Lebensstil

Männer lernen Schuhe putzen

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In einer Maßschuhmanufaktur lernen Männer, wie sie ihre Schuhe richtig putzen. Erste Regel: Hingabe zeigen.

Der große, dunkle und schwere Holztisch ist schon gedeckt. Auf den braunen Sets aus Leder liegt jeweils ein Serviettenring – mit einem dreckigen Stück Stoff darin. Daneben kein Besteck, sondern eine Bürste. Und in der Mitte des Tisches sind ein paar Döschen aus Glas akkurat angerichtet – allerdings nicht mit mediterranen Köstlichkeiten, sondern mit Schuhcreme in verschiedenen Farben.

Guten Appetit.

„Hier gilt: Erst das Vergnügen und dann die Arbeit“, sagt Matthias Vickermann und bittet seine Gäste in den Nebenraum. Zehn Männer sind an diesem Abend nach Baden-Baden in die Maßschuhmanufaktur „Vickermann &amp- Stoya“ gekommen, um sich zeigen zu lassen, wie man professionell Schuhe putzt. 79 Euro blättern sie für diese Beschäftigung hin, die für die meisten Deutschen reine Zeitverschwendung darstellt, im besten Fall eine lästige Pflicht ist. „Deutschland hat eine mangelnde Schuhkultur“, sagt Vickermann dazu. Klingt arrogant, ist aber eine Tatsache, die man beim Bahn fahren oder sogar in der Oper sehen kann: schmutzige Nullachtfünfzehn-Treter an den Füßen, mit Löchern und Macken.

„Ein kleiner Beitrag zur deutschen Schuhkultur“

Nicht nur Vickermann &amp- Stoya versuchen mit ihren Schutzputzkursen „einen kleinen Beitrag zur deutschen Schuhkultur zu leisten“. In München veranstaltet sie Edi Meier, Chef des ehemals Königlich Bayerischen Hoflieferanten Eduard Meier- auch in Hamburg und Berlin bieten Schuhmanufakturen solche Abende an. Ob jedoch alle vom Alltagsstress geplagten Bürohengste so ein leckeres Menü als Motivationshilfe wie von Mama Stoya kredenzt bekommen? Es gibt Kartoffelgratin, zartes Rindfleisch, Schweinebacken, Gemüse, diverse Vorspeisen, recht deftig alles, aber raffiniert gewürzt. Dazu Wein, um den Arm mit der Bürste später mit Verve schwingen zu können, und naturtrübes Bier.

Im Jahr 2004 übernahmen Vickermann und Martin Stoya die Schuhmacherei Hummel in Baden-Baden und formten seitdem daraus eine überregionale Marke für Maßschuhe. Über die Grenzen Badens hinaus heißt hier: in der Karibik. Vor ein paar Jahren begann Vickermann auf dem Luxusdampfer „MS Europa“ Schuhputzkurse zu geben. „Meine Seminare waren immer ausgebucht“, erinnert er sich an seine erste Kreuzfahrt, die ihn drei Wochen durch die Südsee führte. Da griffen Menschen zur Bürste, die sonst im Alltag von Bediensteten verwöhnt werden. Aber im Urlaub, umrahmt von der exotischen Inselwelt des Südpazifik, mit einem Cocktail mit bunten Schirmchen in der Hand, ist ja vieles anders.

Fast alle Schuharten in unterschiedlicher Qualität

Und am Westrand des nördlichen Schwarzwaldes? Erst nach der Vorspeise haben sich die Teilnehmer die grüne Schürze umgehängt, sitzen gelöst, gutgelaunt und schon leicht alkoholisiert am Tisch und checken heimlich die Konkurrenten aus: Wer hat die besten und schönsten Schuhe? Die Auswahl ist sehr unterschiedlich. Slipper, Oxfords, Derbies, Monks, Budapester, Stiefel, fast alle Schuharten sind vertreten.

Auch die Qualität unterscheidet sich deutlich, was überrascht, schließlich befindet man sich bei einem Schuhputzkurs in einem Maßschuhgeschäft, wo ein Schuh 2000 Euro kostet und die hölzernen Leisten der mittlerweile paar hundert Kunden wie Trophäen an der Wand hängen.

Vor Mario, Leiter eines Autohauses, Vizepräsident eines Porsche Clubs, Rolexträger, stehen hellbraune Budapester, also klassische Lederschuhe mit aufwendiger Lochverzierung. In seiner Nähe sitzen Albrecht und Thomas, die als Goldschmiede in Baden-Baden dem internationalen Jetset Edelsteine umhängen. Thomas, braungebrannt, nach hinten gelockte weiß-graue Haare, möchte seine schönen, braunen, italienischen Lederschuhe auf Vordermann bringen.

Seinem Kompagnon Albrecht, ebenfalls schon graumeliert, möchte man am liebsten sagen: Kauf dir einfach neue Schuhe, Mann, und spar dir die Arbeit. Man ist dann aber doch von der Akribie, mit der er seine hässlichen, billigen Kastenschuhe verwöhnt, gerührt. Er streichelt förmlich das Kunstleder seiner Schuhe, spitzt die Zunge, wenn er die Kanten saubermacht, und lässt sich von niemandem ablenken. Wieso legt er so viel Wert auf feine Materialien und Ästhetik bei seiner Arbeit, trägt aber solche einfachen Schuhe? Ja, darauf habe er eigentlich auch keine Antwort, sagt Albrecht und widmet sich wieder seinem Schuh.