Medizin

Hirnschrittmacher: Stromstöße gegen die Sucht

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Ärzte haben einem Heroinsüchtigen Drähte ins Gehirn gepflanzt, um ihn zu kurieren. Dem Patienten geht es gut. Ein Vorbild für andere Drogenabhängige?

„Dieses Gefühl der Freiheit ist einfach nur schön.“ Joseph Dorn (Name geändert) klingt glücklich und stolz zugleich. Wenn der 53-Jährige nach mehr als dreißig Jahren regelmäßigem Drogenkonsum heute durch Köln spaziert und die Abhängigen sieht, die weiterhin Heroin spritzen, rauchen, kaufen oder verkaufen, dann drängt ihn nichts mehr in dieses Milieu. Das Heroin, seine „Königin aller Drogen“, hat die Macht über ihn verloren.

„Der Druck ist komplett weg“, versichert der Kölner. Vorbei die nächtlichen Panikattacken, wenn kein Stoff mehr greifbar war. Endlich vorbei auch das Schlangestehen vor der Suchtarztpraxis, wo Abhängige ihre tägliche Methadon-Ration erhalten. Seit Juni 2013 hat er keine Opiate, Morphine oder sonstige Drogen mehr konsumiert.

Vom Haschisch zum Heroin

Die Drogenkarriere von Joseph Dorn begann 1978 in einem Jugendzentrum. Zunächst rauchte man dort Haschisch. „Es war nicht so gut, dass wir selbstverwaltet waren“, sagt er heute. „Drogen wurden Teil unserer Lebensphilosophie, wir wollten anders sein als die Spießbürger.“ Gerade volljährig, spritzte er sich erstmals Heroin. Nach zwei Jahren mit eher unregelmäßigen „Kicks“ spürte Dorn an Wochenenden immer häufiger brennendes Verlangen. Die Knochen schmerzten, die Nase lief, die Augen tränten. Erst dachte er an eine Erkältung. Aber dann habe ihn eine Freundin brutal aufgeklärt: „Du hast keine Grippe, du hast Entzug. Nimm was, dann geht’s dir gleich besser.“

Gesagt, getan. „Von da an brauchte ich täglich meine Dosis.“ Weil das viel Geld verschlang, führte Dorn über Jahre ein Doppelleben, machte für Geld jeden Drecksjob, legte Schweißnähte in Kernkraftwerken, räumte Verbrennungsöfen mit Giftschlacken leer. Seine Ehe scheiterte, allein seine Eltern standen weiter in Kontakt zu ihm. Sein Glück war, dass er stets weiter arbeitete, von den Drogen weg wollte, auch vom Methadon, seit Jahren schon. Mehrfach schaffte Dorn den körperlichen Entzug, um dann irgendwann doch wieder dem Suchtverlangen zu erliegen. „Das sitzt tief in der Psyche“, sagt Dorn über das unbeschreibliche Heroin-Gefühl. Man fühle sich einfach besser, wacher und blende die Folgen komplett aus.

Signale an das Belohnungssystem

Dass er nach vielen vergeblichen Anläufen nun doch erfolgreich abstinent lebt, führt Dorn einzig und allein auf ein kleines, unscheinbares Gerät in seiner Brust zurück. Von dort sendet ein handygroßer Hirnschrittmacher elektrische Signale direkt in das Belohnungssystem seines Gehirns. Ärzte haben es ihm eingepflanzt, indem sie erst die Schädeldecke öffneten, um dann winzige Elektroden samt Kabel zu verlegen, die nun die Nervenknoten im linken und im rechten Nucleus accumbens mit sanften Stromstößen stimulieren. In dieser Hirnregion vermuten Forscher eine zentrale Relaisstation der Drogensucht. An diesem Ort brennt sich offenbar das Gefühl der Abhängigkeit wie ein Engramm ein und kann durch Schlüsselreize jederzeit reaktiviert werden – eine fatale Konditionierung, die Süchtige immer wieder auf die Straße treibt.

Die Idee, eine Drogenabstinenz per Hirnschrittmacher zu unterstützen, kam dem Psychiater und Neurologen Jens Kuhn von der Uniklinik Köln eher nebenbei. Einer seiner Patienten, der wegen einer unheilbaren Angststörung in Behandlung war, berichtete Erstaunliches. Ihm war, wie anderen Schwerstkranken mit unerträglichen Zwangshandlungen, ebenfalls ein Hirnschrittmacher implantiert worden. Manchmal verschafft dieser radikale Eingriff Erleichterung, in seinem Fall aber hatte er versagt. Nur beiläufig erwähnte der Patient, dass ihm auch das Trinken von Alkohol kein Vergnügen mehr verschaffe. Seine Familie bestätigte das: Der Mann verzichtete seit der Hirn-stimulation auf seinen üblichen halben Kasten Bier am Abend. Irgendwie hatte er die Lust am Rausch verloren.