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Washingtons Drehscheibe in Deutschland

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In Frankfurt betreibt Amerika sein weltweit größtes Konsulat, in Wiesbaden bezieht es gerade das neue Europa-Hauptquartier der Army. Für alle Militär- und Geheimdienst-Operationen der Supermacht ist das Rhein-Main-Gebiet von zentraler Bedeutung.

Die Kranzniederlegung muss Kevin Milas wie eine Erholung vorgekommen sein. Zusammen mit dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier und dem Frankfurter Kämmerer Uwe Becker (beide CDU) gedachte der amerikanische Generalkonsul Ende November in der Paulskirche der Ermordung John F. Kennedys. Für einige Augenblicke war es wie bei deutsch-amerikanischen Terminen in der Vor-Snowden-Ära: Der ausgewiesene Amerika-Freund Becker sprach von Kennedy als großem Freund, den Deutschland damals verloren habe, Bouffier hob die tiefe deutsch-amerikanische Freundschaft hervor, ein Schülerchor intonierte „Amazing Grace“ und „Moon River“. Kein Wort vom Ausspähskandal. Bis Milas das alles überschattende Thema dieser Tage selbst zur Sprache brachte. Freundschaften, sagte der Diplomat, würden daran gemessen, wie die Freunde schwierige Situationen meisterten.

Der Generalkonsul selbst meistert die schwierige Situation, in die ihn die Enthüllungen des früheren Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden gebracht haben, inzwischen mit einer gewissen Routine. Seit Wochen gibt es für den Diplomaten kein offizielles Treffen, keinen öffentlichen Auftritt, kein Gespräch im kleinen Kreis, bei dem die NSA-Affäre nicht eine zentrale Rolle spielt. Immer wieder muss der Einundsechzigjährige gute Miene zum bösen Spiel machen und die Position der amerikanischen Regierung erklären und verteidigen.

Luftaufnahmen vom Verfassungsschutz

Allerdings teilt Milas dieses Schicksal mit vielen seiner Kollegen. Denn Washington bietet gerade alle diplomatischen Kräfte auf, um den massiven Vertrauens- und Imageverlust, den die NSA-Affäre den Vereinigten Staaten hierzulande eingebrockt hat, wettzumachen oder zumindest einzugrenzen. Wie Milas spricht auch der neue amerikanische Botschafter in Berlin, John Emerson, momentan bei jeder Gelegenheit von „partnership“ und „friendship“.

Doch der Frankfurter Generalkonsul hat es besonders schwer. Denn die Vertretung, die er seit Juli vergangenen Jahres leitet, sieht sich seit Monaten heftigen Vorwürfen und Mutmaßungen ausgesetzt. Die haben unter anderen den hessischen Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) im August dazu veranlasst, Milas fünf Fragen zu möglichen Abhöraktivitäten der NSA in Frankfurt zu übergeben und ihn zu einem Gespräch zu bitten. Der Verfassungsschutz ließ das Konsulatsgelände von einem Hubschrauber überfliegen und fotografieren. Der Generalkonsul versichert ein ums andere Mal, er werde die Sache mit seinen Vorgesetzten in Berlin und Washington besprechen. Mehr kann er nicht tun.

Vieles von dem, was in diesem Zusammenhang über das Generalkonsulat mit seinen fast tausend Mitarbeitern geschrieben und veröffentlicht wurde, ist längst bekannt gewesen oder reine Spekulation. Unter Rechtfertigungszwang setzen die Mutmaßungen Milas und seine führenden Mitarbeiter trotzdem. Fakt ist, dass das Konsulat mit Abstand die wichtigste amerikanische Einrichtung dieser Art und eine der fünf größten Auslandsvertretungen Washingtons auf der Welt ist. Auf dem mehr als neun Hektar großen Areal im Stadtteil Eckenheim stehen den Mitarbeitern etwa 30 000 Quadratmeter Büro- und Arbeitsfläche zur Verfügung. In dem mit vier Meter hohen Stahlzäunen, Kameras und Wachmannschaften gesicherten Komplex, der im ersten Golfkrieg Anfang der neunziger Jahre noch als größtes Armee-Lazarett in Europa diente, haben Ableger von mehr als 20 amerikanischen Bundesbehörden und Regierungsstellen Platz.

Genau das ist Milas’ Problem. Denn darunter sind auch die CIA, die NSA, der Secret Service, das Heimatschutzministerium und angeblich sogar der „Special Collection Service“, jene Geheimdienst-Abteilung, die in Berlin unter anderem das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin abgehört haben soll.

Geheime Operationen von Frankfurt aus gesteuert

Das Frankfurter Generalkonsulat, dessen Führung zu den „begehrtesten Posten im gesamten diplomatischen Dienst“ gehört, wie ein ranghoher Mitarbeiter es formuliert, ist seit dem Umzug in das frühere Militärhospital Ende 2005 zur wichtigsten logistischen Drehscheibe für die amerikanische Präsenz in Europa und weit darüber hinaus ausgebaut worden. Von Frankfurt aus wird gut die Hälfte aller rund 270 Botschaften und Konsulate weltweit versorgt: mit Material vom Kugelschreiber bis zur Computer- und Telefonanlage, mit sämtlichen Sicherheitseinrichtungen, mit Personal und technischer und logistischer Hilfe aller Art. Die Mitarbeiter anderer Vertretungen kommen zu Schulungen und Lehrgängen hierher. „Im Vergleich zu Washington sind wir hier einen Tag näher dran“, sagt ein Diplomat.

Das gilt auch für die Mitarbeiter der Geheimdienste. Genaue Zahlen gibt es selbstverständlich nicht, schon gar keine offizielle Bestätigung, aber schon lange ist von mindestens 200 CIA-Leuten die Rede, die in Frankfurt oder von Frankfurt aus ihren Dienst tun. Die Vorwürfe gegen sie sind massiv und inzwischen teilweise belegt. Ein früherer CIA-Agent, der von 2001 bis 2004 das „Frankfurt Regional Support Terminal“ (Fransupt) geleitet hat und dabei offiziell Mitarbeiter des Konsulats war, hat gegenüber der „New York Times“ schon vor vier Jahren bestätigt, dass von Frankfurt aus geheime Operationen gesteuert und unterstützt und dass Agenten in Afghanistan, Pakistan, auf der Arabischen Halbinsel und in Afrika aus Frankfurt versorgt werden. Auch Geheimgefängnisse des Auslandsgeheimdienstes in Marokko und Osteuropa seien von Frankfurt aus geplant, ausgestattet und organisiert worden. Außerdem wurden dem Mann zufolge Flüge mit Gefangenen über die Mainmetropole abgewickelt.

Wie aktiv die Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes NSA in Frankfurt sind und ob die gemeinsam mit der CIA geführte Einheit „Special Collection Service“ dort tatsächlich ein eigenes Abhörprogramm betreibt, ist dagegen unklar. Offiziell hat die NSA ihre Deutschland-Repräsentanz in Stuttgart, wo auch das Oberkommando der amerikanischen Streitkräfte in Europa sein Hauptquartier betreibt. Der Schwerpunkt der NSA-Aktivitäten dürfte dennoch im Rhein-Main-Gebiet liegen. Denn abgesehen von Frankfurts Schlüsselrolle im internationalen Datenverkehr, hat Amerika etwa 40 Kilometer weiter westlich auch seinen wichtigsten militärischen Stützpunkt auf dem Kontinent: die Clay-Kaserne in Wiesbaden.

Der Flugplatz im Stadtteil Erbenheim hat schon bei der Berliner Luftbrücke und später für die U2-Spionageflüge der Air Force eine zentrale Rolle gespielt. Doch seit dem Umzug des Hauptquartiers der Army von Heidelberg in die hessische Landeshauptstadt ist der Stützpunkt die Schaltstelle praktisch aller amerikanischen Militäraktivitäten.

Mit der 2004 von Präsident George W. Bush eingeleiteten Neuordnung der amerikanischen Militärpräsenz in Europa haben Zehntausende Soldaten und fast alle Kampfverbände Deutschland verlassen, das Pentagon hat zudem Hunderte Standorte geschlossen und sämtliche Aktivitäten an drei zentralen Punkten konzentriert. Während in Kaiserslautern und im nahe gelegenen Ramstein mit seinem Flughafen und dem größten Militärhospital außerhalb Amerikas das logistische Herz schlägt und im oberpfälzischen Grafenwöhr sämtliche Trainings- und Übungsaktivitäten zusammengeführt wurden, sitzt in der Clay-Kaserne die Army-Führung.

Mehr als eine halbe Milliarde Dollar hat die amerikanische Regierung in das neue Headquarter investiert – einen großen Teil davon in das Führungs- und Kommandozentrum, das im Juni 2012 offiziell eröffnet wurde. Es bietet auf vier Stockwerken Platz für mehr als 1100 Arbeitsplätze, allein 130 gibt es im „Theater“, einem großen, rund um die Uhr besetzten Saal, in dem alle Informationen auf einer digitalen „knowledge wall“ zusammenlaufen und sämtliche Aktivitäten der Amerikaner in Europa koordiniert und überwacht werden. Es ist das „Nervenzentrum“ der Army, aus dem die rund 30 000 auf europäischem Boden verbliebenen GIs ihre Befehle bekommen und Einsätze amerikanischer Truppen gesteuert werden.

Das nachrichtendienstliche Zentrum des amerikanischen Heeres

Auch wenn es dafür keine Bestätigung gibt, steht außer Frage, dass aus dem „kleinen Pentagon“, wie die Militärs das Kommandozentrum nennen, zahlreiche Operationen auch außerhalb Deutschlands und Europas gesteuert werden. Zudem ist anzunehmen, dass auch Drohnen-Angriffe auf Ziele in Ostafrika, die bisher aus Stuttgart und Ramstein geführt wurden, aus Wiesbaden zumindest unterstützt werden. „Für solche Operationen ist das Center schließlich gebaut worden und nicht für die Lohnabrechnung“, sagt ein Army-Mitarbeiter.

Doch nicht das Kommandozentrum hat in den vergangenen Monaten eine Flut von Spekulationen und einen Sturm der Kritik ausgelöst. Stellung musste der Kommandeur der Wiesbadener Garnison, Oberst David Carstens, zu einem Gebäude nehmen, das noch gar nicht steht: dem „Consolidated Intelligence Center“. Der Bau, der zusammen mit einem ebenfalls noch zu errichtenden „Information Processing Center“ mehr als 120 Millionen Dollar kosten wird, soll das nachrichtendienstliche Zentrum des amerikanischen Heeres werden und ist, wie Colonel Carstens nicht müde wird zu betonen, „eine Einrichtung der US-Army und keine NSA-Einrichtung“.

Das „Consolidated Intelligence Center“ werde den „militärisch-nachrichtendienstlichen Bereich der Armee“ aufnehmen, sagte Carstens schon vor einigen Wochen bei einem Besuch des Wiesbadener Oberbürgermeisters Sven Gerich (SPD). Zu diesem Zweck würden auch die Angehörigen einer derzeit noch bei Darmstadt stationierten Brigade nach Wiesbaden umziehen. Dort könnten sie dann in dem neuen Bau auf knapp 12.000 Quadratmetern unter besseren Bedingungen arbeiten als an ihrem bisherigen Standort.

Die Rede ist von der 66. Intelligence Brigade, die im Dagger-Komplex in Griesheim bei Darmstadt derzeit rund 1100 Mitarbeiter beschäftigt, „Intelligence Professionals“ und „Special Security Officers“, wie es heißt. Die Brigade untersteht dem United States Army Intelligence and Security Command (Inscom), dem nachrichtendienstlichen Hauptkommando des amerikanischen Heeres. Für die Marine und die Air Force gibt es ähnliche Kommandos, zusammen mit Inscom sind sie gewissermaßen die militärischen Arme der NSA. Die personellen Verbindungen zwischen den militärischen Einheiten und dem Geheimdienst sind entsprechend eng. Nicht zuletzt deshalb sind im Dagger-Komplex auch zivile Mitarbeiter der NSA tätig, von derzeit etwa 150 ist die Rede.

Mit dem für 2015 geplanten Umzug des gesamten Komplexes in das neue Intelligence Center in Wiesbaden würde die Clay-Kaserne zum mit Abstand wichtigsten Stützpunkt für die Aktivitäten der militärischen Geheimdienste werden – auch wenn die NSA offiziell sicher nicht als Hauptnutzer auftreten wird.