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Die erste Frau an der Spitze von General Motors

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Mary Barra soll als erste Frau an die Spitze des größten amerikanischen Autoherstellers rücken. Die Ingenieurin vermittelt zwar nicht das Gefühl, Benzin im Blut zu haben. Aber dafür hat sie eine klare Vision: „Keine beschissenen Autos mehr.“

Mary Barra war schon immer ein Fan von einfachen Ansagen. Als sie vor gut vier Jahren Personalchefin des amerikanischen Autokonzerns General Motors (GM) wurde, knöpfte sie sich den internen Dresscode vor. Das Dokument beschrieb auf zehn Seiten, wie sich Mitarbeiter anzuziehen haben, je nachdem, wo im Konzern sie beschäftigt sind oder mit welcher Klientel sie sich treffen. Es war ein Relikt der alten GM-Bürokratie, das die gerade durchgestandene Radikalsanierung im Insolvenzverfahren überlebt hatte. Barra musterte den Dresscode aus und ließ ihn durch eine Anweisung ersetzen, die sich auf zwei Worte beschränkte: „Angemessene Kleidung.“

Auch in ihrer heutigen Aufgabe als Chefin der Produktentwicklung von GM kommt Barra gerne mit wenigen Worten auf den Punkt: „Keine beschissenen Autos mehr“ – das ist die Haltung, die Barra ihren Mitarbeitern eintrichtern will, wie sie kürzlich auf einer Konferenz der Zeitschrift „Fortune“ sagte. Ausreden gebe es nicht, jeder Einzelne müsse sich dafür zuständig fühlen, dass GM gute Autos baut. Barra beteuerte, die Botschaft stoße in der Belegschaft auf positive Resonanz. Sie will Mitarbeitern das Gefühl geben, selbst Verantwortung zu tragen, wie vorher mit dem vereinfachten Dresscode.

Das ist ganz im Sinne von Konzernchef Daniel Akerson, der die einstige Verdrängungsmentalität von GM nicht mehr dulden will und stattdessen eine Kultur der Verantwortlichkeit predigt. Denn früher neigte GM dazu, die Schuld für seine Schwierigkeiten überall zu suchen, nur nicht bei sich selbst. Sogar den Verbrauchern wurde vorgeworfen, unter einer „Wahrnehmungslücke“ zu leiden und nicht zu kapieren, welch wunderbare Autos GM produziert. Der 65 Jahre alte Akerson sieht in Barra eine Vertraute im Kampf gegen die alten Denkmuster. Er hält so große Stücke auf sie, dass er sie als seine mögliche Nachfolgerin ins Spiel gebracht und öffentlich zur Kandidatin für den Chefposten erklärt hat. An diesem Dienstag nun hat GM offiziell bekanntgegeben, dass Barra ab Januar an der Spitze des Automobilkonzerns stehen wird. Neben ihr wurden lange noch drei andere Manager gehandelt: Vize-Chairman Stephen Girsky, Finanzvorstand Daniel Ammann und Mark Reuss, der Chef des Amerika-Geschäfts.

Mary Barra ist schon auf ihrem heutigen Posten die wohl mächtigste Frau in der amerikanischen Autoindustrie. Ihre Berufung vor knapp drei Jahren war ein Paukenschlag. Als Personalchefin schien sie nicht gerade eine natürliche Besetzung für die Aufgabe, zu der die Verantwortung für das Design der Autos von GM auf der ganzen Welt gehört. Zudem gilt gerade der Chefentwickler-Job als das prototypische Revier für „Car Guys“, also von Männern.

Zu Barras Vorgängern auf dem Chefentwickler-Posten gehörte der legendäre „Car Guy“ Bob Lutz, ein Designnarr mit einem Hang zu kernigen Sprüchen und Extravaganzen, der bisweilen mit seinem Hubschrauber ins Büro pendelte. Lutz war das krasse Gegenteil zu Barra, die eher den geschliffenen Manager-Typ verkörpert und oft in Marketingfloskeln spricht. Barra behauptet zwar, dass sie schnelle Autos mag, aber sie vermittelt nicht das Gefühl, Benzin im Blut zu haben. Das hat ihrer Karriere nicht geschadet: Als Akerson im vergangenen Jahr auf einer Konferenz des „Wall Street Journal“ nach Barra gefragt wurde, sagte er, dass es nicht von Vorteil sein muss, ein „Car Guy“ zu sein. Schließlich hätten „Car Guys“ das Unternehmen einst an den Abgrund gebracht.

Barra studierte Elektrotechnik und BWL

Barra brachte für ihre Aufgabe in der Produktentwicklung zwar wenig Designerfahrung mit, aber reichlich Ingenieurs-Expertise. Die Tochter eines Werkzeugbauers, der 39 Jahre in einer GM-Fabrik in der Nähe von Detroit arbeitete, hat den größten Teil ihrer Karriere in technischen Positionen verbracht. Barra interessierte sich schon als Kind für Mathematik und Naturwissenschaften. 1980 begann sie ein Studium der Elektrotechnik am General Motors Institute (heute Kettering University), an dem sich GM damals mit berufsbegleitenden Studiengängen künftige Ingenieure und Manager heranzog. Nach diesem Abschluss arbeitete sie zunächst eine Zeitlang als Ingenieurin in einem GM-Werk. Schon damals fand der Konzern, dass Barra das Zeug zu einer Führungskraft hat, und gab ihr ein Stipendium für ein Betriebswirtschaftsstudium an der Stanford-Universität. In den neunziger Jahren rückte sie als Assistentin des damaligen Vorstandschefs Jack Smith schon einmal in den Dunstkreis der Konzernspitze. Ansonsten waren ihre Karrierestationen meist nahe an der Produktion: Sie leitete ein Autowerk in Detroit. Anfang 2008, als sich die Lage von GM schon bedrohlich zuspitzte, bekam sie die Verantwortung für die Produktionstechnik in allen Fertigungsstätten auf der Welt.

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Viele Manager der alten GM-Garde haben das Unternehmen im Zuge des Gläubigerschutzverfahrens 2009 verlassen. Barra gehört zu den GM-Veteranen, die seither auf der Überholspur sind und an denen der Makel der Insolvenz nicht haften blieb. In der Produktentwicklung hat Barra kein leichtes Erbe angetreten. Zur Zeit der Insolvenz konnte GM weniger investieren, entsprechend war der Nachschub an neuen Modellen ins Stocken geraten. Barras Aufgabe ist es, attraktive Autos auf den Markt zu bringen, aber auch, die Kosten in der Produktentwicklung zu stutzen. Selbst nach der Restrukturierung in der Insolvenz gab es noch immer reichlich Einsparpotential. So hat Barra geschätzt, dass GM jedes Jahr eine Milliarde Dollar durch Verzögerungen und Veränderungen bei Programmen für die Entwicklung neuer Autos verliert.

Barra hat das Management in der Produktentwicklung erheblich gestrafft. Beispielsweise ist für jedes Autoprojekt jetzt nur noch ein Manager verantwortlich statt vorher drei. Barra will außerdem mehr Autos als bisher weitgehend baugleich auf gemeinsamen Plattformen entwickeln. Hier hat GM noch gewaltigen Rückstand auf Wettbewerber wie Ford. 2010 hatte das Unternehmen global 30 verschiedene Plattformen, bis 2018 sollen es nur noch 17 sein.

GM hat die dunklen Tage der Insolvenz abgehakt und ist heute finanziell in glänzender Verfassung. Das Unternehmen hat in den vergangenen drei Jahren kombiniert mehr als 20 Milliarden Dollar Gewinn ausgewiesen. Der Aktienkurs hat in der vergangenen Woche den höchsten Stand seit dem Börsengang im Jahr 2010 erreicht, die Rating-Agentur Moody’s stuft neuerdings erstmals seit 2005 die Anleihen von GM nicht mehr als Ramsch („Junk“) ein. Besonders viel Symbolik hatte vor ein paar Wochen die Ankündigung der amerikanischen Regierung, ihre verbleibenden GM-Aktien bis Ende des Jahres zu verkaufen. Dann muss sich GM endlich nicht mehr als „Government Motors“ titulieren lassen.

Das Europa-Geschäft mit Opel bleibt freilich ein Sorgenkind und fährt weiter Verluste ein. GM hat in der vergangenen Woche für einen Paukenschlag gesorgt und den fast vollständigen Rückzug der Marke Chevrolet aus der Region angekündigt. Damit wird Opel die ungeliebte Konkurrenz der Schwestermarke los, die hier einige fast baugleiche Modelle zu niedrigeren Preisen verkauft. Andererseits drückt nun die Last, das Europa-Geschäft profitabel zu machen, umso mehr auf Opel. Es gibt Hoffnungsschimmer: Einige neue Modelle wie der Geländewagen Mokka und das kleine Stadtauto Adam verkaufen sich gut.

Auch jenseits von Europa ist das Bild bei GM nicht ungetrübt, und die bisherige Bilanz von Barra ist gemischt. Der amerikanische Heimatmarkt ist zwar klar profitabel, aber GM liegt mit seinen Gewinnmargen hinter dem Rivalen Ford. Der Konzern hat zwar viele neue Modelle in die Autohäuser gebracht, aber damit keine Marktanteile geholt. Im Gegenteil: Im dritten Quartal hatte GM einen Anteil von 17 Prozent am amerikanischen Automarkt, vor zwei Jahren waren es noch fast 20 Prozent. GM hat sich Patzer bei neuen Modellen geleistet, etwa der jüngsten Version des wichtigen Chevrolet Malibu, die so schlecht ankam, dass GM sie nach kurzer Zeit überarbeiten musste. Solche Fehlschläge kann sich Mary Barra nicht leisten, wenn sie nun den bisherigen Konzernchef beerbt. Mit Einsparungen alleine wird sie nicht den erhofften Erfolg haben.