Gesellschaft

„Französinnen sind zuallererst Frauen – dann Mütter“

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Die französische Feministin Elisabeth Badinter spricht im F.A.Z.-Interview über weibliche Rollenmuster, Kindererziehung und den Unsinn eines Prostitutionsverbots.

Madame Badinter, die jungen Französinnen wollen nicht mehr Europas Superfrauen sein, sondern ihre Mutterschaft genießen. Stimmt das?

Ich glaube zunächst einmal nicht, dass die Französinnen die perfekten Frauen Europas sind. Sie haben jedoch viel erreicht, wenn es darum geht, berufliche Pläne zu verwirklichen und dennoch nicht auf Kinder verzichten zu müssen. Aber das reicht nicht allen jungen Frauen. Es gibt es eine kleine, aber sehr aktive Minderheit, die eine neue Mütterlichkeit anstrebt.

Gibt es also eine Gegenbewegung der jungen Generation, die ihre Kinder anders großziehen will?

Nochmals: Wir sprechen hier nicht über die Mehrheit, sondern über meist gut ausgebildete, hochqualifizierte Französinnen, eine in gewissem Sinn privilegierte Minderheit von Frauen, die für einige Jahre im Beruf aussetzen, um sich ganz ihren Kindern zu widmen. Die Wirtschaftskrise in Frankreich ist sehr heftig, in vielen Unternehmen führt das zu einem rauhen Arbeitsklima. Das ist der Hintergrund, vor dem sich diese jungen Frauen entscheiden, zu Hause zu bleiben. Sie suchen ihre Bestätigung lieber darin, ihren Kindern eine perfekte Mutter zu sein, rund um die Uhr zuständig, zu allen Opfern bereit. Ja, lassen Sie es mich so formulieren: Sie wollen wie eine deutsche Mutter sein.

Woran liegt es, dass in den deutschen Medien immer häufiger die Schattenseiten des französischen Modells der Vereinbarkeit von Familie und Beruf betont werden?

Wahrscheinlich, weil es tröstlich für die deutschen Mütter ist, die ihr eigenes Modell in Frage gestellt sehen. In Frankreich haben wir das deutsche Modell kritisiert, das die Frauen in der Mutterrolle einhegt, und oft genug auf die schlechte demographische Entwicklung hingewiesen. Wenn jetzt aber Französinnen beginnen, ihr eigenes Modell zu verwerfen, dann ist die Situation der Frauen in Deutschland vielleicht doch nicht so schlecht? Ich glaube das nicht, aber dieser Eindruck soll erweckt werden.

Aber verlangt das französische Gesellschaftsmodell nicht wirklich von den Frauen, dass sie alles leisten müssen?

Wir müssen uns endlich von der Vorstellung verabschieden, dass es ein perfektes Modell gibt. Natürlich sind die französischen Verhältnisse verbesserungswürdig. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass uns große Verbesserungen durch die verstärkte Rolle der Väter bevorstehen. Je mehr sich die Väter in der Kindererziehung einbringen, je mehr sie auch andere Aufgaben im Haushalt übernehmen, umso geringer wird der Druck, der auf den Müttern lastet. Natürlich ist die Doppelbelastung durch Beruf und Familie mit Stress verbunden. Aber jede Frau sollte selbst entscheiden können, ob sie bereit ist, das in Kauf zu nehmen. Über die tödliche Langeweile der Frauen, die nicht aus freien Stücken zu Hause bleiben, wird viel zu selten gesprochen.

Ist die frühe staatliche Betreuung von Kindern oft schon im Säuglingsalter nicht tatsächlich eine Qual, weil sie den Kindern nur wenig Zeit lässt, eine feste Bindung aufzubauen?

Ich glaube das nicht. Die Psychoanalytiker sind in dieser Frage zerstritten. Millionen von französischen Kindern sind von Müttern aufgezogen worden, die gearbeitet haben. Und dennoch gibt es keinen auffällig höheren Anteil von Erwachsenen, die Bindungsprobleme aufweisen. Alles hängt von der Entscheidung der Frau ab. Wenn sie in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter aufgeht, dann ist das für das Kind gut. Aber genauso wenig ist es schlecht für ein Kind, wenn die Mutter arbeitet, aber in der gemeinsamen Zeit erfüllt und zufrieden ist.

Warum haben Französinnen eine andere Einstellung zum Stillen als Deutsche?

Die Französinnen definieren sich zuallererst als Frauen und erst danach als Mütter. Sie wollen gefallen, verführerisch sein, auch wenn sie Mütter sind. Das ist ein tief geschichtlich verankertes Selbstbild, das sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Das Bestreben war es stets, den Müttern zu ermöglichen, Frau zu bleiben. Deshalb gab es früher die Ammen. Später übernahm die Flaschennahrung diese Rolle. Jetzt aber stößt sich dieses französische Frauenbild an der verbreiteten Erwartung, dass eine Mutter ihr Kind nach dessen Bedürfnissen stillen soll. Das aber bedeutet, dass die Französinnen ein Stück ihrer Unabhängigkeit aufgeben müssen und sich ganz den Bedürfnissen des Kindes unterwerfen. Viele Frauen lehnen das weiterhin ab und geben lieber die Flasche. „Zuerst die Frau“, das ist eine sehr französische Devise.

In der jüngsten Unicef-Studie zum Wohlergehen von Kindern landete Frankreich auf einem hinteren Platz. Sehen Sie da einen Zusammenhang mit der frühen Fremdbetreuung?

Ja, aus Sicht der Unicef gibt es einen Zusammenhang. Unicef wie auch andere Organisationen stehen unter dem Einfluss der Thesen der Leche-Liga, wonach das Stillen die oberste Mutterpflicht ist. Da die Französinnen bei diesem Kriterium schlecht abschneiden, kann Frankreich nur ein mittelmäßiges Ergebnis erzielen. Aber das liegt an der Ideologie, die hinter dieser Studie steht.

Warum sind die Erziehungsprinzipien in Frankreich so anders geblieben als in Deutschland? Die Fondation pour l’enfance hat kürzlich eine Kampagne gegen „die kleine Ohrfeige“ gestartet, aber die meisten Eltern finden nichts dabei, ihre Kinder zu schlagen.

Die meisten Franzosen empfinden es als absurd, dass der Staat sich in die Kindererziehung einmischen will. Physische Gewalt gegen Kinder gehört natürlich verboten. Aber die Franzosen haben den Eindruck, dass sie diese ganz gut von einer kleinen Ohrfeige oder einem Klaps auf den Hintern unterscheiden können. Das ist eine Geste der Autorität, die sich französische Eltern nicht nehmen lassen wollen. Ich muss Ihnen gestehen, das schockiert mich nicht. Vielleicht wirken wir mit diesen Erziehungsmethoden wie Barbaren, aber wir wollen daran festhalten.

Worauf führen Sie es zurück, dass sich die Bindungsforschung in Frankreich nie so entwickelt hat wie in Deutschland?

Die Bindungsforschung stieß Anfang der siebziger Jahre besonders in Amerika auf ein großes Echo. Die Erkenntnisse zur Mutter-Kind-Bindung, die von Vergleichen zur Tierwelt inspiriert waren, wurden dann aber stark angezweifelt. In Amerika ist diese Form der Bindungsforschung heute kein Thema mehr. Besonders in Deutschland aber ist das Interesse daran ungebrochen. Ich führe das auf ein übertriebenes Perfektionsstreben zurück.

Wie erklären Sie sich, dass Franzosen seit Jahren an der Weltspitze beim Verbrauch von Antidepressiva stehen?

Die Franzosen leiden nicht gern. Deshalb verbrauchen sie mehr Pharmaka als andere Völker. Die Schmerz- und Leidensaversion erkennt man übrigens schon im Kreißsaal. Die meisten Französinnen gebären unter Periduralanästhesie.

In Frankreich wird derzeit heftig über den Gesetzentwurf diskutiert, Kunden von Prostituierten strafrechtlich zu belangen. Fordern Sie wie Alice Schwarzer ein Verbot der Prostitution?

Nein, in dieser Frage stimme ich nicht mit meiner Freundin Alice Schwarzer überein. Es muss zwischen dem Kampf gegen mafiöse Zuhälter-Ringe und der Prostitution unterschieden werden. Die Frauen haben das Recht, mit ihrem Körper zu machen, was sie wollen. Ich bin entschieden gegen Prohibitionsgesetze. Ein Prostitutionsverbot würde die Lage der Prostituierten verschlimmern, weil sie dann im Verborgenen arbeiten müssten. Ich finde diese Perspektive entsetzlich.