Lebensstil

Die Couture ist die Kür

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Anders als das Prêt-à-porter hat die hohe Schneiderkunst für den Alltag keine Bedeutung. Die Pariser Modemarken haben sie dennoch auch in dieser Woche stolz hergezeigt. Umso wichtiger, dass die Designer die Haute Couture jung aussehen lassen.

Ein grimmig blickender Tiger auf Samt, der auf ein weites Tüllkleid genäht ist: Da hat man gleich den Eindruck, dass die Ankunft der Marke Schiaparelli in der Couture (siehe auch rechts) belebenden Einfluss auf andere Designer hat. Maria Grazia Chiuri und Pierpaolo Piccioli haben es dank phänomenalen Erfolgs bei Valentino eigentlich nicht nötig, mit schreienden Bildern auf sich und ihre Mode aufmerksam zu machen – aber die gefletschten Zähne zeigen den Reiz surrealer Übertreibungen. Weitaus lieblicher gelöst ist die tierische Anstrengung in dem oben zu sehenden Kleid mit Pfauen-Anspielung. Das Thema der beiden italienischen Designer, die zusammenarbeiten, aber nicht zusammen sind, ist die Oper. Von „Carmen“ bis „La Bohème“ geben schmissige Klassiker den Ton vor – für alle, die es nicht verstanden haben, auch in Form von Noten auf den Kleidern. Die schon durch ihre schiere Länge traditionellen Formen werden aufgebrochen, mit Fransen oder auch einem Kleid mit sage und schreibe 4000 Schmucksteinchen, die per Hand angenäht wurden. So etwas hätten sich nicht einmal Georges Bizet oder Giacomo Puccini träumen lassen.

Dior: Zwischenraum hindurchzuschau’n

Ist das nur wieder dieser Trend zu Laser-Cutouts, der langsam auch unser Nervenkostüm durchlöchert? Oder ist es besonders aufwendige Feinstarbeit? Wahrscheinlich beides. Raf Simons, der als Produktdesigner begann, dann Herrenmode machte, sich bei Jil Sander langsam den Damen näherte und nun seine vierte Haute-Couture-Kollektion für das Haus Dior zeigt, will Trends setzen – und nicht nur zurechtgezupften Milliardärsgattinnen aus Dallas ihren Lebensabend verschönern. Daher führt er den Trend einfach weiter. Da gibt es runde Löcher mit Zwischenraum hindurchzuschau’n- muschelförmige Einschnitte mit den halb ausgeschnittenen Stoffteilen, die wippen, als ob sie uns Männern die Zunge zeigen wollten. Das alles ist so intrikat gestickt und bestickt, dass auch Christian Dior seine Freude gehabt hätte. Sogar die gute alte Jacke „Bar“ sieht ganz neu aus. Dazu Schuhe mit flacher Sohle (siehe Chanel), und schon wirkt es frisch. „Es soll ein Dialog der Frau im Atelier mit der Kundin sein“, sagt Raf Simons backstage. Wenn die Kundin es so lange trägt, wie die Näherin daran gearbeitet hat – dann hat es sich schon gelohnt.

Bouchra Jarrar: Blaue Wunder wirken besser

Neue Talente haben es nicht leicht in der Mode: Man muss so viel vorab investieren, dass man leicht pleite ist, bevor man richtig begonnen hat. Umso bemerkenswerter der Erfolg einer Designerin, die – nach drei Jahren als „Membre invité“ – nun von der Modekammer als „Membre permanent“ zugelassen wurde, ihre Kleidung also nun mit dem geschützten Titel „Haute Couture“ schmücken darf. Noch toller, dass es einer Frau gelungen ist, die 1970 als sechstes von sieben Kindern marokkanischer Einwanderer in Cannes geboren wurde. Und noch eine „gute Neuigkeit“ (das bedeutet das arabische Wort „bouchra“): Die Kollektion für Frühjahr und Sommer ist rundum gelungen. Das blaue Abendkleid aus Seide links gibt von den Schnittkünsten der Designerin, die schon bei Balenciaga, Scherrer und Lacroix arbeitete, nur eine Ahnung. Jacken mit diagonalen Zippern passen gut, wenn das Kleid nicht zu aufgedonnert aussehen soll. Kristallstickereien werten die Oberteile zu Schmuckstücken auf. Und die asymmetrisch geschnittenen „Perfecto“-Lederjacken mit einer wie durch höheren Zufall drapierten Stola aus Biberpelz zu silbern laminierten Siebenachtel-Hosen und High Heels sind ein Fest für die Augen. Die Fédération Française de la Couture du Prêt-à-Porter des Couturiers et Créateurs de Mode – so heißt die wirklich – mag ein verzopfter Verein sein. Aber diese Marke steht der Modekammer gut.