Europäische Union

Der Ärger über dieses böse „Brüssel“

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Starke NEE-Kampagne: Viele Niederländer sind gar nicht erst zur Wahl gegangen – EU-Befürworter sind sie deshalb nicht.

Wieder schert ein Land bei einem EU-Referendum aus. Wieder wird es einen wenig eleganten Kompromiss geben. Es ist dieser Pragmatismus, der zur Niederlage geführt hat. Ein Kommentar.

Am Tag nach dem niederländischen Votum gegen den Assoziierungsvertrag der EU mit der Ukraine gibt es lange Gesichter in den Regierungszentralen von Den Haag bis Kiew. Alles andere als Begeisterung ist auch im Brusseler Europaviertel zu spuren – auch wenn die offizielle Sprachregelung lautet, nun seien die Niederländer am Zuge. Was aus dem Vertragswerk wird, ließ Ministerpräsident Mark Rutte zunächst offen. Entlocken ließ sich der Haager Regierungschef lediglich, dass sich nach dem klaren Erfolg des „Nein“-Lagers der Vertrag „nicht ohne weiteres“ ratifizieren lasse.

Das Referendum hat zwar keinen rechtlich bindenden, sondern nur konsultativen Charakter. Andererseits wurde die im Mitte 2015 in Kraft getretenen Referendumsgesetz vorgeschriebene Schwelle einer Stimmbeteiligung von 30 Prozent – wenn auch knapp – uberschritten. Und der Anteil der Nein-Stimmen von 61,1 Prozent fur die Vertragsgegner spricht eine klare Sprache – eigentlich. Kaum ein Wähler wird nämlich den mehr als 300 Seiten langen Vertrag, der sich weitgehend um Wirtschafts- und Handelspolitik dreht, im Detail gelesen haben. Nicht zuletzt die äußerungen von Wortfuhrern des „Nein“-Lagers nähren zudem den Verdacht, dass es hier nicht zuletzt um ein Votum gegen Europa ging, das viele Burger, nicht nur in den Niederlanden, als zentralistisch und bevormundend empfinden.

To view this video please enable JavaScript, and consider upgrading to a web browser that EU und einer Absage an ihre „imperialen Ambitionen“.

Komplette Neuverhandlung ausgeschlossen

Was nun? Auch Rutte hat ausgeschlossen, dass die Regierung das Ergebnis des Referendums, obgleich es nicht rechtlich bindend ist, einfach ignorieren und zur Tagesordnung ubergehen kann. Beispiele schiefgegangener Volksabstimmungen mit EU-Bezug gibt es genug. 1992 sagten die Dänen „Nein“ zum Maastrichter Vertrag. In Irland bedurfte die Ratifizierung von EU-Verträgen mehrfacher Anläufe. 2005 lehnten die Niederländer im Gleichschritt mit den Franzosen mehrheitlich den EU-Verfassungsvertrag ab. Nachverhandlungen – mit wenig eleganten Kompromissen – ermoglichten Auswege.

Eine komplette Neuverhandlung des provisorisch bereits in Kraft getretenen und von 27 der 28 EU-Ländern sowie der Ukraine ratifizierten Vertrags erscheint ausgeschlossen. Wahrscheinlich soll es nun rhetorische Akrobatik richten. Zum Beispiel konnte in einer Erklärung oder einem rechtlich bindenden Protokoll explizit festgehalten werden, dass der Vertrag keine Vorstufe zu einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine darstellt.

Solcherlei Klarstellung bedarf es eigentlich nicht, da ein Beitritt ohnehin ein einstimmiges Votum aller Staaten erfordert und zwischen Lissabon und Helsinki kaum jemand ein EU-Mitglied Ukraine wunscht. Eine andere, derzeit diskutierte Moglichkeit bestunde darin, die Niederlande, die als Handelsnation nur ein Interesse an besseren Wirtschaftsbeziehungen mit Kiew haben kann, von bestimmten im Vertrag genannten Feldern der politischen Zusammenarbeit, zum Beispiel zwischen den Polizei- und Justizbehorden, auszunehmen.

Nicht alles auf „Brussel“ schieben

Die Erfahrung lehrt, dass Europa in der Not erfinderisch wird. Ob das nicht nur in den Niederlanden spurbare Misstrauen der Burger gegenuber Europa sich allein so abbauen ließe, steht auf einem anderen Blatt. Thierry Baudet, einer der Wortfuhrer des „Nein“-Lagers, hat schon zu verstehen gegeben, dass die Abstimmung uber den Assoziierungsvertrag nur der Aufgalopp zu weiteren Referenden sei. Genannt hat er die Stichworte „Euro“, „Offene Grenzen“ sowie das umstrittene Abkommen uber die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP).

Auch diese Fragen durften sich jedoch kaum von der Grundsatzdiskussion fur und wider die europäische Einigung losen lassen. Diese Erkenntnis muss nicht nur der Haager Regierungschef Rutte beherzigen. Auch in anderen EU-Staaten sollten sich die Politiker ernsthafter mit den Folgen der Gewohnheit zu befassen, missliebige, uberwiegend von den Regierungen zu verantwortende europäische Kompromisse einer scheinbar anonymen zentralistischen Instanz namens „Brussel“ in die Schuhe zu schieben.

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Ukraine hält nach Niederlande-Referendum an EU-Annäherung fest