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Hessen-SPD schließt Minderheitsregierung aus

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Zehn Sondierungsgespräche wurden schon geführt. Aber die Hessen-SPD will sich nicht auf eine mögliche Koalition festlegen. Parteichef Schäfer-Gümbel schließt nun doch eine rot-grüne Minderheitsregierung aus.

In Hessen will die SPD erst auf ihrem Landesparteitag am 30. November in Darmstadt entscheiden, für welche Koalitionsoption sie sich entscheidet oder ob sie in die Opposition geht. Der SPD-Fraktions- und Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel sagte nach der Sitzung des Parteirats in Frankfurt am Montagabend: „Wir haben entschieden, nicht abschließend zu entscheiden. Dies ist ein bisschen unbefriedigend.“

Vor einer endgültigen Entscheidung des Parteitags über die drei noch zur Auswahl stehenden Optionen Schwarz-rot, Rot-rot-grün oder den Gang in die Opposition will die SPD-Spitze auf 26 Regionalkonferenzen die Mitglieder um ein Meinungsbild bitten. Er selbst werde „spätestens“ auf dem Parteitag eine „Empfehlung“ für eine der drei Optionen abgeben. „Wir wollen in aller Ruhe unseren Weg gehen und uns von niemanden unter Druck setzen lassen.“

Zuvor hatte Schäfer-Gümbel den rund 70 Mitgliedern des Parteirats in einer mehr als drei Stunden dauernden Sitzung die Ergebnisse der insgesamt zehn Sondierungsgespräche mit CDU, Grünen und Linkspartei in einem Bericht der Sondierungskommission vorgestellt. Danach scheiden die Option einer Ampel-Koalition mit Grünen und FDP und das Modell einer Minderheitsregierung mit einem festen Tolerierungspartner oder wechselnden Mehrheiten nach Aussage Schäfer-Gümbels faktisch aus. Die FDP habe eine Ampelkoalition vor der Wahl ausgeschlossen und auch die Grünen hätten „erhebliche Vorbehalte“ gegen dieses Koalitionsmodell. Die FDP habe auch mitgeteilt, dass sie für eine Minderheitenregierung mit wechselnden Mehrheiten nicht zur Verfügung stehe. Die Grünen lehnten ebenfalls alle Arten von Minderheitsregierungen ab.

Schäfer-Gümbel hob hervor, dass alle noch bestehenden Optionen sowohl „Chancen als auch Risiken bergen.“ Die Rot-grün-rote Sondierung habe Gemeinsamkeiten beim Thema Arbeit, soziale Gerechtigkeit und „Bildungschancen“ ergeben, allerdings seien auch „konzeptionelle Unterschiede“ zwischen Linkspartei und Grünen bei den Themen Ganztagschulen und Kinderbetreuung deutlich geworden. Eines der „schwierigsten“ Themen in dieser Konstellation sei der Ausbau des Frankfurter Flughafens. Hier hielten Grüne und Linkspartei den Vorschlag der SPD für einen „Flughafendialog“ zur Lärmreduzierung für nicht tragfähig. „Erhebliche Differenzen“ mit der Linkspartei gebe es bei der Haushaltssanierung, stellte Schäfer-Gümbel fest. In den schwarz-roten Sondierungsgesprächen mit Ministerpräsident Volker Bouffier habe man zur Kenntnis genommen, dass „die CDU verstanden hat, dass das Thema Arbeit und soziale Gerechtigkeit für die SPD ein Kernanliegen ist.“ Beim Thema Schule sei mit der CDU ein „Korridor“ in Sicht, der „mehr Chancen als Probleme aufzeigt.“

Bouffier: Wenn wir nicht wieder in die Gräben steigen, hat es sich schon gelohnt

Zuvor hatte sich die SPD im Wiesbadener Landtag mit der CDU zu ihrem vierten und abschließenden Sondierungsgespräch getroffen. In dem zwei Stunden dauernden Treffen mit der CDU-Spitze um Bouffier stand das Streitthema Schule im Mittelpunkt. Bouffier sprach von einem „guten Gespräch“, in dem es „Punkte“ gegeben habe, „bei denen wir nahe beieinander sind“. An anderen Stellen müsse es sich noch „fügen“. Dies könne aber gelingen, fügte er hinzu. An diesem Wochenende werde die CDU mit Blick auf „ihre Interessenlage“ die Entscheidung treffen, mit wem sie Koalitionsverhandlungen aufnehme. Zu den Hauptkriterien dafür zählten neben Inhalten die „Stabilität“ einer Regierung und das „Vertrauen“ in den Partner. Nach vier Sondierungsrunden mit SPD und Grünen sei die CDU „in der Lage, sich eine Meinung zu bilden“. Bouffier hob hervor, dass allen an den Sondierungen beteiligten Parteien etwas in Hessen „Ungewöhnliches“ gelungen sei: „Wir haben es geschafft, unsere Unterschiede auszuhalten und trotzdem versucht, etwas zustande zu bringen. Wenn wir diesen Grundsatz einhalten und nicht wieder in die Gräben steigen, hat es sich schon gelohnt.“

Schäfer-Gümbel sagte, dass beide Seiten „intensiv über das Thema Vertrauen geredet haben.“ Für die SPD sei bei der Bewertung der Sondierungsgespräche ein „politisches Dreieck“ entscheidend: „Veränderung durch eine neue Regierung, stabile Verhältnisse und eine Vertrauensbasis.

SPD-Parteirat verwirft Vorhaben einer Minderheitsregierung

Für Aufsehen vor dem Sondierungstreffen hatte die Nachricht am Sonntagabend gesorgt, dass Schäfer-Gümbel eine „echte Minderheitsregierung“ von SPD und Grünen als neue Option erwägt. Eine Option, die der SPD-Parteirat einen Tag später als unrealistisch verwarf.

Der SPD-Generalsekretär Michael Roth hatte der F.A.Z. am Tag zuvor noch gesagt, dass die SPD-Spitze über eine rot-grüne Minderheitsregierung nachdenke, also über ein Modell mit wechselnden Mehrheiten und ohne festen Tolerierungspartner, das auch die nordrhein-westfälische SPD nach der Landtagswahl 2010 zusammen mit den Grünen erprobt hatte. Die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft war im Düsseldorfer Landtag zur Ministerpräsidentin im zweiten Wahlgang mit der relativen Mehrheit der Mandate gewählt worden, weil sich vermutlich die Linkspartei enthalten hatte. Für bestimmte Gesetzesvorhaben besorgte sich die rot-grüne Minderheitsregierung auch die Zustimmung der FDP-Fraktion. Bei den Haushaltsberatungen zwei Jahre später waren jedoch weder FDP noch Linkspartei bereit, dem rot-grünen Etatentwurf zuzustimmen. Die Folge war die Neuwahl des Landtags im Mai 2012, die der Koalition aus SPD und Grünen eine klare Mehrheit verschaffte.

In Hessen allerdings müsste Schäfer-Gümbel bei der Wahl des neuen Ministerpräsidenten im Landtag in allen Wahlgängen die absolute Mehrheit der Mandate erhalten. Eine Enthaltung der Linkspartei oder der FDP und damit nur eine relative Mehrheit der Mandate von SPD und Grünen würde nicht reichen.

Die SPD strebe nach einem „Politik- und Regierungswechsel“, sagte Roth. „Dafür gibt es nur noch wenige Optionen, eine davon könnte eine echte Minderheitsregierung sein.“ Schäfer-Gümbel sagte, dass über diese Option seit dem 28. September in allen Sondierungsgesprächen geredet worden sei.

Die Grünen waren nach eigener Aussage offenbar nicht in diese Überlegungen eingeweiht. „Wir wissen von nichts“, sagte eine Grünen-Sprecherin der F.A.Z. Gleichzeitig verwies sie auf den am 16. November bekräftigten Beschluss des Parteirates der Grünen. Dort heißt es, dass die Grünen bei der Regierungsbildung kein Minderheiten- oder Tolerierungsmodell anstreben. In der Grünen-Fraktion wird die ins Spiel gebrachte neue Machtoption als „Verzögerungstaktik“ und „Bluff“ der SPD gewertet, um gegenüber der CDU im letzten Sondierungsgespräch einen „Trumpf“ zu haben. Dabei wird darauf verwiesen, dass Schäfer-Gümbel durch seine aus der SPD-Bundesvorstandssitzung in Leipzig kolportierte Einschätzung, dass ein Linksbündnis nicht tragfähig sei, die Option Rot-Grün-Rot auch als Druckmittel gegenüber der CDU „tot“ gemacht habe. „Nun holt er den Knüppel raus und droht der CDU, wir können auch anders, wenn wir nur wollen.“

Gespräch mit FDP-Spitze am Dienstagabend

Mit der FDP-Spitze, auf die er sich für ein Modell wechselnder Mehrheiten stützen müsste, will sich Schäfer-Gümbel an diesem Dienstagabend zu einem „Gespräch“ über die „allgemeine politische Lage“ treffen.

Bei den Grünen heißt es: „Die FDP wäre ja doof, da mitzumachen.“ Die Linkspartei zeigte sich grundsätzlich bereit, über ein solches Modell zu reden. „Wir haben das nie ausgeschlossen. Uns geht es zunächst um die Inhalte, dann um die Form“, sagte die Fraktionsvorsitzende Janine Wissler der F.A.Z.