Gesellschaft

Hier darf Opa schwul sein: Frankfurter Heime

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Zwei Pflegeheime des Frankfurter Verbands sind besonders tolerant gegenüber homosexuellen Senioren. Im Julie-Roger-Haus gehören auch Stripshows zum Programm. Da staunen selbst liberale Holländer.

Der greise Mann hat es sich auf seinem Lieblingsplatz gemütlich gemacht. Von dem roten Ledersofa aus hat er beste Sicht auf die Rezeption. Und auf den Rezeptionisten. Ein schicker Pfleger steht hinter dem Tresen und verrichtet seinen Dienst in einer Pagenuniform, als wäre das Julie-Roger-Haus kein Altersheim, sondern ein Hotel. Der Mann schaut ihm gerne zu. Er ist 73 Jahre alt und schwul. Die Pfleger wissen das, sonst weiß es fast niemand. „Warum hätte ich auch darüber reden sollen?“, fragt der Mann. Für ihn war es normal, seine Neigungen zu verstecken, nicht einmal sein Bruder habe davon gewusst. Er stammt aus einer Generation, in der Schwule noch das Strafrecht zu fürchten hatten. Sein Leben lang hat er allein gewohnt, hat viel gearbeitet und ist oft gereist. Vor kurzem ist er in das Pflegeheim in Eckenheim gezogen.

Bewusst hat er sich für das Julie-Roger-Haus entschieden, denn es hat sich zum Ziel gesetzt, eine besonders tolerante Grundstimmung zu schaffen. Zusammen mit dem Rehazentrum West in Rödelheim gilt es in dieser Hinsicht als vorbildlich. Gestern sind beide Häuser dafür ausgezeichnet worden. Von nun an dürfen sie mit dem „Regenbogenschlüssel“ werben, einer Plakette, die eine niederländische Organisation vergibt. Die hatte beide Häuser getestet, sich Konzepte und Richtlinien angeschaut und mit Pflegern und Bewohnern gesprochen. „Die Häuser sind weiter als viele, die wir in Holland untersucht haben“, sagt Manon Linschoten, die die Auszeichnung gestern überreichte. Das liege auch daran, dass beide Heime sich schon lange mit dem Thema beschäftigten. Der Frankfurter Verband betreibt die beiden Heime und ist der erste Träger außerhalb Hollands, der die Auszeichnung erhalten hat. „Die kleinen Dinge machen den Unterschied“, sagt Frédéric Lauscher, Leiter des Pflegevereins.

Bis zu zwölf Prozent homosexuell

Mit der Aufnahme fängt es an. Statt nur speziell nach einem Ehemann oder einer Ehefrau zu fragen, gibt es auch die Möglichkeit, sich nach einem Lebenspartner zu erkundigen. So sollen die Bewohner gleich merken, dass die Heime offen sind für verschiedene Lebensentwürfe. Lauscher geht von einer Quote von sieben bis zwölf Prozent an homosexuellen Bewohnern aus. Sie seien die größte Minderheit in den Heimen, noch vor den Migranten, auch wenn sich nur wenige outeten. Im Julie-Roger-Haus und im Rehazentrum West leben jeweils weniger als eine Handvoll offen schwul oder lesbisch. Viele haben jahrzehntelanges Verstecken hinter sich. Wer mit seinem Partner zusammenlebte, nannte ihn offiziell seinen Betreuer oder Mitarbeiter. Für manche sei es eine Befreiung, im Julie-Roger-Haus endlich offen über ihre Sexualität reden zu können, sagt dessen Leiter Armin Blum. Neulich ist wieder jemand eingezogen, für den genau das gilt. Den Pflegern hat er sich anvertraut, ihnen aber auch das Versprechen abgenommen, seine Neigung nicht öffentlich zu machen. Aber den ein oder anderen Film könnten sie ihm doch besorgen, bat er. Können sie. Schließlich sind auch viele Mitarbeiter im Julie-Roger-Haus schwul oder lesbisch.

Andere Bewohner sprechen es gar nicht aus, aber die Pfleger wissen es trotzdem. Ihr Lächeln, wenn sich ausgerechnet der hübscheste Angestellte um sie kümmert, verrät sie ohnehin. Wieder andere Bewohner verlieren mit dem Gedächtnis auch die Angst davor, zu ihrer Orientierung zu stehen – Outings aus Vergesslichkeit sozusagen. Knifflig wird es für Blum, für Ilka Richter, Leiterin des Rehazentrums West, und ihre Kollegen, wenn sie den Verwandten erklären müssen, dass ihr Vater oder Opa plötzlich schwul ist. Oder ihre Mutter nun in einer Dreierbeziehung lebt. Aber auch das gehört dazu. Die Pfleger greifen nur dann ein, wenn Bewohner zu etwas gedrängt werden oder sich belästigt fühlen. „Wir sind ein offenes Haus, aber trotzdem seriös“, sagt Blum.