Natur

Geschäft mit dem Geschäft: Recycling stinkt nicht

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Ist das Geschäft erst erledigt, strudeln wir es in den Orkus. Aus den Augen, aus dem Sinn, der Rest ist Sache des Klärwerks. Gäbe es da nicht bessere Verwendungen für die ungeliebte Fracht?

Mark Watney steckt in der Scheiße. Mutterseelenallein auf dem Mars zuruckgeblieben, versucht sich der Held der jungst auch als Film in die Kinos gekommenen Raumfahrt-Robinsonade „Der Marsianer“ in seiner Bodenstation als Kartoffelbauer. Mangels Alternative nutzt er als Humus seine eigenen Ausscheidungen, vermischt mit Marssand. Wie so vieles in dem Roman des amerikanischen Autors Andy Weir steckt auch im Falle dieser Idee eine ganze Menge Science in der Fiction (Sonntagszeitung vom 27. September). Sowohl die Nasa als auch die europäische Raumfahrtagentur Esa erwägen fur lange Raumfluge das Komplettrecycling auch solcher Bioabfälle in einem moglichst geschlossenen Kreislauf.

Die sinnvolle Verwertung menschlicher Fäkalien ist indes nicht nur eine Herausforderung fur Raumfahrer, sondern langsam auch terrestrische Notwendigkeit: Bei einer Produktion von einem bis anderthalb Litern flussiger und 100 bis 200 Gramm nicht ganz so flussiger Ausscheidungen pro Einwohner und Tag kommen nämlich schnell viele Schwimmbecken voller Urin und Kot zusammen. Ein riesengroßer, unappetitlicher Haufen, der sich in einer urbanisierten Gesellschaft nicht mehr so einfach unter eine Schicht Laubstreu kehren lässt.

Das Problem der Exkremententsorgung beschäftigte bereits die ersten Stadtplaner der Menschheit, etwa die der bronzezeitlichen Induskultur vor rund 4000 Jahren. In der Ausgrabungsstätte Mohenjo-Daro in Pakistan ist noch heute das komplexe Kanalisationssystem zu bestaunen, das damals die einzelnen Häuser mit einem zentralen Abwasserkanal verband.

Dass die Produktion von Darm und Blase nicht nur stinkiger Abfall, sondern auch wertvolle Ressource sein kann, war schon im alten Rom bekannt: Dort wurde der Urin in offentlichen Amphoren-Pissoirs gesammelt und gewinnbringend zum Gerben von Leder genutzt. „Pecunia non olet“, sagte Kaiser Vespasian, zweigte sich von dieser Pipi-Wertschopfungskette seinen Teil in Form einer Latrinensteuer ab und bescherte der Nachwelt so das Sprichwort vom Geld, das trotz anruchiger Herkunft nicht stinke.

Im späten Mittelalter fand sich eine neue Verwendung fur den dann plotzlich sehr begehrten Rohstoff Urin: die Herstellung von Schwarzpulver. Fur eine moderne Kriegfuhrung mit Knalleffekt benotigte man neben Holzkohle und Schwefel auch Salpeter, bei dem es sich chemisch um Nitrate handelt. Diese entstehen, wenn bestimmte Bodenbakterien den im Urin enthaltenen Harnstoff oxidieren. Jahrhundertelang lebten die Salpetersieder davon, Nitratsalze aus den Boden und Mauern von Ställen und Sickergruben oder direkt in Salpetergärten aus einer mit Urin begossenen Mischung aus Erde, Kalk und Asche zu extrahieren. Weil sie mit Vollmacht des Landesherrn salpeterhaltiges Mauerwerk oder Erdreich kurzerhand beschlagnahmen durften, galten Salpeterer als wahre Landplage, derer man sich bestenfalls durch Bestechung erwehren konnte. Im fruhen 19. Jahrhundert wurden sie dann durch die Entdeckung großer Salpetervorkommen in Sudamerika arbeitslos.

Unser täglich Geschäft wurde damit wieder zu reinem Abfall, dessen Entsorgung man lange Zeit vernachlässigte. Das rächte sich: Im ungewohnlich heißen Sommer von 1858 wurde London vom legendären „Big Stink“ heimgesucht, verursacht durch das direkt in die Themse eingeleitete und dort bei Niedrigwasser noch mehr als sonst gammelnde Abwasser. Das darauf hin erbaute fortschrittliche und in Teilen noch heute im Betrieb befindliche Kanalisationssystem beforderte die ganze Jauche allerdings auch nur etwas weiter flussabwärts. Trotzdem war der Neubau ein großer Erfolg, denn mit dem Gestank ließen auch die Cholera-Epidemien nach.