Eine neue Generation geistert durch die virtuelle Welt. Sogar die SPD hat sie schon entdeckt. Aber existiert sie überhaupt – oder ist sie nicht eher nur eine kopfgeborene Anmaßung?
Kaum eine Woche vergeht derzeit, in der nicht irgendwer irgendwo über die „Generation Y“ räsoniert oder, der Einfachheit halber, gleich selbst behauptet, für sie sprechen zu können. Der Name dieser Generation, mit der die ab 1980 Geborenen bezeichnet werden sollen, wird englisch ausgesprochen. Er klingt dann schön vieldeutig: „Generation Why“ – „Generation Warum“. Was wird dieser Generation nicht alles zugeschrieben: Sie zeige einen so hohen Grad an Narzissmus, Materialismus und Technologiehörigkeit wie keine Generation vor ihr („Time Magazine“). Die SPD dagegen meint, für die „Generation Y“ gewännen „Freundschaften und Netzwerke“ an Bedeutung. Parteichef Gabriel sagte auf dem Parteitag in Leipzig, man müsse diese „Generation Y“ irgendwie ansprechen. Aber wie?
Der Personalchef eines großen Autoherstellers meint festgestellt zu haben, „Generation Y“ missachte Autoritäten. In der „Zeit“ heißt es, „im Erwerbsleben wie im Privaten strebt diese Generation sehr nach Sicherheit und Beständigkeit“. Es gibt Soziologen, die behaupten, diese Generation zeichne sich dadurch aus, dass bei ihr an die Stelle von Status, Geld und Prestige Sinnsuche und Freude an der Arbeit getreten seien. Und die „Neue Zürcher Zeitung“ hat eine „lethargische, verunsicherte, von einer postideologischen Welt im Stich gelassene“ wirtschaftskrisengeschüttelte Generation entdeckt. Es ist ein einziges Durcheinander.
Die Konstruktion dieser Generation wird von zwei Seiten betrieben. Die einen haben das Bedürfnis, die nach ihnen kommende Generation irgendwie einzuordnen und so oft auch gleich abzuwerten. Sie verwenden den Begriff zur organisierten Selbstverteidigung gegen die Jugend. So wie die Vorgänger der „Generation Y“ aus der „Generation X“ als Verweigerer abgestempelt wurden. Spiegelbildlich dienen derartige Schlagwörter einem Teil der Jugend zur Selbstvergewisserung. Leute, die sich über das für ihr Alter übliche Maß hinaus auf Sinnsuche befinden, mischen mit bei der Konstruktion einer Generation. Berufsjugendliche Publizisten verallgemeinern ihre Gefühle mit Hilfe eines übergriffigen „Wir“ und vereinnahmen andere für sich, nur weil die zufällig gleich alt sind. Voller Zweifel, aber mit Plänen, einige davon noch erfüllbar, andere leider nicht mehr. Wie man es halt so feststellt, wenn man um die Dreißig ist. Die Zeiten, unsicher. Altes gilt nicht mehr. Was ist daran schon neu?
Oft sind die Gemeinsamkeiten mit dem eigenen Großvater größer als die mit den angemaßten Propheten der eigenen Generation. Generationenbegriffe wie „Y“ ergeben nur für jene Sinn, deren Daseinszweck darin besteht, Menschen einzuteilen und Kohorten Wesensmerkmale, Verhaltensweisen und Wunschvorstellungen unterzujubeln.
Der Einzelne zählt nicht mehr viel, wenn andere schon dekretiert haben, was man von Autoritäten, Arbeit, Freizeit, Chatprogrammen oder Beziehungen hält. Es ist ein Antiindividualismus, der sich als sein Gegenteil ausgibt. Die Lebensphase der angeblich größten Selbstverwirklichung mit Ende zwanzig, Anfang dreißig wird so kollektiviert.
Dabei bezieht sich das, was als „Generation Y“ definiert wird, von Anfang an lediglich auf einen kleinen, privilegierten Teil junger Erwachsener: Auf diejenigen, die studiert haben und dazu und für die nachfolgende Zeit des Suchens auf ein entsprechendes Vermögen oder familiären Hintergrund zurückgreifen können. Und dann klagt ein „Y-Generationist“, unsere Eltern hätten sich zu Lasten der Nachkommen in ihren Häusern wie Maden im Speck eingerichtet. Aber dass man als freier Künstler, Schriftsteller oder Journalist mit Anfang dreißig meist noch kein Haus kaufen kann, war früher auch nicht anders.
Zu viele Lebensentwürfe, immer und allzeit
Es ist eine Banalität, dass die technischen und ökonomischen Umgebungen heute andere sind als sie früher waren und irgendwann in der Zukunft sein werden. Dabei hat die Wirtschaftskrise den Wohlstand dieser „Generationen“-Generationen wenig berührt. Vielleicht haben sich einige ihrer Vertreter eine Zeitlang dem Subressort „Generation Praktikum“ zuordnen müssen. Dennoch genießt auch diese weiter die Privilegien ihrer Herkunft. Sie kann sich ihrer auf ähnliche Art und Weise sicher sein wie ein ruinierter Aristokrat, der doch immer Aristokrat bleibt.
Andere werden vom Radar der Generationenerzähler gar nicht erst erfasst. Es handelt sich um die Mehrheit. Jene, die eine Lehre gemacht haben, früh in den Beruf eingestiegen sind, nicht die Mittel und Möglichkeit haben, auf hohem Niveau öffentlich zu jammern. Trotzdem schreiben diese Generationenerfinder ihre Überbrückungsschmerzen, die kurzzeitig die eigene Biographie belasten, gleich Hunderttausenden Zeitgenossen zu, die auch nichts dafür können.
Natürlich bedienen sich Marktforscher und andere Bedarfsdemagogen dieser Scheinwelt. Doch ein Beleg beispielsweise dafür, dass diese oft zusätzlich auch noch als „digital natives“ bezeichnete „Generation Y“ besonders computerbefähigt ist, ist bisher nicht erbracht worden. Sicher klickt und wischt fast jeder auf digitalen Geräten herum. Aber auch heute kann kaum einer programmieren. In der „Generation Y“ gibt es so wenige digitale Ureinwohner wie unter denen, die 1968 jung waren, Revolutionäre waren. In den sechziger Jahren studierten noch weit weniger Menschen in Deutschland als heute. Es waren kaum mehr als zehn Prozent der Schulabgänger, und selbst davon war wahrscheinlich nur ein Bruchteil aktives Mitglied der Protestbewegung. Dennoch beanspruchen deren Aktivisten bis heute die Deutungshoheit über das Erleben ihrer Altersgruppe.
Es gibt tatsächlich Generationenerlebnisse – Kriege, echte historische Umbrüche. Aber kein demographischer Wandel, kein im Fernsehen gesehener Terroranschlag, kein Stellenabbau im Niedriglohnsektor schweißt benachbarte Geburtsjahrgänge zu einer kopfgeborenen Generation zusammen. Es gibt einfach zu viele unterschiedliche Lebensentwürfe und Schicksale, immer und allzeit.
Wer bestimmt also, was für alle zu gelten hat? Reicht die Kraft der herumirrenden Generationenkonstrukteure dazu, die Deutungshoheit über das Leben einer Alterskohorte zu erringen? Zur Generierung einer Generation gehören immer zwei: Die Begriffspropheten und die anderen, die das Gerede ungeprüft übernehmen. Es ist Zeit, die Deutungshoheit über das Ureigenste zurückzugewinnen.