Essen & Trinken

Kulturgut oder Kohle

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Ein Milliardär aus China bietet Bremen 150.000 Euro für einen Rüdesheimer von 1653. Zu der Handvoll Leute, die ihn gekostet haben, gehören die Queen – und unser Weintester. Hier erinnert er sich.

Die Stadt Bremen steckt in der Zwickmühle. „Entschieden ist noch gar nichts“, sagt ein Senatssprecher. Doch Bremen hat ein Angebot bekommen, das die Hansestadt eigentlich nicht ablehnen kann.

Passiert ist dies: Im vergangenen Herbst besuchte der chinesische Milliardär Huang Nubo die Stadt. Huang handelt mit Immobilien, besteigt in seiner Freizeit Achttausender und verfasst erotische Gedichte, so heißt es. Außerdem hat er sich in den Kopf gesetzt, in den nächsten zehn Jahren alle Stätten des Unesco-Weltkulturerbes abzuklappern, 981 Stück gibt es weltweit. Huangs Reise startete in Deutschland und führte ihn auch in die Katakomben des Bremer Ratskellers. Denn dort schlummert ein 1000-Liter-Fass mit Weltkulturerbe-Stempel. Der Inhalt: ein Rüdesheimer aus dem Jahr 1653. Das 0,1-Liter-Glas kostet 20 000 Euro, Huang orderte ungerührt eine Flasche für 150 000 Euro. Peanuts für den 57 Jahre alten Chinesen mit dem geschätzten Privatvermögen von 2,3 Milliarden Euro, eine echte Herausforderung für die Stadt Bremen.

Krisenrunden tagten, Ratskellermeister Karl-Josef Krötz erklärte Bürgermeister Jens Böhrnsen für zuständig- der wiederum sagte, sein Weinverwalter Krötz sei der wahre Fachmann. Krötz ist telefonisch nicht mehr zu sprechen. Kein Wunder bei diesem Stress. Für manche in Bremen ist dieses Fass Wein ein Kulturdenkmal, herausragender Beleg für die lange Geschichte des Weinhandels der Stadt und als solches ein hanseatisches Heiligtum, das nicht einfach verkauft werden darf. Andere Bremer sehen darin hingegen ein willkommenes Mittel, zumindest einen kleinen Teil des 20 Milliarden großen Schuldenbergs der Stadt abzutragen. In einer Online-Abstimmung des „Weser-Kuriers“ votierten fast 70 Prozent für den Verkauf. 150 000 Euro sind eben eine Verlockung. Die Sprachregelung lautet jetzt: Man werde weiter mit Huang verhandeln, um mit der Anfrage „würdevoll“ umzugehen.

Ein Wein, der so viel kostet wie ein Fertighaus

Der 1653er Rüdesheimer ist möglicherweise nicht nur der älteste Fasswein Deutschlands, sondern der Welt. Und würden sich die Bremer für den Verkauf entscheiden – es wäre ein Rekord. Eine der teuersten Flasche Wein der Erde käme aus Bremen.

150.000 Euro. Ein Wein, der so viel kostet wie ein Fertighaus – wie muss der schmecken? Königin Elisabeth II. bekam den Wein 1978 während ihres Bremen-Besuchs, äußert sich aber grundsätzlich nicht zu politischen und önologischen Fragen. 1996 fand dann eine historische Weinprobe im Ratskeller statt- ich war dabei, als Teil einer deutsch-britischen Gruppe von Weinjournalisten. Zuerst gab es deutsche Rieslinge zurück bis zum Jahrgang 1893. Anschließend führte Ratskellermeister Karl-Josef Krötz alle Teilnehmer in den Rosenkeller – und wir durften den 1653er Rüdesheimer aus dem Fass verkosten!

Der Wein schmeckte wie ein ganz alter, unglaublich feiner Sherry, und er sorgte für einen ganzen Film im Kopf. Da denkt man an die Zeit kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg und all die anderen Krisen und Kriege, die dieser Wein überstanden hat. Obwohl: Recht säurebetont und staubtrocken war der Wein schon. Ob er dem chinesischen Milliardär schmecken wird – da bin ich skeptisch. Vielleicht will er die Flasche ja nur in einem Prunkkeller ausstellen.

Vielleicht noch eindrücklicher als der Geschmack im Mund ist übrigens der unbeschreibliche Duft, von dem der Rosenkeller erfüllt ist: sehr intensiv, balsamisch, berauschend. Das Wunderbare daran: Er geht nicht zur Neige, ist einmalig auf dem Planeten Wein, und er kostet nichts. Für dieses Erlebnis muss man kein Milliardär sein.