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Die kleinen Strolche

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Die Kawasaki Versys-X 300 wird in Thailand produziert.

Mit der Versys-X 300 tritt eine neue Dreihunderter an, der Kawasaki hierzulande eine ganz ordentliche Karriere zutraut. Je nach Version kostet sie 5800 bis 6700 Euro.

Kawasaki Heavy Industries kann es auch leicht. Das ist bekannt, durch handliche Maschinchen wie die Ninja 300 und die Z 300 vor allem. Von denen verkaufte der japanische Konzern, der ja bei weitem nicht nur Motorräder herstellt, sondern auch Großgeräte wie Schiffe, Eisenbahnen, Turbinen und Baufahrzeuge, in Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 ein paar hundert Einheiten. Das sind keine überwältigenden Zahlen, aber auch Kleinvieh macht Mist. Nun tritt mit der Versys-X 300 eine neue Dreihunderter an, der Kawasaki hierzulande eine ganz ordentliche Karriere zutraut, obwohl sie für ganz andere Kunden als die hubraumverliebten Deutschen konzipiert ist.

Wenn es um Motorräder dieser Kategorie geht, ist immer von Asien die Rede, wo eine Dreihunderter nicht als Kleinkram gilt, sondern als Big Bike. Dort liegen die eigentlichen Zielmärkte, dort lassen sich traumhafte Stückzahlen erzielen. Solche Chancen mögen sich auch europäische Hersteller nicht länger entgehen lassen: KTM lässt mittlerweile in Indien Motorräder dieser Hubraumklasse fertigen, BMW steigt gerade mit der neuen G 310 ein. Diese ebenfalls in Indien montierte BMW soll – nach einer ungewöhnlich holperigen, wegen eines ungenügenden Motorenbauteils um Monate verzögerten Markteinführung – jetzt verfügbar sein.

46206935 Als wir unsere erste Probefahrt durch den kühlen Taunus antraten, war die Testmaschine nicht ansatzweise eingefahren.Bilderstrecke

Die Kawasaki Versys-X 300 wird in Thailand produziert. Rund 500 Exemplare davon könnten noch dieses Jahr in Deutschland abgesetzt werden, meint Kawasaki-Sprecher Andreas Seiler zuversichtlich: „Warum sollten wir das nicht versuchen? Das Modell ist für die asiatischen Märkte ohnehin vorhanden.“ Die Neue gehört zur Versys-Familie vielseitiger Alltags- und Reisemotorräder, hat aber im Vergleich zu den großen Schwestermodellen mit 650 und 1000 Kubikzentimeter Hubraum sogar ein noch etwas erweitertes Einsatzspektrum. Während Letztere allein auf den Straßengebrauch ausgerichtet sind, bringt die Kleine gewisse Offroad-Qualitäten mit. Zumindest auf Feldwegen und im leichten Gelände fühlt man sich auf Anhieb wohl damit.

Drahtspeichenräder (vorn 19 Zoll, hinten 17) mit Mehrzweck-Schlauchreifen sind ein erster Hinweis auf ernsthafte Enduro-Ambitionen des 175-Kilo-Leichtgewichts (mit vollem 17-Liter-Tank), das zudem mit verlängerten Federwegen (vorn 130 mm, hinten 148) und gesteigerter Bodenfreiheit (180 mm) aufwartet. Hinterm breiten Lenker sitzt man aufrecht und entspannt auf einem angenehm straffen Polster, durch Verkleidung und Scheibe recht gut vor dem Fahrtwind geschützt. Standardausstattung in Europa ist die hohe Sitzbank (845 mm), als Zubehör wird eine niedrigere (820 mm) angeboten – in Asien ist es umgekehrt. So oder so erleichtert die schmale Taille des Motorrads den Bodenkontakt beim Anhalten und Rangieren. Durch den Lenkeinschlag von 40 Grad auf beiden Seiten ergibt sich ein fabelhaft kleiner Wendekreis.

Ein Phänomen ist der 296-Kubik-Zweizylinder, abgeleitet von dem des Sportmodells Ninja 300, über die Euro-4-Norm gehievt und für den Einsatzzweck neu abgestimmt. Der Vierventiler leistet 40 PS (29 kW) bei 11 500 Umdrehungen, stemmt 26 Nm bei 10 000/min und ersetzt Hubraummangel durch Tapferkeit. Immer wieder verblüfft er dadurch, dass er sich einerseits bis 13 000 Umdrehungen zwirbeln lässt, andererseits klaglos im sechsten Gang durchs Dorf zuckelt. Anfahren kann man im Prinzip in jedem Gang. Wenden auf engstem Raum gelingt selbst im dritten oder vierten Gang ohne Abwürgegefahr. Häufiges Schalten vorausgesetzt, strolcht die maximal gut 150 km/h schnelle Versys zügig durch Kurvenreviere. Vibrationen sind hier und da zu spüren, allerdings nicht störend, was der Ausgleichswelle des Reihentwins zu verdanken ist sowie den Schwingungstilgern an Fußrasten und Lenkerenden.

Als wir unsere erste Probefahrt durch den kühlen Taunus antraten, war die Testmaschine nicht ansatzweise eingefahren. Der Kilometerstand lautete 81. Die stumpf anmutende Frontbremse verlangte nach hoher Kraft am Handhebel, was sich im Verlauf der nächsten 200 Kilometer schon spürbar verbesserte. Auch der Federungskomfort machte Fortschritte. Nicht lumpen lassen hat sich Kawasaki bei der Ausstattung des Cockpits: Die Kombination von Analog-Drehzahlmesser und digitaler Informationsabteilung einschließlich Ganganzeige stünde teurem Motorrad gut an. Insgesamt erscheint die solide, strapazierfähig und erwachsen wirkende Versys-X 300 als faires Angebot. Je nach Version (Standard, Urban, Adventure) kostet sie 5800 bis 6700 Euro und könnte für den einen oder anderen im Vergleich zu einer wuchtigen Groß-Enduro die smartere Wahl sein. Unter Verzicht auf Glamour und Prestige.