Inland

Empörung über Urteil: Kultureller Rabatt für „Ehrenmord“

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Ein Deutsch-Afghane, der seine schwangere Ex-Freundin hinterrücks erstochen hat, bekommt eine Art Rabatt. Er habe sich „aufgrund seiner kulturellen und religiösen Herkunft in einer Zwangslage befunden“, sagen die Richter.

Das Landgericht Wiesbaden konnte am Montag im Fall des Deutsch-Afghanen Isa S. keine „besondere Schwere der Schuld“ erkennen. Am 5. Februar vergangenen Jahres hatte der Muslim seine schwangere ehemalige Freundin mit drei Messerstichen hinterrücks erstochen. Er hatte die Beziehung zu der Deutsch-Amerikanerin seinen Eltern verheimlicht, weil er befürchtete, dass sie die Verbindung nicht gutheißen würden.

Als die junge Frau ihm mitteilte, dass sie von ihm schwanger sei, wollte er sie zu einer Abtreibung zwingen, sonst werde sie „den Afghanen in ihm“ kennenlernen. Sie aber wollte das Kind behalten und es auf keinen Fall islamisch erziehen. Das Gericht verurteilte Isa S. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der Angeklagte, zum Zeitpunkt der Tat 23 Jahre alt, sei aber noch „recht ungefestigt“- außerdem habe er sich „aufgrund seiner kulturellen und religiösen Herkunft in einer Zwangslage befunden“.

So begründete der Vorsitzende Richter den Verzicht darauf, die „besondere Schwere der Schuld“ festzustellen. Die Staatsanwaltschaft hatte dies gefordert, auch um eine Haftentlassung auf Bewährung nach 15 Jahren unmöglich zu machen. Birgitta Biehl, Rechtsanwältin aus Köln und zweite Vorsitzende des Vereins „Peri e.V.“, ist nach dem Ende des Prozesses nicht besonders überrascht, aber dennoch empört. „Wenn der Täter Christ oder Atheist gewesen wäre, würde seine Schuld schwerer wiegen?“, fragt sie.

Den kulturellen Rabatt, der Tätern wie Isa S. gewährt wird, stellt sie in Frage: „Der Mann ist hier aufgewachsen und hier zur Schule gegangen- er hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Er musste wissen, welche Regeln hier gelten. Es war auch keine Frage mangelnder Bildung- der Mörder war Student.“ Der Verein „Peri“ (zu Deutsch: „Die gute Fee“) hilft jungen Frauen, die von einer Zwangsheirat bedroht sind. Biehl hat den Prozess von Anfang an beobachtet und darüber auf der Internetseite ihres Vereins berichtet.

Seit zwei Jahren besucht sie sogenannte Ehrenmord-Prozesse, um über die Muster zu informieren, die hinter solchen Taten stecken. Vier Prozesse hat sie bisher begleitet- den Anfang machten die Verhandlungen gegen die Familie der jesidischen Kurdin Arzu Özmen in Detmold. In der Nacht zum 1. November 2011 war die 18 Jahre alte Frau von ihren fünf Geschwistern aus der Wohnung ihres deutschen Freundes entführt und an einem unbekannten Ort von ihrem Bruder Osman durch zwei Kopfschüsse ermordet worden.

Patriarchale Strukturen und ein spezieller Ehrbegriff

„Es sind die patriarchalen Strukturen in diesen Familien und ein spezieller Ehrbegriff. Der Einzelne mit seinen Wünschen gilt nichts, nur in seiner Funktion für das Kollektiv ist er von Bedeutung“, sagt Biehl. Unter Jesiden ist der Druck, den „richtigen“ Ehepartner zu finden, besonders groß. In Deutschland leben etwa 40.000 von ihnen, überwiegend aus den kurdischen Gebieten der Türkei und aus dem Nordirak. Das Jesidentum gilt als Abspaltung vom Islam, hat aber auch Elemente des orientalischen Christentums adaptiert.

Als Jeside gilt nur, wessen Mutter und Vater beide dieses Glaubens sind. Der Druck, innerhalb der Religionsgemeinschaft zu heiraten, ist daher besonders hoch. Das spiegelt sich direkt in dem hohen Anteil von Jesidinnen in Deutschland, die sich aufgrund einer bevorstehenden Zwangsheirat an Beratungseinrichtungen wenden. Dieser Anteil lag nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2011 bei knapp zehn Prozent, obwohl ihre Zahl nur einem Hundertstel der in Deutschland lebenden Muslime entspricht.

Strenge Heiratsvorschriften werden nur Frauen auferlegt

Auch der Zentralrat der Muslime, der jetzt wieder an der Neuauflage der Deutschen Islamkonferenz beteiligt ist, kennt strenge Heiratsvorschriften – allerdings werden sie nur Frauen auferlegt. Auf der von ihm betriebenen Internetseite „islam.de“ wird unter den „häufig gestellten Fragen“ ausgeführt, dass zwar die Heirat eines Muslims mit einer Christin oder Jüdin erlaubt sei, sofern die Kinder muslimisch erzogen würden – nicht aber die Heirat einer muslimischen Frau mit einem Nichtmuslim.

Als Begründung wird dort im Ton der Fürsorglichkeit angegeben, dass „die Rechte der Frau in der Ehe“ („wie zum Beispiel ihre Versorgung und die gerechte Behandlung seitens des Ehepartners“) dann nicht mehr gewährleistet seien, ebenso wenig ihre „freie Religionsausübung“. In den deutschen Gesetzen allerdings ist festgehalten, dass sowohl die Religionsfreiheit wie auch Versorgungsansprüche gewährleistet sind – und zwar unabhängig von der Religionszugehörigkeit des Ehepartners.

„Unfassbar“, sagt Rechtsanwältin Biehl, „dass jemand, der solche Ansichten zu Lehrmeinungen erhebt, an so prominenter Stelle im Gespräch zwischen Staat und Religionsgemeinschaften mitreden darf. Auch die Rolle der Verbände bei der inhaltlichen Ausgestaltung des islamischen Religionsunterrichts muss man gerade vor diesem Hintergrund sehr kritisch sehen.“ Wenn die konservativen Verbände hier die Oberhand gewönnen und ihre Moralvorstellungen dort verbreiten dürften, stürze das junge Mädchen, die sich in einen nichtmuslimischen Mitschüler verlieben, in schwere Konflikte.

Birgitta Biehl spricht dabei auch aus eigener Erfahrung: Über ihre Kinder lernte sie eine junge Kurdin kennen, die von ihren Eltern unter Druck gesetzt wurde, das Haus nicht zu verlassen und keinerlei Kontakt mehr zu Deutschen zu haben. Als sie nicht folgte, drohte der Vater, sie prügelnd: „So wie du lebst, geht es nicht, im nächsten Sommer verheiraten wir dich.“ Die junge Frau, damals 18 Jahre alt, floh und fand bei der Rechtsanwältin ein vorübergehendes Zuhause und bis heute Unterstützung.Nach Jahren voller Angst und komplizierter Versteckmanöver studiert sie nun für das Lehramt an Hauptschulen. Sie ahnt, dass ihr Lebensthema auch in der Arbeit mit ihren künftigen Schülerinnen ständig präsent sein wird.