Gesellschaft

Jan Vermeer auf der Flugzeugtoilette

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Selbstporträts im Stile der alten flämischen Meister: Der New Yorker Kunst-Professorin Nina Katchadourian haben sich in Flugzeugtoiletten neue Welten eröffnet.

Frau Katchadourian, wenn man Ihren Namen bei Google eingibt, kommen erstaunliche Bilder zutage. Was machen Sie da?

Alles begann auf einem Flug von New York nach Atlanta. Der dauert ungefähr zweieinhalb Stunden. Als ich auf der Toilette war, stülpte ich mir spontan einen Sitzbezug aus Papier über den Kopf und schoss ein Foto. Ich war selbst erstaunt, wie das aussah: wie ein altes flämisches Gemälde aus dem 15. Jahrhundert. Die Idee setzte ich dann auf Langstreckenflügen fort.

Was wollen Sie uns damit sagen?

Für mich strahlen die historischen flämischen Gemälde eine unheimliche Stille und Intimität aus. Die Menschen darin sind allein mit ihren Gedanken, sie werden in privaten Augenblicken porträtiert. Die Flugzeugtoilette ist das Äquivalent auf Reisen: Es ist der einzige Ort, an dem wir unsere Privatsphäre haben. Und ein Ort, an dem die wenigsten Menschen mehr Zeit als notwendig verbringen möchten. Ich habe versucht, die würdevolle Art der Abbildung zu adaptieren. Natürlich sind die Bilder auch absurd. Ich wickle ja nur Papiertücher um meinen Kopf und hänge den Hintergrund mit einer Decke ab. Aber ich bin dann gleichzeitig im 17. Jahr hundert und eingequetscht in einer Flugzeugtoilette im Hier und Jetzt.

Keine Flugbegleiter, die klopfen?

Die kamen nie. Manchmal verbrachte ich 15 Minuten dort, aber das störte niemanden. Auf Langstrecken flügen schlafen die meisten Leute zum Glück, da bekommt kaum jemand etwas mit.

Sie könnten doch auch schlafen.

Ich bin eigentlich ein ziemlich entspannter Fluggast, aber diese Geschwindigkeit gibt mir zu denken. Ein Flug hat ja heute den Charme einer Busfahrt. Dabei müssen wir uns der Tatsache bewusst werden, dass Fliegen am nächsten an die Idee einer Zeitmaschine herankommt. Ich denke oft: Das sind die 300 Leute, mit denen du gemeinsam sterben könntest. Wenn ich die Zeit anderweitig verbringe, bin ich entspannter. Seit ich 2010 mit meiner Reihe „Seat Assignment“ angefangen habe, sind etwa 7000 Bilder auf mehr als 100 Flügen entstanden.

In dieser Reihe fotografieren Sie auch die Spiegelung Ihrer Sitz nachbarn im Gurt und bauen kleine Höhlen aus Lebensmitteln.

Ich bastle auch Uhren aus Essensresten in Getränkehaltern. Mir geht es um die Langeweile. Wenn wir fliegen, fühlen wir uns wie in einer separierten Welt. Wir denken, wir hätten zu viel Zeit. Wir nehmen die Zeit im Flug gar nicht ernst. Wir befinden uns da zwischen grenzenloser Freiheit und auswegloser Einschränkung. Ich wollte dieser Zeit etwas Produktives abgewinnen. Mein Motto ist: mehr schaffen mit weniger Sachen. Auf manchen Flügen bin ich sehr müde, dann mache ich ein, zwei Bilder und schaue mir einen langweiligen Film an. Die kurzen Flüge sind mittlerweile produktiver.

Wie oft sind Sie unterwegs?

Schon als Kind bin ich immer von Kalifornien zu meiner Familie in Finnland geflogen. Ich sitze dauernd im Flugzeug, meist für die Arbeit. Wenn ich mit meinem Handy Bilder mache, sehe ich aus wie eine gelangweilte Person, die die Zeit totschlagen will, was ich ja eigentlich gar nicht sein will. Die Handykamera ist meine Tarnung. Die meisten Leute gucken nur neugierig, fast nie spricht mich jemand auf meine Arbeit an. Und was in der Toilette passiert, merkt ja eh niemand.

Waren Sie eigentlich schon einmal in den Niederlanden, bei den Alten Meistern?

In Amsterdam erst einmal, als ich jung war. Vielleicht schaffe ich es einmal für längere Zeit. Nächste Woche fliege ich aber erst einmal nach Finnland, zu meiner Familie.