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Der Nürburgring, die Milliarden und der „Vereinsmeyer“

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Der ADAC ist nicht nur Deutschlands größter Verein, sondern zugleich ein Milliardenkonzern. Jetzt hat die Organisation eine Kaufofferte für die legendäre Pleite-Rennstrecke Nürburgring abgegeben. Wie kam es dazu?

Krimiautor Jacques Berndorf war optimistisch, dass er seine Nürburgring-Wette gegen den ehemaligen rheinland-pfälzischen Landesvater Kurt Beck gewinnen wird. „Ich glaube nicht, dass man die 330 Millionen Euro, die man am Ring versenkt hat, noch ausgleichen kann“, sagte er kürzlich. 2010 hatten der 77 Jahre alte Berndorf, der von seinen 22 Eifel-Krimis schon mehr als fünf Millionen Exemplare verkauft hat, und der damalige Ministerpräsident Beck gewettet: Wenn der Nürburgring bis 2015 ein Sorgenkind des Landes bleibt, bekommt der Schriftsteller 60 Flaschen Ahr-Rotwein. Kommt der Freizeitpark bis dahin aber in die schwarzen Zahlen, schreibt Berndorf einen weiteren Krimi um die Rennstrecke.

Berndorf wird die Wette wohl verlieren. Denn der Verkauf der Rennstrecke an Investoren, den die Sanierungsgeschäftsführer des in die Insolvenz gerutschten Nürburgrings in die Wege geleitet haben, kommt voran. Zu den Interessenten gehört, wie die F.A.Z.  jetzt bekanntgemacht hat, auch der mächtige Autofahrerverein ADAC. Unter dem Präsidenten Peter Meyer – Spitzname Vereinsmeyer –, einem still, aber effektiv im Hintergrund agierenden Speditionsunternehmer, bemüht sich Deutschlands mit 19 Millionen Mitgliedern größter Verein um den Kauf des traditionsreichen Nürburgrings – 1927 als „Erste Deutsche Gebirgs-, Renn- und Prüfstrecke“ eröffnet. Was aber will der ADAC mit der Rennstrecke, die einst für mörderische Rennen mit Unfällen auf der Nordschleife wie etwa dem von Niki Lauda berühmt war und heute berüchtigt ist wegen der spektakulären Insolvenz, die Hunderte Millionen Steuergelder kostete? Für die Antwort muss man wissen, dass der ADAC schon längst viel mehr als nur ein Club in der Rechtsform des „Idealvereins“ ist, der die Interessen des Kraftfahrwesens fördert.

Die in München ansässige Organisation mutierte vielmehr über die Jahrzehnte zum veritablen Milliardenkonzern mit fast achttausend Beschäftigten. Eine Holding mit einem Dutzend Tochtergesellschaften – AGs und GmbHs – bündelt die Geschäfte. Bekannteste und wichtigste Dienstleistung ist die Pannenhilfe. Daneben gibt es diverse Aktivitäten rund ums Auto wie Kfz-Versicherung, Finanzierungen und Vermietung – sowie eine ADAC Motorsport GmbH.

Und genau dieses Unternehmen ist nun am Nürburgring interessiert: „Mit dem unverbindlichen Angebot hoffen wir Zugang zu Zahlen und Daten des Nürburgrings zu erhalten. Danach entscheiden wir über unser weiteres Vorgehen“, sagt ADAC-Motorsportchef Lars Soutschka. Ihm geht es ausschließlich um die Rennstrecke. Am Freizeitpark mit der Achterbahn „Ringracer“ oder der Einkaufsmeile „Boulevard“, der neben der Grand-Prix-Strecke liegt, hat der ADAC kein Interesse. Für den Automobilclub hat der Ring andere Reize. So will der ADAC den Nürburgring wegen seiner für den Motorsport bedeutenden Geschichte für die Öffentlichkeit erhalten. Mit der Offerte soll verhindert werden, dass irgendein milliardenschwerer russischer Oligarch oder ein arabischer Scheich sich die Rennstrecke zulegt und nur noch privat nutzt. Zu den Befürwortern der ADAC-Offerte zählt der Verein „Ja zum Nürburgring“. An dessen Spitze steht ADAC-Ex- und -Ehrenpräsident Otto Flimm. „Wir gehen davon aus, dass beim ADAC der Breitensport im Fokus steht“, sagt Vereinsrechtsanwalt Dieter Frey. „Das ist für uns zentral.“

Ohnehin ist der ADAC schon jetzt als Nutzer eng verbandelt mit dem Nürburgring. Im Juli veranstaltete der Verband hier den ADAC Truck Grand Prix mit 165000 Besuchern. Ebenso wichtig ist das 24-Stunden-Rennen. Als möglichen Kaufpreis, der nahezu vollständig dem Land Rheinland-Pfalz als Hauptgläubiger zufließen würde, nennen gut informierte Fachleute auf Basis von Gutachten einen Betrag von 100 Millionen Euro. Leisten kann sich der ADAC das locker: Der Betrag entspricht etwa einem Jahresgewinn.

Selbst im für das Land günstigsten Fall würde zwar nur ein Bruchteil der mehr als 400 Millionen Euro versenkter Steuergelder wieder hereingeholt. Nachdem der Nürburgring im Insolvenzverfahren seinen Schuldenberg losgeworden ist, kann die Anlage aber profitabel betrieben werden. Jedenfalls kündigen die Sanierungsgeschäftsführer Jens Lieser und Thomas Schmidt für 2013 einen Umsatz von 55 Millionen bis 60 Millionen Euro an sowie ein nicht näher beziffertes „positives Betriebsergebnis“. Bieterrivalen hat der ADAC angeblich mehrere. Mal hieß es, der jetzt wegen des Verdachts auf Bestechung angeklagte Formel-1-Chef Bernard Ecclestone könnte den Nürburgring übernehmen. Mal war von der deutschen Autoindustrie, die auf der Rennstrecke ohnehin ständig Bremssysteme, Reifen und Ähnliches testet, als Käufer die Rede.

In der Eifel gelegen, in einer der strukturschwächsten Gegenden des Rheinlands, mit einem langen und schneereichen Winter, sollte der Nürburgring eigentlich mehr Arbeitsplätze schaffen. Durch den Bau des Vergnügungsparks, von Hotels, Ferienwohnungen, einer Achterbahn, einer Veranstaltungshalle sowie Gastronomie für mehrere tausend Leute wollte man die Rennstrecke zum obligatorischen Reiseziel für Touristen aus aller Welt machen. Das Prestigeprojekt sollte zum Denkmal für den damaligen Ministerpräsidenten Kurt Beck und seine glorreiche 18 Jahre dauernde Amtszeit werden.

Doch es kam anders. Der Komplex rund um den Ring erwies sich mit der Zeit als überdimensioniert und mit zahllosen Baumängeln behaftet. Im Jahr 2012 musste die landeseigene Nürburgring GmbH Insolvenz anmelden, weil die Pächter ihre Zahlungen einstellten. Seither haben die Sanierer Schmidt und Lieser den Betrieb auf Vordermann gebracht. Unter anderem wurde das Restaurant „Grüne Hölle“, das bis zu 6000 Menschen gleichzeitig bewirtet, von einem durch Feuchtigkeit entstandenen Schimmelpilz befreit. Die Kartbahn wurde von gesundheitsschädlichem Gasantrieb auf Elektrowägelchen umgestellt. Und für die lange Zeit wegen technischer Mängel stillstehende Achterbahn „Ringracer“ haben die Betreiber grünes Licht der Kreisbehörde erhalten. „Uns ist es gelungen, das Ruder herumzureißen und dem Nürburgring eine neue Perspektive zu geben“, fasste Sanierer Schmidt im Juli die Lage zusammen.

Krimiautor Jacques Berndorf wird wohl schon an seiner nächsten Eifel-Nürburgring-Mordgeschichte schreiben müssen. Wettschulden sind Ehrenschulden.