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Ukraine: Die Kornkammer Europas

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Die Ukraine besitzt die fruchtbarsten Böden der Welt, die Schwarzerde sorgt für ertragreiche Ernten. Doch der für das Land so wichtige Getreideexport könnte durch die politische Krise bedroht sein.

Die fruchtbarsten Äcker Europas liegen in der Ukraine. Rund 60 Millionen Tonnen Getreide werden dort jährlich produziert – hauptsächlich Weizen, Mais und Gerste. Mehr als die Hälfte davon geht ins Ausland. Als Exporteur von Getreide steht die Ukraine im weltweiten Vergleich an dritter Stelle, gleich hinter den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union. Bei den Ölsaaten ist sie sogar Weltmarktführer.

Der Grund liegt zum einen in der schieren Fläche: Die Ukraine, nach Russland das zweitgrößte Land Europas und mit 45 Millionen Einwohnern nicht besonders dicht besiedelt, bietet viel Platz für Landwirtschaft. Wichtiger noch ist aber die besondere Qualität der ukrainischen Ackerfläche.

Dass Boden nicht gleich Boden ist, weiß man spätestens, wenn man sich als Hobbygärtner versucht. Die fruchtbare Schicht der Erde kann zwischen mehreren Zentimetern und wenigen Metern Tiefe messen und bildet lokal verschiedene komplexe Ökosysteme aus. Klima, Nährstoffe, Wasser und auch Schadstoffe spielen dabei eine Rolle.

Tschernoseme – die fruchtbarsten Böden überhaupt

Die in der Ukraine reichlich vorhandenen sogenannten Schwarzerden oder Tschernoseme (nach russisch „tschernyj“, schwarz) zählen zu den kontinentalen Steppenböden und zu den fruchtbarsten überhaupt. Benannt wurden sie nach ihrer dunkel gefärbten und bis zu achtzig Zentimeter mächtigen Humusauflage. Es sind ideale Substrate, krümelig und locker. Nährstoffe und Wasser sind von den Pflanzen bestens zu erreichen, auch die Durchlüftung verhilft zu hohen Erträgen.

Diese Fruchtbarkeit ist durch das Ausgangsgestein Löss bedingt, das meist die Grundlage der Schwarzerde bildet. Der kalkhaltige Staub lagerte sich während der vergangenen Eiszeiten ab und bietet nun beste Lebensbedingungen für viele im Boden lebende Tiere. Regenwürmer, Steppenmurmeltiere und Feldhamster durchwühlen und durchmischen den Grund, woraus dann die Schwarzerde entsteht. Werden die Steppenböden nicht bewirtschaftet, sind sie von einer üppigen Schicht aus Gräsern und Kräutern bewachsen, die das organische Material für die Humusbildung liefern.

Damit ist die Ukraine reicher gesegnet als jedes andere Land der Erde. Dreißig Prozent der weltweit vorkommenden Schwarzerde finden sich hier, als Teil einer zusammenhängenden Fläche, die sich über Ungarn und Rumänien bis nach Russland, Kasachstan und in Teile der Mongolei erstreckt. In Mitteleuropa sind Schwarzerden ansonsten seltene Relikte, zu denen etwa das Thüringer Becken, die Magdeburger und die Hildesheimer Börde gehören. Nicht zufällig gehören sie zu den ertragreichsten Landstrichen in Deutschland.

Das Potential ist längst nicht ausgeschöpft

In der Ukraine bedeckt die Schwarzerde satte 56 Prozent der Landesfläche. Nicht überall wird sie landwirtschaftlich genutzt, aber insgesamt bilden die Tschernoseme zwei Drittel des ukrainischen Ackerbodens. Deren Potential sei aber noch längst nicht ausgeschöpft, sagte der ukrainische Agrarminister Nikolai Prisjaschnjuk vor zwei Jahren. Bis 2017 will die Ukraine 80 Millionen Tonnen Getreide jährlich produzieren. Tatsächlich ist die Weizen- und Maisproduktion in der Ukraine auf Expansionskurs. Allerdings spielt sie für die Versorgung der EU nur eine geringe Rolle, schließlich exportiert auch Deutschland Getreide und konkurriert dabei sogar mit der Ukraine um die großen Importländer in Nordafrika und im Nahen Osten. Dort führen das hohe Bevölkerungswachstum und die durchs Klima arg begrenzten Anbaubedingungen zur einer starken Nachfrage.

Geographisch liegt die Ukraine hier gegenüber Deutschland klar im Vorteil. Von den Häfen am Schwarzen Meer gelangt das Korn mit Handelsschiffen über den Bosporus ins Mittelmeer und von dort zu den Großimporteuren. Qualitativ sieht es schon anders aus. Denn die Ukraine liefert hauptsächlich Futtergetreide, während „Getreide mit hoher Qualität bisher aus anderen Ländern kommt, unter anderem aus Deutschland“, sagt Heinz-Wilhelm Strubenhoff. Der ehemalige Projektleiter des Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs arbeitet zurzeit als Manager bei der International Finance Corporation in Kiew: „Deshalb hat sich die Ukraine als Konkurrent noch nicht so stark bemerkbar gemacht.“

Der Agrarsektor in der Ukraine biete mit seinen Land- und Ertragsreserven ein hohes Wachstumspotential, sagt auch Strubenhoff. Dafür müssten zukünftig allerdings noch einige Herausforderungen bewältigt werden. Die Produktion und die Qualität der Ernte könnten nur gesteigert werden, wenn sich einige Rahmenbedingungen ändern oder angepasst werden. Strubenhoff sieht drei große Risikofaktoren: Das Wetter, einen erst schwach ausgeprägten Wettbewerb der Produzenten und politische Regulierungen. Dazu kommen die schlechte Verfügbarkeit von Produktionsmitteln, der hohe administrative Aufwand und schließlich die Korruption – all dies erschwere die Arbeit der Landwirte in der Ukraine sehr.

Erosion als Bedrohung

Aber auch die Schwarzerden selbst werden zum Problem. Seit Beginn des Jahrhunderts hat die Mächtigkeit der Lössböden teilweise stark abgenommen. Schuld ist Erosion. Durch übermäßige Beanspruchung und falsche Bewirtschaftung wird die Erde von Wind und Regen davongetragen und verschwindet in Flüssen und Meeren.

„Dieses Problem wird in der Ukraine unterschätzt“, sagt Strubenhoff. Eine Studie der Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen und der Weltbank fand heraus, dass rund 500 Million Tonnen ukrainischen Ackerbodens jährlich erodieren. Der Wertverlust liegt geschätzt bei einem Drittel des gesamten landwirtschaftlichen Bruttoinlandprodukts.

Was tun? Strubenhoff schlägt eine „smart intensification“ vor: Landwirtschaftliche Flächen werden zwar intensiver bewirtschaftet, durch Klimaschutz und Erosionsschutzmaßnahmen sollen negative Folgen jedoch im Zaum gehalten werden. Dass der Getreideexport für die Ukraine elementar ist, liegt auf der Hand. Und solange kein Krieg den Handel unterbindet, bleibt das Land eine Kornkammer.