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Referendum in Großbritannien: Abstimmen bis zur Abspaltung

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Schottlands Europaministerin droht mit einem neuen Referendum über die Unabhängigkeit, sollten die Briten in einer Volksabstimmung für den Austritt aus der EU stimmen.

Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, dass Schottland uber seine Unabhängigkeit abgestimmt und der damalige Ministerpräsident Alex Salmond uber eine vertane „Generationen-Chance“ geklagt hat. Doch in der Hauptstadt Edinburgh wird schon wieder munter uber eine neue Volksabstimmung diskutiert. Die Unterhauswahl vom Mai, bei der die Schottische Nationalpartei (SNP) fast alle Wahlkreise nordlich des Hadrianswalls gewonnen hat, offenbarten das „Momentum fur Wandel“, sagt die SNP-Politikerin und Ministerin Fiona Hyslop im Gespräch mit dieser Zeitung. „Der Appetit fur Unabhängigkeit war immer da, und der Mechanismus dafur ist nun einmal ein Referendum.“

Hyslop wurde Bildungsministerin, als 2007 die erste SNP-Regierung in Edinburgh vereidigt wurde. Seit vier Jahren ist sie Ministerin fur Kultur, Europa und Auswärtige Beziehungen. Den mittleren Teil ihres Portfolios nimmt sie besonders ernst: Schottlands Ziel sei es, „an einem fortschrittlichen Europa mitzubauen“ – als eigenständige kleine Nation, so wie Dänemark, Finnland oder Irland. Mit Sorge blickt Hyslop auf den „Isolationismus in London“. Sollte dieser nach dem – noch nicht terminierten – EU-Referendum in einen Austritt des Konigreichs aus der Europäischen Union munden, wurde das eine „Verfassungskrise“ hervorrufen, sagt die Ministerin. Premierminister Cameron gehe mit dem Referendum ein „sehr großes Risiko“ ein.

Kein Familienmitglied zurucklassen

In Umfragen sprechen sich 67 Prozent der Schotten fur einen Verbleib in der EU aus. Nur 18 Prozent wollen Brussel den Rucken kehren. Im Vereinigten Konigreich liegen diese Zahlen derzeit bei 44 und 34 Prozent. Vergeblich streitet die SNP in London fur eine „Double Majority“. Danach wurde ein Referendumsergebnis nur Bestand haben konnen, wenn es auch von allen vier Nationen – Engländern, Schotten, Nordiren und Walisern – separat getragen wurde.

Hyslop beruft sich auf David Camerons Wortschopfung von der „britischen Familie der Nationen“. Wurde er daran wirklich glauben, durfte in einer so wichtigen Frage wie der EU-Mitgliedschaft kein Familienmitglied einfach uberstimmt werden, argumentiert Hyslop – und lässt wenig Zweifel daran, dass ein „Brexit“ ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum in Schottland geradezu erzwingen wurde.

Ein zusätzlicher Antrieb fur eine weitere Volksabstimmung konnte in dem Dezentralisierungsgesetz stecken, das nach der Sommerpause in Westminster auf den Weg gebracht werden soll. Die bisher vorliegenden Entwurfe erfullten die schottischen Erwartungen „nicht ansatzweise“, klagt Hyslop. Weder bei der Unternehmensteuererhebung noch bei den Sozialausgaben sei die zugebilligte Autonomie ausreichend. Werden die SNP und Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon die Forderung nach einem neuen Referendum womoglich schon im Programm fur die schottischen Regionalwahlen im kommenden Mai verankern? Da will Hyslop „nicht spekulieren“.

Labour kopiert SNP

Mit einer Mischung aus Neugier, Nervosität und offizieller Zuruckhaltung beobachtet die SNP, was sich seit einigen Wochen in der Labour Party abspielt. Hyslop und ihren Parteifreunden ist nicht verborgen geblieben, dass der heißeste Kandidat fur den Labour-Vorsitz, Jeremy Corbyn, die politische Agenda der SNP nahezu kopiert hat: gegen Austerität und – nicht nur – britische Nuklearwaffen, fur mehr Sozialleistungen und Verstaatlichungen. „Es ist eigentlich alles minus die schottische Unabhängigkeit“, spottet ein Regierungsmitarbeiter aus Edinburgh.

Das bedeutet zweierlei: In Schottland konnte es bald wieder eine ernstzunehmende Konkurrenz fur die SNP geben, die derzeit bei sagenhaften 62 Prozent Zustimmung steht. Zum anderen konnten die beiden Parteien im britischen Unterhaus enger gegen die Tories zusammenrucken, womoglich sogar eine Art Oppositionsbundnis schießen.

35919405Vor noch nicht einmal einem Jahr stimmten die Schotten gegen eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich

Hyslop wehrt sich gegen den Eindruck, der SNP-Fraktion in Westminster liege das Wohl Schottlands näher als das des Vereinigten Konigreichs. Die 56 SNP-Abgeordneten im Unterhaus nutzten jede Gelegenheit, „schädliche Pläne“ der regierenden Konservativen zu vereiteln, sagt Hyslop. Das Ende des Fuchsjagdverbots sei so verhindert worden, ebenso die „Aufweichung der Menschenrechtspolitik“ – die Tories wollten den Einfluss des Europäischen Gerichtshofs fur Menschenrechte auf Britanniens Justiz eindämmen, haben dies aber wegen verfassungsrechtlicher Drohungen aus Edinburgh vorerst von der Tagesordnung genommen. „Sehe ich, dass unsere Fraktion mit einer Labour Party unter Jeremy Corbyn ofter zusammen stimmt als mit einer Labour Party unter Ed Miliband? Absolut!“

Schon vor den vergangenen Wahlen hatte die SNP der Labour Party eine Zusammenarbeit angeboten. Miliband hatte diese nicht zuletzt unter dem Druck eines Großteils der englischen Presse abgelehnt, die eine SNP-Labour-Koalition als Gefahr fur Staat und Wirtschaft darstellte. Die Verteufelung hat der SNP zu Hause, im Westminster-kritischen Schottland, eher genutzt. „Ich war allerdings uberrascht und auch ein bisschen enttäuscht uber diese unverblumte Feindseligkeit“, sagt Hyslop. „Schließlich sind wir schon seit 2007 eine erfolgreiche Regierungspartei!“