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Der Siegerin fehlten drei Prozent

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Die Sozialistin Michelle Bachelet hat in der Präsidentschaftswahl in Chile einen ersten Sieg über die Bewerberin der konservativen Koalition, Evelyn Matthei, errungen. In der Stichwahl kann sie mit den Stimmen konkurrierender Linkspolitiker rechnen.

Zu einem Sieg gleich in der ersten Runde fehlten ihr etwas mehr als drei Prozent der Stimmen. Dennoch war der Wahlsieg der früheren chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet überzeugend. Mit knapp 47 Prozent der Stimmen und einem Vorsprung von mehr als 20 Prozentpunkten gegenüber ihrer Konkurrentin Evelyn Matthei aus dem konservativen Regierungslager, hat die Sozialistin unmissverständlich ihre Rückkehr in den Präsidentenpalast in Santiago, die „Moneda“, angekündigt.

Am 15. Dezember werden die beiden Frauen in der Stichwahl gegeneinander antreten. An einem Triumph Bachelets in der zweiten Runde zweifelt niemand in Chile. Doch Matthei hat ein sehr viel besseres Ergebnis eingefahren, als ihr in den Umfragen bescheinigt worden war. Sie hat den Aderlass gestoppt, dem ihre „Allianz“ wegen interner Kämpfe und Pannen bei der Kandidatenkür ausgesetzt war.

Vom Hoffnungsträger zum glücklosen Verlierer

Spannend war das Gerangel um den dritten Platz. Der unabhängige Kandidat Franco Parisi, als alerter Populist ein Magnet für Protestwähler, der ohne Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppierung antrat, weil er die traditionellen Parteien verachtet, hatte in den letzten Wochen vor der Wahl einen wunderlichen Sympathiezuwachs zu verzeichnen. Ihn hat jedoch der Anführer der „Progressistischen Partei“ Marco Enríquez-Ominami knapp überrundet. Bei den Wahlen 2010 war „ME-O“, wie der Filmemacher und frühere Sozialist gern genannt wird, noch Hoffnungsträger für viele Chilenen, die des überkommenen Parteiensystems und der verkrusteten „Concertación“ überdrüssig waren. Er musste sich jetzt mit zehn Prozent begnügen, der Hälfte der damals von ihm eingeholten Stimmen.

Pannen und Premieren

Bei den Wahlen in Chile am Sonntag gab es eine Reihe von Premieren, und doch blieb vieles vorhersehbar. Zum ersten Mal war die Teilnahme an der Wahl freiwillig. Das hat zu einer denkbar geringen Wahlbeteiligung geführt. Weniger als die Hälfte der 13 Millionen Stimmberechtigten gingen an die Urne. Zum ersten Mal hatten sich außerdem neun Präsidentschaftskandidaten zur Wahl gestellt. Mindestens sechs von ihnen vertraten ähnliche Positionen wie Bachelet. Sie haben ihr mit der Summe ihrer zwischen 0,2 und zehn Prozent schwankenden Stimmenzahl das Wasser abgegraben und die absolute Mehrheit verwehrt.

„Hier gibt es keine doppelte Lesart“, sagte Michelle Bachelet am Wahlabend, „wir haben gewonnen, und das mit großer Mehrheit“. Ihr Wahlbündnis „Neue Mehrheit“ war auch bei den gleichzeitig anberaumten Parlamentswahlen erfolgreich. Es erhielt 62 Mandate, die rechte „Allianz“ aus den Parteien „Nationale Erneuerung“ (RN) und „Unabhängige Demokratische Union“ (UDI) 53 Abgeordnetensitze. Im Senat verfügt Bachelets Bündnis über 21 Sitze, die Allianz hält 16 Mandate, außerdem gibt es einen unabhängigen Senator. Mit ihrer Mehrheit kann die „Neue Mehrheit“ zwar bequem regieren, doch sie reicht nicht für die von Bachelet beabsichtigten Reformvorhaben, für die qualifizierte Mehrheiten vonnöten sind, wie es die noch aus der Pinochet-Diktatur stammende Verfassung vorsieht.

Verfassungs- und Bildungsreform im Zentrum

Besonders schwer ist das Versprechen Bachelets einzulösen, mit einer verfassunggebenden Versammlung eine ganz neue Verfassung zu erarbeiten. Dazu müssten sich alle Parteien einig sein. Vor allem von der Allianz dürfte hartnäckiger Widerstand zu erwarten sein, weil sie mit den von Pinochet vorgegebenen Regeln noch immer ganz gut lebt. Wie sich jetzt auch wieder zeigte, kommt ihr vor allem das wenig demokratische „binominale“ Wahlsystem zugute, durch das sie mit einem Drittel der Stimmen fast die Hälfte der Parlamentssitze für sich verbuchen kann. Allen Vorstößen, diese Regelung abzuschaffen, hat sie sich bisher widersetzt.

Selbst für die von Frau Bachelet nun endgültig versprochene Bildungsreform mit dem Ziel, jedem Chilenen eine kostenlose Schul- und Universitätsbildung zu ermöglichen, ist eine qualifizierte Mehrheit vonnöten, doch gerade in der Allianz, aber auch in Teilen der „Neuen Mehrheit“ ist die Bereitschaft gering, das in der Pinochet-Diktatur nahezu vollständig privatisierte Bildungswesen in staatliche Obhut zu nehmen und mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Zu lukrativ ist das Geschäft mit der Bildung. Der scheidende konservative Präsident Sebastián Piñera hatte lediglich die Zinssätze für die Schulgeld-Darlehen, die manche Familien an den Rand des Ruins gebracht haben, herabgesetzt, das System letztlich aber unangetastet gelassen.

Niedrige Wahlbeteiligung

Die Proteste von Schülern und Studenten, die Piñeras Präsidentschaft überschatteten, aber auch schon während Bachelets erster Regierungszeit von 2006 bis 2010 für Aufruhr sorgten, hatten unübersehbare Folgen bei den jüngsten Wahlen. Drei ehemalige Studentenführer, unter ihnen Camila Vallejo, haben Abgeordnetensitze errungen. Vallejo war für die Kommunistische Partei angetreten, die nun neben den sozialistischen, sozialdemokratischen und christlich-demokratischen Parteien der früheren „Concertación“ der „Neuen Mehrheit“ angehört. Die beiden anderen, Gabriel Boric und Girgio Jackson, waren für andere linke Splitterparteien angetreten.

An der Wahl nahmen 50 Prozent der knapp 13,6 Millionen Wahlberechtigten teil. „Wir hätten uns eine größere Wahlbeteiligung gewünscht“, erklärte Staatschef Sebastián Piñera am Sonntagabend (Ortszeit). Es war die erste Präsidentenwahl, bei der sich die Stimmberechtigten nicht vorher einschreiben mussten. Für die Eingeschriebenen galt bislang eine Wahlpflicht, die für diesen Urnengang abgeschafft worden war.