Gesellschaft

Zweifel an Brustkrebs-Screening: Hoffnungslos übertherapiert?

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Beim Mammographie-Screening werden oft Krebsvorstufen entdeckt. Welche davon gefährlich werden, weiß man nicht – es gibt jedoch erste Anhaltspunkte.

Das Mammographie-Screening führt zur Früherkennung von Brustkrebs, allerdings hat dieser Nutzen einen Preis, und zwar in Form von Überdiagnosen und Übertherapien. Das Problem entsteht durch die vermehrte Entdeckung von Krebsvorstufen, den sogenannten In-situ-Karzinomen oder DCIS (Duktales Carcinoma in situ). In Deutschland ist fast jedes fünfte im Screening entdeckte Karzinom ein In-situ-Karzinom und kein invasiver Tumor. Vor der Einführung des Screenings war diese Zahl deutlich niedriger. In der Mammographie werden die DCIS an mehr oder weniger ausgedehnten und vielgestaltigen Mikroverkalkungen erkannt.

Bei den DCIS beschränken sich die entarteten Zellen auf die Milchgänge. Sie sind noch nicht über die Ränder hinausgekommen. Die natürlichen Gewebegrenzen in der Brust sind bei den DCIS also noch intakt. Die krankhaft veränderten Zellen haben auch noch keine Metastasen gebildet, weil sie – eingesperrt in den Milchgängen – noch keinen Zutritt zum Blut- oder Lymphgefäßsystem gefunden haben. Allerdings entwickeln sich viele Krebsvorstufen mit der Zeit zu einem invasiven Karzinom. Da heute niemand sicher vorhersagen kann, ob und wann aus einem In-situ-Karzinom ein um sich greifender Brusttumor wird, werden die betroffenen Frauen vorbeugend behandelt – und zwar zumeist so, als ob sie bereits ein invasives Karzinom hätten. Viele werden dadurch hoffnungslos übertherapiert, weil sich ihre Krebsvorstufen vermutlich nie weiter entwickelt hätten. Nach Ansicht von Karin Bock vom Referenzzentrum Mammographie Südwest in Marburg kann man dieses Dilemma nicht allein dem Screening anlasten, weil es nicht nur ein Problem der Überdiagnosen, sondern auch der Übertherapien ist.

Keine sichere Beurteilung möglich

Sicher lösen ließe sich dieses Dilemma nur dann, wenn die Gefährlichkeit der Krebsvorstufen mit genetischen oder biochemischen Signaturen zweifelsfrei beurteilt werden könnte. Matthias W. Beckmann vom Uniklinikum Erlangen glaubt nicht, dass es eine solche Beurteilung in absehbarer Zeit geben wird. Er nennt zwei Gründe. Zum einen sei es schwierig, bei den Operationen eine genügend große Menge an Krebsvorstufen sicherzustellen, um auf der Basis dieses Gewebematerials einen entsprechenden Test zu entwickeln. Außerdem sei ein solcher Test auch gar nicht praxisrelevant, weil er die Patientinnen nur in Kollektive einteile, aber nicht über die Behandlung entscheide. Dazu seien ganz andere Studien nötig, so Beckmann weiter. In den Vereinigten Staaten ist zwar ein erster Gentest auf dem Markt, allerdings gehen die Meinungen über den Wert dieses Tests auch dort auseinander. Darauf hat Eliot Marshall von der „Science“-Redaktion unlängst in einem Bericht hingewiesen („Science“, Bd.343, S.1454).

Einige amerikanische Ärzte um Laura Esserman von der University of California in San Francisco wollen dem Dilemma dadurch beikommen, dass sie den In-situ-Karzinomen einen anderen, weniger angsteinflößenden Namen geben. Das Wort Karzinom mache es schwer, einen Schritt zurückzutreten und über weniger aggressive Behandlungen nachzudenken, schreibt Eliot Marshall über diese Position. Beckmann kann diesem Argument einiges abgewinnen. DCIS seien Krebsvorstufen und keine Karzinome, sagt er. Im Grunde sei es auch falsch, beim Wiederauftreten nach einer Operation von einem Rezidiv zu sprechen. „Es kann sehr gut sein, dass die Frauen eine gewisse Prädisposition für die Bildung dieser Vorstufen haben und dass sie immer wieder neu entstehen“, sagt Beckmann. Karin Bock hält nichts von einem neuen Namen für die In-situ-Karzinome. „Dies würde nur Verwirrung stiften“, sagt sie „Und zwar auf lange Zeit. Ein neuer Name könnte die In-situ-Karzinome auch verharmlosen“. Bock wünscht sich eher mehr Aufklärung statt einer neuen Nomenklatur.