Ausland

Traum oder Trauma?

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Deutschland spielt eine weithin anerkannte Vorreiterrolle bei der Fortentwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit. Doch das Prinzip, überall auf der Welt Völkermord zu verfolgen, stößt an Grenzen.

Ein weiterer Meilenstein: Zum ersten Mal hat ein deutsches Gericht einen Täter wegen Beihilfe zum Völkermord in Ruanda verurteilt. Damit ist Deutschland sichtbar seiner selbstgewählten Verpflichtung nachgekommen, Völkermord überall auf der Welt zu verfolgen. Zwar gibt es immer noch die vom UN-Sicherheitsrat eingesetzten Tribunale für Ruanda und für das ehemalige Jugoslawien. Doch spätestens seit der Schaffung des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, dessen Statut sich schon 122 Staaten unterworfen haben, ist klar: Die Staaten sind in der Pflicht. Erst wenn sie nicht willens oder nicht in der Lage sind, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Kriegsverbrechen zu verfolgen, greift die internationale Gerichtsbarkeit. Die Staaten haben sich auch dazu verpflichtet, ihre Rechtssysteme auf eine weltweite Verfolgung von Völkermördern auszurichten.

So steht nun auch in Paris ein mutmaßlicher ruandischer Täter vor Gericht – in dem Land also, das zwischen 1990 und 1994 die Führungsriege der Hutu-Armee Ruandas ausbildete und das Ruanda einst aufrüstete. Nach dem Absturz des Flugzeugs des ruandischen Präsidenten Habyarimana begann 1994 ein systematisches Massaker an der Minderheit der Tutsi. Der in Paris wegen der Beihilfe zum Völkermord und zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagte ehemalige Soldat und Geheimdienstmitarbeiter sei der „ideale Sündenbock, an dem Frankreich seine eigenen Schuldgefühle abarbeitet“, sagt sein Verteidiger.

Ist das also die Zukunft: Jeder Staat verfolgt Völkermörder aus aller Herren Ländern? Nicht unbedingt. Spanien etwa hat gerade seine weitgefasste Strafbarkeit eingeschränkt, nachdem zum einen der berühmt-berüchtigte Ermittlungsrichter und Pinochet-Jäger Garzón etwas zu weit gegangen war und mittlerweile mit einem Berufsverbot belegt ist. Zum anderen sollten auch Verbrechen in Gaza verfolgt und zuletzt der ehemalige chinesische Staatspräsident angeklagt werden. Jetzt soll Voraussetzung für eine Anklage in Spanien sein, dass ein „relevanter Bezug“ zum Land besteht.

Das hat natürlich außenpolitische Gründe – China ist ein wichtiger Gläubiger Spaniens. Allerdings ist es gerade das Ziel des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, solche Rücksichtnahmen möglichst auszuschließen. Die Täter sollen unabhängig von ihrer Funktion vor Gericht gestellt werden – um gerade diejenigen zu erwischen, die bisher unter dem Schutz staatlicher Souveränität und Immunität morden konnten. Doch eine Rolle spielt sie natürlich immer noch, die Souveränität, wie auch die Interessenlage. So ist es dem seit langem mit Haftbefehl gesuchten sudanesischen Präsidenten Bashir weiterhin möglich, nicht nur seinen Amtsgeschäften nachzugehen, sondern auch zu reisen. Wichtige Länder wie die Vereinigten Staaten und China haben sich bisher nicht dem Internationalen Strafgerichtshof unterworfen. Zudem spielt auch nach dem Statut der UN-Sicherheitsrat weiterhin eine wichtige Rolle – er kann etwa wie im Fall Sudan geschehen Den Haag einen Fall zur Prüfung überweisen.

Und Deutschland? Das Land der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse spielt eine weithin anerkannte Vorreiterrolle bei der Fortentwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit. Aber gerade der Frankfurter Ruanda-Prozess hat auch deren Grenzen gezeigt: An 120 Verhandlungstagen vernahm der Senat 118 Zeugen und vier Sachverständige. Es wurden 85 Urkunden verlesen und eine Vielzahl von Lichtbildern sowie Videoaufzeichnungen in Augenschein genommen. Von den vernommenen Zeugen waren 40 aus Ruanda angereist. Doch entscheidender ist, dass das Gericht in eine fremde Kultur, in ein fremdes Geschehen eintauchen musste. Während ihres Aufenthalts in Deutschland wurden die Zeugen, die zum großen Teil Ruanda zuvor noch nie verlassen hatten und als Überlebende des Völkermords oft auch traumatisiert sind, von der Zeugenschutz-Abteilung des Bundeskriminalamts betreut. Das Bundeskriminalamt hat überdies vom Tatort, einem Kirchengelände, „vollsphärige Aufnahmen“ sowie einen 3D-Laserscan erstellt. Dadurch konnte sich das Gericht, wie es in der Urteilsbegründung feststellte, ein „genaues Bild vom Tatort“ machen. Aber es war eben nicht am Tatort.

Der Westen sitzt über Afrika zu Gericht

Das Verfahren, das bisher mehrere hunderttausend Euro gekostet hat, ist noch nicht zu Ende. Die Verteidigung hat nämlich schon Revision angekündigt. Sie erkennt an, dass sich das Gericht sehr bemüht habe, sieht aber auch dessen Grenzen: So habe der Senat anerkannt, sagte Rechtsanwältin Natalie von Wistinghausen dieser Zeitung, dass es in Ruanda einen „Konformitätsdruck“ gebe, zugleich aber festgestellt, die Zeugen in diesem Verfahren hätten nicht unter diesem Druck gestanden. Die Verteidigerin hält den Internationalen Strafgerichtshof für den besseren Ort, um solche Vorwürfe strafrechtlich zu klären, befürwortet aber auch den politischen Willen, Völkermörder notfalls auch hierzulande zu verfolgen.

Sowohl Generalbundesanwalt Harald Range wie auch Amnesty International betonen denn auch anlässlich des Frankfurter Urteils, dass niemand sicher sein darf, angesichts solcher Verbrechen straffrei auszugehen. Range äußerte, das Verfahren zeige, dass die Bundesanwaltschaft auch unter schwierigsten Umständen Beweise sichern und überzeugend in einem Strafprozess präsentieren könne. Das Urteil gebe Rückhalt für weitere Verfahren – doch weiß man auch in der Bundesanwaltschaft, dass die deutsche Justiz hier an ihre Grenzen stößt.

Andererseits darf die Bedeutung auch einzelner, zweifelhafter Verfahren für die Fortentwicklung des Rechts und die öffentliche Wahrnehmung nicht unterschätzt werden. Erst vor gut einer Dekade hat der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit aufgenommen. Das Weltrechtsprinzip setzt eben tatsächlich ein Weltrecht voraus. Bisher freilich sitzt in Den Haag wie in Frankfurt der Westen über Afrika zu Gericht.