Auto & Verkehr

Vorsprung durch Rückkehr

• Bookmarks: 5


Audi ist ein wenig durcheinandergeraten. Jetzt ist Ulrich Hackenberg zurück und sortiert die Zukunft: Quattro, E-Auto, SUV, Minivan, A8, pilotiertes Fahren, TT Shooting Brake, neues Design.

An Einfahrt zu Tor 9 hängt ein Plakat, das einen Container darstellt. Darauf prangt das Wort „Wiedereröffnung“. Es ist kaum anzunehmen, dass damit die hinter dem Zaun angesiedelte Technische Entwicklung von Audi gemeint ist. Doch ein besseres Symbol könnte es kaum geben. Nach der Verabschiedung des langjährigen Entwicklungschefs Michael Dick durfte sich Wolfgang Dürheimer nur zehn Monate in der Position versuchen, dann wurde er intern versetzt. Von Revolten in der Mannschaft hörte man aus den Tiefen der Technik. Aus Wolfsburg wurde VW-Chefentwickler Ulrich Hackenberg, der wohl engste Wegbegleiter von Konzernchef Martin Winterkorn, nach Ingolstadt entsandt. Zum Löschen, wie mancher sagt, und zum Entfachen neuer Feuer, aber der richtigen. Das ist von außen nicht so leicht nachvollziehbar, denn Audi besticht mit Design, baut erstklassige Autos, steht in den Absatzstatistiken oben und wird in einem Atemzug mit BMW und Mercedes-Benz genant. Doch die Herren hinter dem Konzern, vor allem der alle Fäden ziehende Ferdinand Piëch mit seinen messerscharfen Analysen und seiner Fähigkeit, weit vorauszudenken, haben ein feines Gespür für Entwicklungen. Besser gesagt, für Momente, in denen Entwicklungen verschlafen werden. Das hat vor Jahren schon den damaligen Audi-Chef Franz-Josef Paefgen die Stelle gekostet, trotz guter Geschäftszahlen.

Diesmal gibt es keine belastbaren öffentlichen Äußerungen der Kritik, aber es brodeln hartnäckig Gerüchte, Audi büße den Inhalt seines Slogans ein. Vorsprung durch Technik, das war Quattro, und was ist es heute? Morgen? Hackenberg soll es richten, Audi wieder „auf Speed“ bringen und gleichzeitig mit seinem Wolfsburger Auge weiter über die Entwicklung des Konzerns wachen. Das dürfte sich als ziemlich sportliche Aufgabe entpuppen, selbst für einen Mann mit eiserner Disziplin, der selten entspannende Zeit am Klavier findet, das er virtuos beherrscht. Knapp sechs Monate ist Hackenberg, dem Audi aus früheren Jahren beruflichen Aufstiegs wohlvertraut ist und dessen Familie stets in Ingolstadt geblieben ist, in seinem neuen Amt und kann in unserem Gespräch von ersten Eindrücken berichten, was die rund 10 000 für Audi tätigen Entwickler leisten und was auf sie zukommt. „Ich bin nicht als Feuerwehrmann gekommen, weil Audi plötzlich verlernt hätte, wegweisende Technologien zu erarbeiten. Ich sehe ja, wie gut die Schubladen gefüllt sind. In letzter Zeit ist durch einige Personalwechsel ein gewisser Entscheidungsstau entstanden“, sagt er. Den gelte es aufzulösen, mittels einer engen Bindung an die Mannschaft und größerem Tempo in der Entwicklung. Beides ist selbstredend auf bestem Weg.

Im Zentrum der VW-Autowelt stehen bekanntlich Baukästen, bei Audi ist die zweite Phase des Modularen Längsbaukastens an der Reihe. Hackenberg gilt als Vater dieser Strategie, weshalb er hier nun selbst aus erster Hand selbige anlegen kann. Die Kästen sind unter anderem der Grund, warum manche Entscheidung anders fällt als bei der Konkurrenz. BMW macht die Welt mit seinem Elektroauto i3 verrückt, plötzlich sieht es nach einem Durchbruch oder wenigstens nach einem Durchbrüchlein aus, und ausgerechnet Audi hat seine Entwicklung eingestellt. „In der Elektromobilität hat der VW-Konzern andere Voraussetzungen als unsere Wettbewerber. Uns geht es darum, dass die Technik mit dem Baukasten kompatibel und multiplizierbar ist. Wir wollen alles – TFSI-, TDI-, Erdgas- oder Plug-in-Hybrid-Antrieb – in einer Fabrik montieren können, mit voller Flexibilität. Unsere Baukästen ermöglichen es uns beispielsweise, in kurzer Zeit bis zu 40 Modelle mit alternativen Antrieben anzubieten.“ Im unausgesprochenen Subtext: Und wir brauchen dazu keine eigene Fabrik mit enormen Kosten hochzuziehen. „In Bezug auf den Elektroantrieb bietet die Plugin-Technik dem Kunden die beste Lösung. Den A3 e-tron zum Beispiel kann man im Alltag als reines Elektroauto fahren und muss sich dank Hybrid auch bei Nonstopfahrten von 900 Kilometern keine Sorgen machen. Somit ist es die nachhaltigere Technik“, entgegnet Hackenberg. Aber er schließt anderes nicht mehr aus, sei es aus Gründen des technischen Erkenntnisgewinns, sei es wegen des Imagezuwachses eines, wie mancher spottet, Schaufensterprojekts. „Ob Audi darüber hinaus ein reines Elektrofahrzeug braucht, schaue ich mir gerade an.“

Damit allein ist der Vorsprung durch Technik freilich kaum mit neuem Leben zu erfüllen. Autos werden auf längere Sicht konventionell angetrieben werden, und da hat der Entwicklungschef einige Schwerpunkte ausgemacht. „Unsere TFSI- und TDI-Motoren sind in den vergangenen zehn Jahren mehr als 30 Prozent verbrauchseffizienter geworden. Damit geben wir uns aber nicht zufrieden, wir wenden alle technischen Raffinessen an, um noch besser zu werden. Selbstverständlich entwickeln wir den Quattro-Antrieb weiter. Wir kombinieren quattro und e-tron-Technologie und regeln den Allradantrieb noch besser und variabler.“ Der Allradantrieb wird mithin kein rein mechanischer mehr sein, sondern einer, in den die elektronische Steuerung stärker einzieht, wobei Audi darauf achten will, dass stets alle vier Räder angetrieben werden können – also auch dann, wenn beispielsweise die dafür zuständige Batterie leer sein sollte.

Das alles klingt nach Fortschritt im Detail. Gibt es keine Durchbruchtechnologie? „Es gibt viele dynamische Zukunftsfelder, etwa die Elektromobilität oder die Konnektivität mit einem Spektrum von Informationstechnologie bis zur nahtlosen Vernetzung von Auto und Umfeld, da kann man dem Fortschritt quasi zusehen. Darüber hinaus sehe ich Audi in der Lichttechnologie vorn. Und im pilotierten Fahren“, sagt Hackenberg. Dass gerade Mercedes-Benz mit einer spektakulären Fahrt durch schwäbische Innenstädte von sich reden gemacht hat, lässt er nicht gelten. „Wir haben schon vor zwei Jahren einen TT selbständig den Pikes Peak hochfahren lassen, und zwar im Grenzbereich. Wo andere solche Technologien noch mit Autos vorstellen, bei denen der Kofferraum voller Kabel und Rechner ist, sind wir bereits in der Miniaturisierung und der Serienentwicklung angekommen.“ Wie weit das führen soll, davon hat Hackenberg recht genaue Vorstellungen. Der Fahrer solle nicht aus der Verantwortung genommen werden. „Aber wir wollen ihm in komplexen Situationen, in denen er womöglich überfordert ist, helfen. Fahrsicherheit steht im Vordergrund. Ein Beispiel: Wenn jemand auf der linken Spur auf der Autobahn fährt und einen Herzinfarkt erleidet, dann soll das Auto selbständig durch den Verkehr zu einer sicheren Halteposition fahren können.“ Die Idee ist nicht frei von Hintergedanken: Wer mit seiner Regelungselektronik eine solch komplexe Aufgabe meistert, der wird auch einfachere Aufgaben lösen.

In welche Art von Autos derlei eingebaut werden soll, auch darum drehen sich die Gedanken. Die Konkurrenz baut Minivans. „Ob wir einen Minivan brauchen, da möchte ich mich noch nicht festlegen. Es geht darum, sechs oder sieben Sitze unterzubringen. Das lässt sich auch mit einem SUV machen. Wir beschäftigen uns mit beiden Raumkonzepten“, sagt Hackenberg. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Audi seine SUV-Linie vehement ausbauen wird. Gerade hat der Vorstand den Bau des kleinen Q1 (von 2016 an) beschlossen, es werden weitere folgen. Kleineren Autos wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt, weil „sie eine große Zukunft haben, auch im Premiumsektor. Das merkt man in Deutschland nicht so stark, aber in den wachsenden Megastädten dieser Welt sehr wohl.“ Und generell braucht Audi eine Idee, wie sein schickes, aber irgendwie festgefahrenes Design in die Zukunft fortgeschrieben werden kann. Hackenberg spricht von intensiver Betreuung, die er den Designern zukommen lasse, dass es die erfolgreiche Linie zu pflegen gelte, „sich unsere Designsprache aber stärker verändern wird, als das in der letzten Zeit der Fall war“. Ein Audi solle nicht nur sofort am Gesicht zu erkennen sein, sondern auch an den gesamten Proportionen. Er würde es nicht sagen, wir raten: Er denkt zum Beispiel an Mini. Und wie zum Beweis des Veränderungsdrangs platzt die Meldung hinein: Audi tauscht seinen Designchef, auf Wolfgang Egger folgt Marc Lichte, der den jüngsten VW Golf verantwortet hat.

Des neuen Entwicklungschefs sichtbarster Meilenstein in näherer Zukunft wird ein großer sein. Am nächsten A4 kann er nur noch feilen, das Auto erscheint 2015 und ist fast fertig. Der im kommenden Herbst debütierende TT erst recht, obgleich sich hier, wie die Zeichnungen auf dieser Seite weisen, Bemerkenswertes tut. Es wird an einen Shooting-Brake gedacht, das Modell steht im Januar auf der Messe in Detroit. Hackenbergs erstes „eigenes“ Auto wird das Flaggschiff des Hauses. „Der A8 ist für mich die größte Herausforderung, da gilt es nicht weniger, als das Top-Auto auf die Räder zu stellen.“ Der A8 wird in etwa drei Jahren fertig sein, und niemand wäre verwundert, bliebe es nicht länger bei nur einer Karosserievariante. Ein Coupé wäre reizvoll. Doch dazu sagt der Neue an alter Wirkungsstätte noch nichts. Er hat zweifellos viel vor, womöglich mehr, als sich andeuten lässt. Die Wiedereröffnung hinter Tor 9 hat ja gerade erst begonnen.