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Schwedische Realitäten

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Sonntagabend in Stockholm: Kerzen stehen am Ort des Anschlags.

Schweden will ein offenes Land sein. Und tut sich doch schwer damit, über die Grenzen der eigenen Belastbarkeit zu reden. Wird der Anschlag in Stockholm das ändern? Ein Kommentar.

Die ersten Worte danach sind schwer auszusprechen, aber nicht schwer zu finden. „Wir sind eine offene, demokratische Gesellschaft, und das werden wir auch bleiben“, hat der schwedische Ministerpräsident Löfven gesagt. Der König äußerte, es gebe ihm Hoffnung, „dass all diejenigen unter uns, die helfen wollen, viel zahlreicher sind als diejenigen, die uns schaden wollen“. Nur ein Wort brauchte die Kronprinzessin. Auf die Frage, wie man nun weitermache, sagte sie: „zusammen.“

Wichtige Worte, gesprochen in den Stunden nach dem Terror, in denen die Schweden rätseln, warum ihnen das angetan wurde. In den Stunden der Trauer. Worte, die guttun. Was in den Tagen und Wochen danach zu sagen ist, wird schon schwieriger.

Langsam fügt sich ein Bild

Schweden wurde von einem Anschlag getroffen. Langsam fügen sich die Informationen über den Täter zu einem Bild: Die Sicherheitskräfte sind davon überzeugt, in der Person eines 39 Jahre alten Usbeken den Fahrer des Lastwagens gefasst zu haben. Er hat schon länger in Schweden gelebt, hegte Sympathien für den IS – und war dem Geheimdienst bekannt. Doch auch wenn noch nicht eindeutig gesagt werden kann, unter welchem Vorwand oder welcher Flagge der Mann entschieden hat, mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge zu rasen, so ist doch offensichtlich, was der zuständige Staatsanwalt sagte: Alles deute auf die Absicht hin, „unserer Bevölkerung zu schaden und für Angst und Schrecken zu sorgen“. Dem Land also zu schaden, das dem mutmaßlichen Täter vielleicht kein Zuhause war. Zumindest aber doch ein Gastgeber für ein paar Jahre – auch wenn es ihn schließlich abschieben wollte. Ein Muster, das auf tragische Weise an den Attentäter von Berlin erinnert.

Welche Worte werden die Schweden also finden?

Man kann im Königreich ein sehr gutes Leben führen. Wasser, Wald, Weite. Ein Leben, ohne allzu viel mitzubekommen von der Welt drum herum. Ein Leben, das vor allem die Deutschen gerne verklären. Bullerbü, ein Märchen. Mit der Realität und dem Leben der meisten Schweden hat das nicht viel zu tun. Man braucht in der Nähe des Kaufhauses, das zum Terrorziel wurde, nur die U-Bahn nehmen. Nach einer halben Stunde steigt man in einem ganz anderen Schweden aus: in Rinkeby zum Beispiel. Einst gebaut für die Menschen vom Land, die es in die Hauptstadt zog, und für Migranten, die schnell ihren Platz im Königreich fanden. Dann kamen Flüchtlinge, die es schon schwerer hatten. Jetzt leben hier kaum noch Schweden. Keine „No-go-Area“, aber ein Problemviertel. Rinkeby steht dafür, was alles schieflaufen kann. Schnell bekommt man eine Ahnung davon, dass nicht alle ein gutes Leben führen. Und dass dies Spannungen erzeugt.

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Tatverdächtiger von Stockholm sympathisierte mit radikalen Islamisten

Auch die Schweden wissen das. Es gibt mehrere solcher Viertel. Es gibt Berichte über Gewalt. Schulnoten unter dem Durchschnitt. Hohe Arbeitslosigkeit. Manchmal kommt es zu Ausschreitungen. Obwohl schwer zu sagen ist, ob es Proteste sein sollen – oder sich nur gelangweilte Jugendliche und ein paar Kriminelle ihre Zeit vertreiben. Lange ist auch schon bekannt, dass der Islamismus in Schweden einen Nährboden gefunden hat. Etwa 300 Islamisten reisten aus dem Königreich in den Dschihad. Eine hohe Zahl für ein so kleines Land.

All das wissen die Schweden. Nur fällt es nicht immer leicht, darüber zu sprechen: Wie konnte es dazu kommen – nach Jahren vermeintlich vorbildlicher Integrationsbemühungen und Prävention? Wo liegt die Grenze der Belastbarkeit? Haben Grenzüberschreitungen etwas mit wachsender Radikalisierung zu tun? Was muss geschehen, damit die Sicherheitsbehörden die Gesetze auch tatsächlich anwenden?

Die Angst, das Falsche zu sagen

Aus der Angst, das Falsche zu sagen, folgt nicht, dass man das Richtige tut. Die Dänen belächeln ihre Nachbarn gerne für deren Zurückhaltung. Von der fremdenfeindlichen Dänischen Volkspartei angetrieben haben sie sich jedoch längst eine Tonlage angewöhnt, die es schwer macht, in die Integrationsdebatte jene einzubeziehen, um die es doch auch geht.

Aber auch Schweden verändert sich. Die Schwedendemokraten finden immer mehr Zuspruch. Sie haben die Sprachlosigkeit und Verdrängungskunst ausgenutzt – als Einwanderungsgegner feiern sie Erfolge. Eine große Mehrheit der Schweden aber will mit ihnen nichts zu tun haben. Als die Konservativen kürzlich versuchten, sich ihnen in Haushaltsfragen anzunähern, wurden sie abgestraft. Schweden ist immer noch ein sozialdemokratisch geprägtes Land, auch wenn die Partei ihre Dominanz längst eingebüßt hat. Die Flüchtlingskrise hat die Gewichte noch einmal verschoben. 2014 war der damalige konservative Ministerpräsident noch gescholten worden, als er dafür warb, die Herzen zu öffnen, aber auch sagte, dass das Geld koste. Gut ein Jahr später musste dann der neue sozialdemokratische Regierungschef eingestehen: Wir brauchen eine Atempause. Die Kehrtwende in der Asylpolitik folgte. Das Selbstbild bekam Risse.

An diesem Montag wird Schweden eine Minute lang schweigen. Zum Gedenken an die Opfer. Danach gilt es, wieder die richtigen Worte zu finden: zusammen.