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„Diese Viren sind gefährlich für die Menschheit“

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Unter europäischen Forschern gibt es schwere Zerwürfnisse über die Zulässigkeit von Versuchen mit hochgezüchteten Vogelgrippeviren. 56 ranghohe Wissenschaftler warnen vor umstrittenen Experimenten.

Sollten wir uns vor der künstlichen Schaffung neuer hochansteckender Influenzaviren fürchten? Viren, an denen zwei Drittel der Infizierten oder noch mehr sterben würden? Auch, wenn diese Experimente im Hochsicherheitslabor stattfinden? Oder bereitet die Forschung damit den Boden für neuen Bioterrorismus? Als vor zwei Jahren zum ersten Mal darüber diskutiert wurde, weil in akademischen Labors in den Niederlanden und in den Vereinigten Staaten genau solche Versuche angelaufen waren, und anschließend auch noch ein Experimenten-Moratorium beschlossen wurde, da war für jeden eigentlich klar: Ohne eine solide und unabhängige Untersuchung der Risiken, die mit solchen Versuchen verbunden sein könnten, können die Virenforscher ihre hochbrisanten Pläne kaum fortsetzen. Doch weder gibt es inzwischen diese Risikoabschätzung noch ein klares Meinungsbild, sondern erst einmal nur einen Krieg der Wissenschaftler um die Deutungshoheit. Seit Mitte dieser Woche gibt es eine an die Europäische Kommission gerichtete Unterschriftenliste von 56 hoch angesehenen Wissenschaftlern, die gegen eine (zum Teil gegen ihre eigene) nicht minder angesehene Fachgesellschaft – die Europäische Gesellschaft für Virologie – und deren positive Haltung zu den umstrittenen Virenexperimenten zu Felde ziehen.

Auslöser der Unterschriftenaktion war ein Brief der europäischen Virologen-Gesellschaft vom 16. Oktober an den EU-Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso und einige betroffene Kommissariate. Darin beklagt der Präsident der Gesellschaft, der Italiener Giorgio Palù aus Padua den restriktiven Umgang mit der hochbrisanten Virenforschung und ihren Ergebnissen. Der „Dual-Use“-Charakter dieser Experimente und ein möglicher Missbrauch potentiell nützlicher Forschung komme auch in anderen Gebieten vor, dennoch sei man sich mit dem amerikanischen Nationalen Biosicherheitsrat NSABB einig, dass „das kein Grund sein könnte, diese Forschung zu verbreiten oder die Publikation der Ergebnisse zu blockieren“.

Der Virologe attackierte damit eine Entscheidung der niederländischen Behörden und eines Regionalgerichts, das im September dieses Jahres gegen die Virenforscher entschieden hatte: Die Forscher um Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam könnten keineswegs selbst entscheiden, ob ihre Manipulationsexperimente mit den Vogelgrippeviren H5N1 als Grundlagenforschung angesehen und damit von einer Ausnahmeregelung der Biowaffenrichtlinie EC 428/2009 profitieren könnten. Die niederländischen Behörden hatten im Frühjahr 2012 vor der lange Zeit umstrittenen Veröffentlichung der Rotterdamer Virenstudien in „Science“ eine Exportgenehmigung verlangt, wie sie für die Ausfuhr von waffentauglichen Exportgütern benötigt wird. Das hatte zur Folge, dass Fouchiers japanischer Kollege an der University of Wisconsin und der Tokio-Universität, Yoshihiro Kawaoka, seine H5N1-Manipulationsstudie fast zwei Monate früher, am 2. Mai in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlichen konnte.

Die Europäische Virologen-Gesellschaft sieht die „Forschungsfreiheit und das Recht auf freie Publikation“ in Gefahr und fordert daher die Gründung einer dem amerikanischen Biosicherheitsrat ähnlichen Institution. Leicht gesagt, denn eben dieser Biosicherheitsrat ist in den Vereinigten Staaten der Garant dafür, dass „Dual-Use“-Experimente in den Vereinigten Staaten sogar finanziell großzügig gefördert werden können.

Bevor es allerdings dazu auch in Europa kommt und möglicherweise ein Technokraten-Gremium über die Zulässigkeit von potentiell gefährlichen Laborexperimenten entscheidet, wird noch viel zu diskutieren sein. Die Unterschriftenliste der 56 Wissenschaftler gegen den Brief der Virologen-Gesellschaft jedenfalls liest sich wie eine knallharte Maßregelung. In dem Brief seien „schlicht falsche“ und “irreführende“ Behauptungen aufgestellt. Urheber der Unterschriftenliste ist die in Amerika beheimatete Stiftung für Impfstoffforschung, Foundation for Vaccine Research, die sich vor allem in der Malaria- Aids- und Tuberkuloseforschung engagiert. Zu den Unterzeichnern zählen Forscher aus aller Welt, darunter auch der deutsche Nobelpreisträger und Krebsvirenentdecker Harald zur Hausen vom Deutschen Krebsforschungszentrum, Kai Simons vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden und die Biosicherheitsexpertin Kathryn Nixdorff von der Technischen Universität Darmstadt.

Ihre Kritik richtet sich nicht gegen die Beschwerde der Virologen-Fachgesellschaft an den strikten EU-Exportregelauslegung, sondern offensichtlich vor allem gegen die Laissez-faire-Philosophie der Virologen. Sie entlarvt die interessengeleitete Politik der Fachgesellschaft. „Gain-of Function“-Experimente, wie sie Fouchier und Kawaoka vorgenommen hätten, seien anders als die Virologen behaupten, keineswegs ein bloßes Nachahmen der Natur im Labor. Die Forscher veränderten das Erbgut der Viren künstlich so, dass die Erreger neue Eigenschaften annehmen. In dem Fall Fouchiers und Kawaokas ging es darum, dass man die Vogelgrippeviren H5N1, die in sechzig Prozent der Infektionen beim Menschen tödlich verlaufen, ansteckender macht. Bisher nämlich sind in der Natur keine Virenvarianten aufgetreten, die sich so leicht von Mensch zu Mensch übertragen wie das etwa bei Vögeln möglich ist. Es gibt eine biologische Schranke. Und diese Grenze haben die beiden Forschergruppen um Fouchier und Kawaoka an Experimenten mit Frettchen im Hochsicherheitslabor überwunden, indem sie ganz gezielt und systematisch versucht haben, Mutationen ins Virengenom einzuführen, die das Ansteckungsrisiko erhöhen.

Diese „Gain-of-Function“-Experimente hatte der italienische Virologe Palu in seinem Brief an die EU-Kommission als „ein versuch bezeichnet, das was die Natur ohnehin schon selektiert, zu reproduzieren“ und damit Prognosen über das Infektionsrisiko mit den Vogelgrippeviren zu ermöglichen und die Impfstoff- beziehungsweise Medikamentenherstellung zu beschleunigen. Nichts davon stimmt, ist das Fazit der 56 Unterzeichner in dem Gegenmanifest. „Die Natur hat bisher keineswegs solche Viren selektiert„, und die von Fouchier verwendete Labortechnik der “gerichteten Evolution“, die eine beschleunigte Erzeugung neuer Virenvarianten ermöglicht, „existiert erst recht nicht in der Natur“. Wie sich die Viren in der Natur weiter entwickelten, sei durch Laborexperimente nicht vorauszusehen, die eintretenden Mutationen könnten zudem auch so völlig anders aussehen, dass es auch fraglich sein, ob man Informationen für die Medikamentenherstellung gewinnen könnte. Wenn man etwas aus 25 Jahren HIV-Forschung gelernt habe, dann vor allem das, dass die einzige Chance, etwas über die Wirksamkeit von Medikamenten an einem Pandemie-Virus zu erfahren, klinische Untersuchungen sind. Das allerdings ist erst nach Ausbruch einer Epidemie möglich. „Wenn H5N1 jemals pandemisch wird, ist das einzige, was wir hoffen können, dass die Viren auf einige der existierenden antiviralen Medikamente ansprechen. Es wird mehrere Jahre dauern, bis ein neues Medikament auf dem Markt ist.“

Genauso rabiat qualifizieren die Unterzeichner die Behauptung ab, die Impfstoffentwicklung könnte von den „Diese Gain-of-Function-Experimente haben bisher nichts zur Entwicklung von neuen Impfstoffen und prophylaktischen Maßnahmen beigetragen.“ Und nicht nur das, die Wissenschaftler unterstellen den Kollegen, vorsätzlich die möglichen Gefahren auszuklammern oder zu unterdrücken. „Die Experimente von Fouchier et al sind deshalb bemerkenswert, weil dahinter gerade die Absicht steht, für die Menschheit gefährliche Erreger zu erzeugen.“ Wer vorgibt, die Maßnahmen von Hochsicherheitslaboren als absolut sicher einzustufen, belügt sich und andere. „Es gibt so etwas wie ein Null-Risiko nicht“, heißt es in dem Manifest zur Unterschriftenliste. Vielmehr sei in letzter Zeit eine „alarmierende Zunahme“ von Laborunfällen und unbeabsichtigten Zwischenfällen bekannt geworden, die eine Freisetzung von hochpathogenen Erregern denkbar erscheinen lassen. In Europa werden diese Zwischenfälle offenbar nicht gesondert registriert. Aus den Vereinigten Staaten jedoch sind den Autoren zufolge den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zwischen 2003 und 2009 396 „potentielle Freisetzungen aus Hochsicherheitslaboren“ bekannt geworden. In Asien waren Infektionen mit Sars-Viren auf die Verschleppung von Laborerregern zurück zu verfolgen. „Unfälle passieren – selbst in Hochsicherheitslabors“, heißt es in dem Brief.

Die Unterzeichner fordern deshalb so schnell wie möglich eine Initiative von der Politik, insbesondere von der Europäischen Kommission: ein Fachsymposion mit Experten und Politikern, das offen tagt und im Internet übertragen wird, sowie endlich auch die lange schon geforderte unabhängige Risikoabschätzung der Genexperimente mit Viren. „Wir haben es hier mit menschengemachten Viren zu tun, und deshalb stellen sich Fragen wie etwa die Haftung für solche Experimente, jenseits natürlich vorkommender Epidemien ganz neu.“ Reaktionen aus Brüssel gibt es bisher nicht.

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