, eine eigene Vinothek in Rüdesheim und ein Weinlokal im berühmten Brentanohaus in Oestrich-Winkel betreibt.

Früher gingen dort Goethe und Beethoven ein und aus, heute wird in der einstigen Sommerfrische der Familie Brentano Rheingauer Winzergulasch nach dem Rezept der Ururoma unseres jungen Weinbauern serviert. Es läuft also wie am Schnürchen für ihn. Und trotzdem kappt er eines Tages die Leine in die Vergangenheit, weil er spürt, dass Tradition nicht nur eine Verpflichtung ist, sondern auch eine Fessel sein kann.

Nach dem Weinbau-Studium in die Heimat zurückgekehrt

Max Schönleber ist ein freundlicher Mann von dreißig Jahren, der eher an einen idealen Schwiegersohn als an einen Revolutionär erinnert und in dessen Biographie sich auch sonst keine Hinweise auf geistige Unruhe oder unstetes Leben finden.

Er studierte Weinbau an der Hochschule von Geisenheim, die kaum zwei Kilometer vom elterlichen Weingut Allendorf entfernt liegt, und zog nach seinem Abschluss 2012 nicht in die weite Welt hinaus, um bei fremden Winzern auf fernen Kontinenten sein Wissen zu vertiefen, sondern kehrte sofort nach Hause zurück. „Ich konnte es gar nicht abwarten“, sagt er fast entschuldigend, weil er sah, was getan werden musste, um nicht von der Tradition erstickt zu werden.

Kaum Experimente im Rheingau

Die Weine der Familien Allendorf und Schönleber seien zu uniform gewesen, sagt der Jungwinzer, zu austauschbar, Gefälligkeitsgewächse ohne ausgeprägten Charakter, gekeltert nach den Gesetzen des unseligen Oechsle-Fetischismus, bei dem allein um das goldene Kalb des Zuckergehalts getanzt wird. Es war der übliche Rheingauer Standard-Riesling mit viel Frucht und Frische, der im Edelstahltank statt im Holzfass ausgebaut und jung getrunken wurde, weil er ohnehin kaum Reifepotential hatte.

Und das Weingut Allendorf war bei weitem nicht das einzige, das sich mit solchen Weinen zufriedengab. Denn der Ruhm des Namens Rheingau überstrahlte zuverlässig jede vinifikatorische Bequemlichkeit, der Konservativismus seiner Winzer machte aus Kellermeistern Gralshüter, das Konkurrenzdenken zermürbte allen Gemeinschaftssinn, und Konrad Adenauers Wahlkampfslogan „Keine Experimente“ schallte wie ein Mantra durch die Rebzeilen zwischen Rhein und Taunus.

Schönleber macht alles anders

Diese Zeiten seien glücklicherweise vorbei, sagt Max Schönleber. Seine Generation rede miteinander, und mache fast alles anders als die Väter, was nicht immer in schönster Harmonie geschehe. Das glaubt man gerne, denn Schönleber macht sich im Keller die Welt, wie sie ihm gefällt. Er hat Alkohol und Zucker reduziert, Triebzahl und Ernteertrag minimiert – bei den Großen Gewächsen sind es nur noch 3500 Liter pro Hektar – und die Maischestandzeiten verlängert, damit mehr Phenole in den Wein kommen und ihm Körper und Charakter geben können.

Goethewein Ideal für einen lauen Sommerabend: Der Goethewein aus dem Weingut Allendorf.

Er schwört auf Spontanvergärung, gibt seinen Weinen Muße zum Reifen, füllt erst im Mai oder Juni ab, kann deswegen fast vollständig auf Schönungsmittel verzichten und steckt selbst Ortsweine ins Holzfass. Seinen Hochzeitswein aus der Ernte des Weinbergs, den er von seinen Eltern zur Trauung geschenkt bekam, lässt er in Fässern aus Kirschholz reifen, dessen große Poren den Gasaustausch erleichtern und so für ein besonders weiches und harmonisches Resultat sorgen – bestimmt kein schlechtes Omen für eine gute Ehe. Und die Mäharbeiten im Weinberg übernehmen bretonische Zwergschafe, die klein genug sind, um unter den Weinstöcken hindurchlaufen zu können, und groß genug, um die unteren, überflüssigen Blätter der Rebzeilen abzufressen.

Das Zukunftsversprechen liegt in den Fässern

Die Mühe lohnt sich, und Experimente führen doch nicht zwangsläufig zum Untergang des Abendlandes, das allerdings auch nicht im Alleingang von Max Schönleber gerettet wird. Sein Roter Riesling ist ein wilder Bursche mit knackiger Säure und ungestümem Temperament, der aber auch etwas unentschieden bleibt. Sein Goethewein hingegen ist das genaue Gegenteil: ein Riesling aus dem Wingert am Brentanohaus mit dem Konterfei des Dichterfürsten auf dem Etikett, der mit seinem süffigen Charakter niemandem das Leben schwermacht – der ideale Konsenswein für einen lauen Sommerabend auf der Brentanoterrasse.

Später am Abend könnte man dort auf die Sekte aus dem Haus Allendorf umschwenken, den Raffinesse Rosé von 2014 zum Beispiel, einem überraschend voluminösen Schaumwein mit lebendiger Perlage, der auch nach zehn Minuten gar nicht daran denkt, sich aus Gaumen und Nase zu verabschieden. Das Große Riesling-Gewächs aus dem Jesuitengarten von 2015 gibt hingegen Rätsel auf: ein sperriger, säurevernarrter Wein, der nicht mit sich selbst im Reinen zu sein scheint. Jungwildwinzer wie Max Schönleber keltern eben manchmal eher „Werther“ als „Westöstlichen Diwan“. Doch dann verblüfft er mit dem Großen Gewächs vom Roseneck, einem Riesling von 2015, der herrlich harmonisch und ausbalanciert ist, ein Reifezeugnis, bei dem sich Säure und Würze ohne jede Präpotenz in das große Ganze einfügen – ein Alterswerk ist das, keine Jugendsünde, ein Zukunftsversprechen und vielleicht sogar eine Art Rheingauer Vergangenheitsbewältigung.