Gesellschaft

Küchenmesser? Kneipchen!

• Bookmarks: 1


Wenn Christoph Seipp friert, wickelt er sich in einen Kolter. Statt zum Küchenmesser greift er zum Kneipchen. Dass diese urhessischen Ausdrücke immer mehr verschwinden, will er nicht akzeptieren. Und ist online mit einer Idee erfolgreich.

Christoph Seipp möchte ein Wort vor dem Aussterben bewahren. Der Gießener will nicht, dass irgendwann alle nur noch Decke sagen. Kolter heißt das schließlich – als traditionsbewusster Hesse nennt Seipp seine Steppdecke so und nicht anders. In vielen Regionen Deutschlands dagegen ist der Begriff völlig unbekannt. Um das zu ändern, kam er auf die Idee, Koltern übers Internet zu verkaufen.

Regionalsprachliche Worte am Leben zu erhalten, das ist dem Gießener wichtig. „Das ist Kultur“, sagt er. Dabei findet das Wort Kolter durchaus Anerkennung – immerhin kennt es der Duden. Kolter, der oder die, bezeichnet demnach eine (gesteppte) Decke oder Bettdecke. Im Plural heißt es dann die Koltern.

Mit Freunden vorzugsweise Mundart

Seipps Liebe zu hessischen Ausdrücken wie Koltern oder auch
Kneipchen ist zwar nostalgisch motiviert, wie er erzählt. „Oma hat mich immer in einen Kolter gewickelt.“ Doch lebt er diese auch im Alltag aus. Vor allem dann, wenn er unter seinesgleichen ist. „Mit Freunden und Verwandten falle ich schnell ins Hessische“, verrät er. Für Nichthessen: Ein Kneipchen ist ein kleines Küchenmesser.

In seinem Einsatz für die Mundart ist Seipp in guter Gesellschaft. Der Frankfurter Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann rügte etwa vor einem Jahr die Stadt dafür, die Mundart zu wenig zu pflegen. Anlass war ein Konflikt um eine Bühne für den Volksschauspieler Michael Quast, der schon seit Jahren unter anderem Stücke von Molière in südhessischer Mundart gibt.

Dass Regionalsprache und Dialekte häufig nur noch im engsten
sozialen Umfeld gesprochen werden, ist laut dem Linguisten Alexander Werth vom Marburger Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas in ganz Deutschland zu beobachten. Das habe verschiedene Gründe. Zusammengefasst: Die Kommunikationsverhältnisse haben sich schlicht geändert.

„Einen Dialekt verinnerlicht man, bis man 18 Jahre alt ist, danach kann man ihn nicht mehr richtig lernen“, erklärt er. Viele Eltern sprächen aber nicht mehr Dialekt. Und da die Kinder häufig nicht mehr in unmittelbarer Nähe zu ihren Großeltern aufwüchsen, werde von diesen Sprache nicht mehr so oft weitergegeben. Auf der anderen Seite werde jeder permanent durch die Medien oder im Beruf mit Hochdeutsch konfrontiert. Und bei Sprachen gelte: „Was nicht gebraucht wird, wird auch nicht gelernt.“

„Ein erhaltenswertes Kulturgut“, nennt auch Werth die deutsche
Sprachvielfalt. „Die Vorstellung, dass Dialekte aussterben, gibt es ja schon seit Jahrhunderten“, sagt er zudem. Es gebe mittlerweile zwar weniger Sprecher, aber ausgestorben seien sie bislang nicht.

Koltern im Online-Shop

Der Marburger Forscher sieht allerdings auch gegenläufige Tendenzen. So habe man in der Wirtschaft die Regionalität als Alleinstellungsmerkmal entdeckt. Dialekt werde gern zur Identitätsstiftung benutzt, etwa um eine neue Marke zu positionieren oder zu stärken. Als Beispiel nennt Werth die bekannte Radiowerbung eines Müsli-Herstellers aus Baden-Württemberg. Dabei preist der Firmenchef in schwäbischer Mundart sein Produkt an. Auch ein hessischer Getränkehersteller wirbt mit heimischen Idiomen.

Christoph Seipps Projekt nutzt die gleichen Effekte: 700 Koltern natürlich hat er nach eigenen Angaben bislang produzieren lassen und über einen Online-Shop fast alle verkauft. Im Internet hat er seine Idee zunächst auf einer eigenen Seite vorgestellt und mit Hilfe des sogenannten Crowdfunding Geld gesammelt. Sein Projekt ist als Mitmach-Marke gedacht, die Unterstützer dürfen auch beim Design der Ware mitentscheiden. Im Vordergrund stehe der regionale Bezug, hebt Seipp hervor. So gibt es Koltern, die mit Gießener Sehenswürdigkeiten bedruckt sind oder gleich mit der Kontur des Landes Hessen.