Wirtschaft

Protestantische Ethik: Das Kreuz mit der Kirche

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Warum nur tun sich die Kirchen so schwer mit der Wirtschaft? Auf vielen evangelischen Veranstaltungen wird viel zu pauschal die Wirtschaft für das Leid der Welt verantwortlich gemacht. Ein Gastbeitrag von Nikolaus von Bomhard, dem Chef der Munich Re.

Wer kennt nicht das Filmpärchen Don Camillo und Peppone? Der katholische Priester und der kommunistische Bürgermeister, die im Nachkriegsitalien mit Herzblut ihre Feindschaft pflegen. Aus den heimlichen Freunden von einst sind inzwischen ziemlich beste Freunde geworden. Die unterschiedliche Weltsicht von christlicher Kirche einerseits und linker Politik andererseits scheinen zumindest auf dem Gebiet der Wirtschaft weitgehend verschwunden. Das zugegebenermaßen verkürzt diskutierte Papst-Wort „Diese Wirtschaft tötet“ und daran anknüpfende Schriften, wie das Buch des Sozialethikers und Jesuiten Friedhelm Hengsbach mit dem Titel „Teilen, nicht töten“, zeigen, wie prononciert die katholische Kirche Kritik an der wirtschaftlichen Ordnung heutzutage formuliert.

Ähnliche Stimmen hört man auch aus dem evangelischen Umfeld, in der Kritik an der Wirtschaft ist die Ökumene gelebte Realität. In wenigen Tagen findet der Evangelische Kirchentag in Stuttgart statt. Es freut mich sehr, dass das Programm Besuche bei Unternehmen in der Region vorsieht. Denn aus der einst von Max Weber diagnostizierten Wahlverwandtschaft zwischen protestantischer Ethik und unternehmerischem Denken ist ein eher zerrüttetes Familienverhältnis geworden. Viele evangelische Veranstaltungen ähneln inzwischen alternativen Kulturfesten, bei denen das Leid der Welt vor allem einer Ursache zugeordnet wird: dem Handeln der Wirtschaft. Diese sei verantwortlich für Armut und Ungerechtigkeit innerhalb Deutschlands wie global, sie zerstöre die Schöpfung und gefährde die Demokratie, sie sei das goldene Kalb, um das fehlgeleitete Politiker und Manager tanzen.

Berechtigte Kritik schlägt um in diffuse Dämonisierung

Eine marktwirtschaftliche Ordnung kann tatsächlich nie ausschließlich „gut“ sein, denn die Freiheitsgrade, die sie bietet, eröffnen eben auch die Freiheit zum Missbrauch. In der Banken- und Finanzkrise haben wir die Folgen gesehen, wenn regulatorisch und moralisch eine Grauzone zwischen Gemeinwohl förderndem Erfolgsstreben und egoistischer Gier zugelassen wird. Jede Form der Marktwirtschaft verlangt deshalb nach permanenter Kritik und permanenter Korrektur, und die Kirchen sind eine sehr relevante Institution, diese Kritik zu üben. Was mich an der Wirtschaftskritik der christlichen Kirchen jedoch stört ist, dass die berechtigte Kritik durchaus vorhandener Fehlentwicklungen allzu schnell und allzu oft umschlägt in eine pauschale Systemkritik und in eine diffuse Dämonisierung, die positive Aspekte marktwirtschaftlichen Handelns ausblenden muss.

Nikolaus von Bomhard - Der Vorstandsvorsitzende des Versicherungskonzerns Munich Re stellt sich in München den Fragen von Winand von PetersdorffGastautor Nikolaus von Bomhard ist der Vorstandsvorsitzende der Munich Re

Wenn etwa das UN-Milleniumsziel, die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen zu halbieren, bereits fünf Jahre früher als geplant erreicht wurde, so hat dies selbstverständlich auch etwas mit der globalen Welt der Wirtschaft zu tun. Frühere Entwicklungsländer sind heute prosperierende Schwellenländer- in vielen ehemals armen Regionen der Welt sind breite Mittelschichten entstanden. Hierzulande finanziert die Wirtschaft direkt und indirekt einen ausdifferenzierten Sozialstaat mit einer Vielzahl an Unterstützungsangeboten und monetären Leistungen. Menschen aus aller Welt wollen hier leben und arbeiten. Der Zusammenhang von Marktwirtschaft und Demokratie ist derart eng, dass über viele Jahre die – aus heutiger Sicht leider unerfüllte – Hoffnung bestand, die Einführung eines marktwirtschaftlichen Systems würde auch in Staaten mit repressiver Führung mit der Zeit quasi automatisch Bürgerrechte – auch Religionsfreiheit – und demokratische Institutionen nach sich ziehen.

Unbestritten braucht die Marktwirtschaft einen staatlichen Ordnungsrahmen und auch Umverteilung, um sozial zu sein. Unter dem Strich sehe ich jedoch kein Wirtschaftssystem, in dem christliche Werte besser zur Entfaltung kommen können als in einer marktwirtschaftlichen Ordnung.

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Mit der kirchlichen Kritik an der Wirtschaft verbindet sich die Kritik an den dort tätigen Menschen. Manager, nicht nur aus der Finanzwelt, und Unternehmer werden allzu schnell auf das Feindbild eines Gordon Gekko reduziert. Doch gute Christen gibt es auf allen Hierarchieebenen. Viele Manager und Unternehmer arbeiten nach Kräften daran, das ihnen anvertraute Unternehmen verantwortungsvoll zu führen. Ohne wirtschaftlichen Erfolg lässt sich gesellschaftliche Verantwortung nicht dauerhaft wahrnehmen, weder den Mitarbeitern und ihren Familien, den Kunden noch der Umwelt gegenüber. Der Starke kann den Schwachen nicht stützen, wenn man ihn außerhalb der Gemeinschaft stellt. Eine Kirche, die für alle Menschen da sein will, darf sich nicht vor denen verschließen, die sich zur Wirtschaft des Landes zählen.

Als Protestant und verantwortliche Führungskraft von Munich Re bestürzt mich der Graben zwischen Kirche und Wirtschaft, der an einigen Stellen ausgehoben wurde und wird. Hier wird getrennt was meines Erachtens zusammen gehört: unternehmerischer Erfolg, nachhaltiges Wirtschaften und solidarisches Handeln.