Gesellschaft

Spagat-Person mit vielen Talenten und Interessen

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Wer übt, fällt den Kollegen in den Rücken: Melina Hepp ist „Melli“ im Frankfurter Theater Landungsbrücken.

PreviewPagemarker“ id=“pageIndex_1″>Nach Theater sieht das erst mal nicht aus. Gut, es gibt eine winzige Tingeltangelbühne, gerade groß genug für den angekündigten Star des Abends unter gleißend hellem Spot, Scheinwerfer rechts und links der Spielfläche, im Hintergrund dezent Musik, ein Mikro und knallrote Stühle für das Publikum und außerdem noch einen Stapel offenbar vergessener Holzpaletten. Das aber ist auch schon so ziemlich alles im Theater Landungsbrücken. Drei Tage vor der Premiere weiß noch niemand, wie lang dieser Abend werden wird, gibt es keine Entscheidung zur Auswahl der Kostüme, ja im Grunde nicht einmal ein Stück. Und die Hauptdarstellerin beherrscht nicht mal ihre drei Akkorde auf der reichlich verstimmten Ukulele.

Doch immerhin: Nach einer langen Nacht im Schneideraum ist wenigstens das Video zum Stück fertig. „Wer übt, fällt seinen Kollegen in den Rücken“, sagt derweil Linus Koenig, der gerade hereinkommt und gemeinsam mit Michaela Conrad „Melli singt ein Lied“ inszeniert. Und meint das höchstens halb im Scherz. Denn Improvisation ist bei der neuen Produktion des kleinen Frankfurter Theaters ganz und gar Konzept. Wie überhaupt vieles ein klein wenig anders ist bei „Melli singt ein Lied“, jenem Solo, das sich Melina Hepp auf den eigenen, 1,54 Meter messenden Leib geschrieben hat und das als „Work in Progress“ erst nach und nach in der gemeinschaftlichen Arbeit an den einzelnen Szenen entsteht.

Traum vom großen Solo

Ein Abend, der so fiktiv ist wie authentisch, der Realität abgeschaut geradeso, wie er Mal um Mal Revue, Spektakel und die große Show verspricht, freilich zunächst ohne das Versprechen wirklich einzulösen, und der als eine Art Metatheater zugleich den ganzen Zirkus, die Bühnenkunst als solche und das Showbiz hinterfragt. Und der steht und fällt mit seiner Hauptdarstellerin. Denn „Melli singt ein Lied“, so der im Grunde provisorische, weil noch vor der intensiven Arbeit am Stück entstandene Titel dieses „Solos für die Sehnsucht“, ist ihre Geschichte. Ihr Traum, eins zu eins, in Farbe, in Stereo und in 3D. Beinahe jedenfalls.

Die Geschichte eines jungen Mädchens mithin, das schon immer ans Theater will und vom großen Solo, der grandiosen Show und dem Spektakel träumt. Das Leben einer Schauspielerin, die es zwar auf die Bühne etwa der Schmiere, der Landungsbrücken oder des Papageno-Theaters schafft, doch statt Homestories, fette Gagen und Autogrammkarten mit sich herumzutragen oder wenigstens Grammys und Affären anzuhäufen, werktags als Sekretärin an der Universität arbeitet und deren Leben überhaupt nicht wirklich viel Glamouröses hat. Die Geschichte einer Frau also wie Melina Hepp. „Ich bin halt so eine Spagat-Person“, sagt die Schauspielerin, soll heißen, sie mache am liebsten alles, am besten jetzt und überhaupt zur gleichen Zeit.

Studieren, jobben und auf Partys gehen etwa, nebenbei noch eine Schauspiel- und eine Gesangsausbildung absolvieren, Theater, singen und Satire, eine Familie gründen, Geld verdienen und doch immer auf den großen Durchbruch hoffen. Das ist Melli. Und die Geschichte von Melina Hepp. Ein Mensch mit vielen Talenten also und mit noch mehr Interessen. Und einer groß und größer werdenden und im Verlauf der Jahre immer dringlicher sich artikulierenden Frage, wie sie sich vermutlich viele Menschen mit Anfang, Mitte vierzig stellen: War es das? Warum hast du das, wovon du seit deiner Kindheit träumst, eigentlich nie gemacht? „Das“, sagt Hepp, „beschäftigt mich jetzt schon eine ganze Weile. Aber ich wusste nicht, was ich damit machen sollte, ob das eher so eine Art Kabarett wird oder mehr Revue oder Theater und überhaupt, wie sich das dramatisieren lässt.“

Die Form, glaubt man Ko-Regisseurin Conrad, die sie gemeinsam für den Stoff gefunden haben, sei kein „Jammerstück“, sondern vielschichtig. Eine Show im Grunde, „die ein Stück ist, und ein Stück, das eine Show ist“. Und doch, darf man nach dem ersten Durchlauf an diesem Nachmittag, ohne Zögern konstatieren, ist „Melli singt ein Lied“ zugleich viel mehr als ein Stück über die „Wege zum Ruhm“, wie es im Untertitel heißt. Und wie man sie verpasst. Denn die Geschichte einer großen Sehnsucht, von Musik, die unser Leben immer schon begleitet und zu kommentieren scheint, von Hoffnung und Scheitern und ganz und gar banalem Alltag wird hier erzählt auf eine Weise, dass sich Melli und Melina Hepp, Figur und Schauspielerin also, kaum mehr unterscheiden.

Songs von Winehouse and Manilow

Das ist naturgemäß so vielversprechend wie heikel. Und eine Herausforderung. Vor allem aber war es so gar nicht geplant. Doch „statt in eine Rolle zu schlüpfen, eine Frau zu zeigen, die so ähnlich tickt wie ich“, hätten sie entschieden, das könne sie genauso gut selbst sein. Ihre eigene Geschichte. Oder zumindest ganz nah dran. Ein Balanceakt, keine Frage. Einerseits. Denn andererseits ziehe man sich als Schauspieler doch eigentlich immer aus. Ganz und gar. So oder so. „Ich glaube, so fällt es mir vielleicht sogar leichter“, sagt Hepp. „Obwohl, eigentlich weiß ich das noch gar nicht. Erst nach der Premiere.“ Drei Tage sind es noch bis dahin.

Nicht viel für ein Stück, das es noch immer nicht gibt. Und doch eine Menge für ein Theater, das zu proben nicht einfach ist, sollen Spontaneität und Improvisation die Show und Mellis Solo so weit wie möglich tragen. Die drei Akkorde auf der Ukulele wird sie auf Geheiß der Regisseure nicht mehr üben. Und auch die Texte all der Songs etwa von Amy Winehouse oder Barry Manilow, die Mellis Sehnsucht vor allem zu Beginn des Abends musikalisch spiegeln, wird sie vermutlich nicht mehr lernen. Nach einem langen Probentag aber muss mein kein Prophet sein: „Melli singt ein Lied“, das wird in jedem Fall ein unvergesslicher Theaterabend.