Medizin

Nützliche Wechselwirkungen

• Bookmarks: 11


Nimmt man verschiedene Arzneien gleichzeitig ein, kann das Vorteile bergen, schreiben New Yorker Wissenschaftler. Sie untersuchten ein Diabetes-Mittel und unerwünschte Wirkungen, die damit zusammenhingen.

Dass Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln mitunter erheblichen Schaden anrichten, ist bekannt. Was indes viele nicht ahnen: Mitunter können solche Interaktionen auch von Nutzen sein. Hinweise darauf liefern zumindest die Ergebnisse einer besonders systematischen Studie, die Wissenschaftler der Mount Sinai School of Medicine in New York soeben vorgelegt haben. Im ersten Teil ihrer Untersuchungen analysierten Shan Zhao, Ravi Iengar und die anderen Forscher die umfassende Datenbank des amerikanischen Registers für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Ihr Augenmerk richteten sie dabei auf all jene zwischen den Jahren 2004 und 2012 eingegangenen Meldungen, in denen das Antidiabetikum Rosiglitazon zur Sprache kam.

Früher eines der bestverkauften Mittel zur Senkung erhöhter Blutzuckerspiegel, verschwand Rosiglitazon im Jahr 2010 aus den Apothekenregalen etlicher Länder, denn einer Reihe von Beobachtungen hatte den Verdacht genährt, dass es die Entstehung von Herzattacken und Schlaganfällen begünstigen könnte. Zhao und seine Kollegen wollten nun herausfinden, unter welchen Umständen Rosiglitazon mit einer erhöhten Infarktrate einhergeht und falls ja, ob es Medikamente gibt, die diese Bedrohung abzuschwächen vermögen.

Herzinfarkte kamen häufig vor

Wie sie in der Online-Ausgabe des Journals „Science Translational Medicine“ (10.1126/scitranslmed.3006548) schreiben, wurden der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA zwischen 2004 und 2012 knapp vier Millionen schwere Arzneimittelwirkungen zugetragen. Von den rund 63.000 Verdachtsberichten, in denen Rosiglitazon eine Rolle spielte, handelten 20.000 und damit ein Drittel von Herzinfarkten. Bei den anderen Antidiabetika betrug der Anteil solcher Diagnosen demgegenüber nur zwei Prozent. Weitere Analysen ergaben dann, dass Rosiglitazon nicht immer ein so starkes Infarktsignal erzeugte. Die Studienautoren entdeckten vielmehr rund ein Dutzend Medikamente, die, gemeinsam mit Rosiglitazon verabreicht, die Rate der einschlägigen Infarktberichte verringerten. Dazu zählten einerseits einige Antidiabetika und Herzkreislaufmittel, andererseits aber auch bestimmte Schmerzstiller und Psychopharmaka. Als besonders ausgeprägt erwies sich dieser günstige Effekt bei einem neueren, nur als Injektion verfügbaren Antidiabetikum namens Exenatide. War das zur Gruppe der Inkretine gehörende Mittel Teil der Behandlung, wurde Rosiglitazon nicht häufiger mit Herzattacken in Verbindung gebracht als die anderen Antidiabetika.

Meldungen über verdächtige Arzneimittelwirkungen erlauben freilich keine Aussagen über kausale Zusammenhänge. Auch lässt sich hieraus nicht ersehen, wie oft eine bestimmte medikamentöse Nebenwirkung in der täglichen Praxis vorkommt. Ob eine Komplikation gemeldet wird oder nicht, hängt nämlich von vielen Faktoren ab. Einer davon ist die Dauer der Marktzulassung: Gesundheitliche Schäden, die bei Anwendung eines neuen Wirkstoffs auftreten, erhalten generell mehr Beachtung und werden den zuständigen Behörden daher auch eher mitgeteilt als altbekannte Komplikationen seit Jahrzehnten gebräuchlicher Arzneien. Und auch intensive Debatten über echte oder vermeintliche Sicherheitsrisiken, zumal wenn sie einen vormals hochgelobten Hoffungsträger treffen, führen meist zu einem überproportionalen Anstieg der Zahl an Verdachtsberichten. Das veranschaulicht das Beispiel von Rosiglitazon.

Positiver Einfluss

Auf der Basis einer umfassenden Datenanalyse hatten amerikanische Wissenschaftler im Sommer 2007 die viel beachtete Warnung geäußert, dass Rosiglitazon das Risiko für Herzinfarkte um rund vierzig Prozent in die Höhe treiben könnte. Kurze Zeit später nahm die Zahl der einschlägigen Registereinträge dann sprunghaft zu. Wie die New Yorker Forscher darlegen, blieb der positive Einfluss von Exenatide auf Rosiglitazon von diesem Trend allerdings unberührt und unterlag auch in Abhängigkeit von anderen äußeren Faktoren keinerlei Schwankungen.

Von der Konstanz dieser günstigen Interaktion ermutigt, gingen die Wissenschaftler in einem nächsten Schritt der Frage nach, wie es Exenatide gelingen könnten, Rosiglitazon gleichsam zu besänftigen. Hierzu durchsuchten sie mehrere molekularbiologische Datenbanken nach Knotenpunkten, an denen sich die Reaktionswege der beiden Medikamente kreuzen. Eine solche molekulare Schnittstelle erfüllte die notwendigen Voraussetzungen. Dabei handelte es sich um ein kurz PAI-1 genanntes Gerinnungseiweiß, das sowohl von Rosiglitazon als auch von Exenatide beeinflusst wurde – wie genau, ging aus den molekularen Schalttafeln nicht hervor.

Mäuse mit Alterszucker

Um mehr Klarheit zu erhalten, behandelten die Wissenschaftler in der Folge Mäuse, die an einem dem menschlichen „Alterszucker“ entsprechenden Diabetes mellitus litten, mehrere Wochen lang teilweise nur mit Rosiglitazon und teilweise außerdem mit Exenatide. Wie sich ergab, führte die Anwendung von Rosiglitazon bei den diabeteskranken Nagern – nicht hingegen bei gesunden Mäusen – zu einer merklichen Anreicherung von PAI-1 im Blut.

Erhielten die Tiere neben Rosiglitazon auch Exenatide, fiel die Konzentration des Gerinnungsproteins nach kurzfristigem Höhenflug auf das Niveau der gesunden Mäuse zurück. Wie die amerikanischen Pharmakologen mutmaßen, ist der gegenläufige Effekt der beiden Arzneien auf das Gerinnungssystem möglicherweise der Grund für die beobachtete Wechselwirkung. So könnte Exenatide über seinen Einfluss auf PAI-1 Rosiglitazon daran hindern, die Ausbildung von Blutpfropfen zu fördern und damit der Entstehung von Infarkten den Weg zu bereiten. Ob ihre Annahme zutrifft, wollen die Wissenschaftler in weiteren Untersuchungen klären.