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Hauen und Stechen am Tiber

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Alle drei Koalitionsparteien in Rom durchleben derzeit Wallungen, die selbst für italienische Verhältnisseheftig sind. Wird Enrico Letta weiterregieren können?

In Italien stecken alle drei Koalitionsparteien der gegenwärtigen Regierung in schweren Turbulenzen. Ob sich gerade deswegen die Regierung von Ministerpräsident Enrico Letta länger im Amt halten kann, oder ob die Umwälzungen in den Regierungsparteien schon die Vorboten eines baldigen Regierungswechsels sind, sorgt in Rom derzeit für viel Diskussionsstoff.

Seit Tagen wird auf der politischen Bühne darüber gestritten, ob die erste Abstimmung über einen Ausschluss von Silvio Berlusconi aus der zweiten Kammer des Parlaments, dem Senat, geheim oder offen sein soll. Berlusconi und seine Anhänger, unter ihnen der ehemalige Senatspräsident Renato Schifano, halten aufgrund der Geschäftsordnung eine geheime Abstimmung für geboten, weil es sich um eine Abstimmung über eine Person handele – und solche seien im Senat immer geheim gewesen, weshalb eine Änderung der Regeln im Fall Berlusconi skandalös wäre. Die Gegner Berlusconis wollen dagegen eine offene Abstimmung- sie argumentieren, der Fall enthalte neue Elemente und dürfe daher neu entschieden werden. Die „Bewegung Fünf Sterne“ des Komikers Beppe Grillo scheiterte derweil mit dem Versuch, die Abstimmung über Berlusconi schon auf die kommende Woche vorzuziehen.

Während über jedes Detail im Fall Berlusconi gestritten wird, gibt es in den Regierungsparteien tiefgreifende Umwälzungen. Die kleinste Koalitionspartei, die „Bürgerliche Wahl“ des ehemaligen EU-Kommissars und Ministerpräsidenten Mario Monti, ist faktisch schon zerbrochen. Monti hat seine eigene Partei verlassen und sich im Senat der „gemischten Fraktion“ angeschlossen. Monti hatte sich mit Politikern aus christdemokratischer Tradition wie dem Parteiführer und ehemaligen Berlusconi-Verbündeten Pierferdinando Casini und Berlusconis ehemaligem Parteigenossen Mario Mauro zusammengetan. Nun wirft er den Parteifreunden Annäherungstendenzen gegenüber Berlusconi und einen „politischen Slalom“ aus machtpolitischen Erwägungen vor. Von Montis hochfliegenden politischen Ambitionen bleibt nun nur ein Grüppchen von Reformern übrig, die in der Öffentlichkeit kaum Profil besitzen.

Chaos in der Berlusconi-Partei

Während Montis zerbrochene Partei für den Fortbestand der Regierung im Moment nicht so wichtig ist, drohen Letta Gefahren aus seiner eigenen Demokratischen Partei. In diesem Zusammenschluss aus ehemaligen Linksdemokraten und Parteigrüppchen des Zentrums war nach dem enttäuschenden Wahlergebnis im Februar der Spitzenkandidat und Parteivorsitzende Pierluigi Bersani zurückgetreten. Für den 8. Dezember ist nun nach langen Querelen die für alle Anhänger offene Urwahl des neuen Parteivorsitzenden geplant. Aussichtsreichster Kandidat ist dabei der Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi, der noch vor einem Jahr bei den Vorwahlen um den Posten des Spitzenkandidaten der Demokraten dem damaligen Parteichef Bersani klar unterlegen war. Während Bersani früher auf die Unterstützung der Parteifunktionäre zählen konnte und deswegen die Vorwahlen Ende 2012 gewann, sehen nun große Teile des Establishment der Partei in Renzi den Hoffnungsträger, der auch laut Meinungsumfragen unter den italienischen Wählern auf große Unterstützung rechnen kann. Renzi will nun zuerst die Parteiführung erobern, um von dort auch an die Regierungsspitze zu gelangen. Bei einer Konferenz für neue politische Ideen in Florenz sagte Renzi am Wochenende, er wolle nie mehr eine große Koalition mit Berlusconis Partei.

Die praktische Schlussfolgerung für die italienische Politik lautet, dass Renzi und seine Anhänger gerne so schnell wie möglich Neuwahlen hätten, um damit endlich die uneingeschränkte Macht zu übernehmen. Hindernis ist allerdings der Umstand, dass Letta bis vor kurzem stellvertretender Parteivorsitzender der Demokraten war – ein Sturz aus reinem Machtkalkül könnte daher viele Wähler verschrecken.

Im Lager von Silvio Berlusconi sind die Turbulenzen noch größer. Am vergangenen Wochenende verkündete Berlusconi nach einer offiziellen Vorstandssitzung, seine alte Partei, das „Volk der Freiheit“, existiere nicht mehr und das bisherige Führungspersonal sei damit abgesetzt. Am 8. Dezember solle die neue Partei unter dem alten Namen „Forza Italia“ gegründet werden. Wer dieser Partei angehören will, ist aber noch völlig unklar. Denn die Aktion, mit der sich Berlusconi die gesamte Partei unterstellte, könnte auch eine Spaltung bedeuten. Sein bisheriger Kronprinz und Generalsekretär des „Volks der Freiheit“, Angelino Alfano, war zur Vorstandssitzung – und damit gleichsam zur Beerdigung der alten Partei und zu seiner Absetzung als Generalsekretär – gar nicht erst gekommen. Der Parteivorstand tagte ohne ihn, unter Führung Berlusconis. Nun gibt es ein Kräftemessen: Alfano, zugleich stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister unter Letta, will die Regierungsarbeit fortsetzen. Doch Berlusconi droht, im Falle eines Ausschlusses aus dem Parlament die Regierung Letta zu stürzen. Zwischendurch folgen immer wieder Appelle, nicht mit einer Spaltung der eigenen Koalitionspartei der politischen Linken zu einem Machtgewinn zu verhelfen.

Verfassungsreform bis 2015

Berlusconi droht nicht nur der Entzug des Senatsmandats. Er hat aufgrund des Urteils gegen ihn wegen Steuervergehen auch für zwei Jahre das passive Wahlrecht verloren. Das Mailänder Berufungsgericht, das beauftragt worden war, diese Frist für den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte festzulegen, veröffentlichte in dieser Woche die Begründung für seine Entscheidung: Berlusconi habe in den achtziger Jahren ein System von ausländischen schwarzen Kassen für den Filmeinkauf erfunden, das auch nach der Gründung der (von Berlusconi offiziell nie geführten) Fernsehgesellschaft Mediaset weiterbestanden habe. Dieses Fehlverhalten müsse besonders geahndet werden, weil Berlusconi eine bedeutende Rolle in der Politik spiele.

Ministerpräsident Letta zeigt sich zuversichtlich, trotz aller Turbulenzen bis 2016 weiterregieren zu können. Aus seiner Sicht kann sich Italien keine neue Regierungskrise leisten: Schließlich übernehme Italien 2014 die Europäische Ratspräsidentschaft, und 2015 werde die Weltausstellung in Mailand eröffnet. Zudem ließ Letta zu den neuen Drohungen Berlusconis mitteilen, schon die Vertrauensabstimmung von Anfang Oktober habe gezeigt, dass in der italienischen Politik eine Unterscheidung zwischen Berlusconis persönlichem Schicksal und demjenigen Italiens gemacht werde. Der wichtigste Auftrag für Letta aus der Sicht des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano kann ohnehin nur in einer Frist von eineinhalb Jahren erfüllt werden: eine grundlegende Verfassungsreform, die Italien stabilere und handlungsfähige Regierungen garantieren soll. Bis 2015 will Lettas Reformminister Gaetano Quagliarello diese Reform über die Bühne bringen. Ob sich Matteo Renzi bis 2016 bei der Führung und Reform einer unruhigen Demokratischen Partei zermürben will, gilt allerdings als zweifelhaft.